© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/03 26. September 2003

 
Klasse statt Masse
Akademikerlücke: OECD-Studie bescheinigt Defizite in der höheren Bildung

Großes Protestgeschrei hat die diesjährige OECD-Studie "Bildung auf einen Blick 2003" hervorgerufen. Wieder einmal wird Deutschland eine miserable Akademikerquote bescheinigt. Nur 32 Prozent eines jeden Jahrgangs beginnen ein Studium. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 46 Prozent. Dann auch noch erfolgreich das Studium zu beenden, gelingt in Deutschland nur zwei von drei Studenten. Bezogen auf den jeweiligen Jahrgang kommen somit nur 19 Prozent zu akademischen Würden.

Im OECD-Durchschnitt sind es satte 30 Prozent. Mit anderen Worten, während in den dreißig Industriestaaten von Australien bis zu den Vereinigten Staaten im Schnitt jeder dritte Jugendliche einen Universitätsabschluß erhält, ist es in Deutschland nur jeder fünfte. In der Länderrangliste liegt Deutschland damit an fünftletzter Stelle, gerade einmal vor Mexiko und der Türkei und weit hinter wesentlich kleineren Ländern wie Schweden und Finnland, aber auch Polen, Ungarn und Island.

Das Protestgeschrei der deutschen Regierungsstellen ist parteiübergreifend. Jedoch wird das für Deutschland niederschmetternde Ergebnis der OECD-Bildungsstudie nicht zum Anlaß genommen, nun in Bund und Ländern verstärkte Bildungsanstrengungen zu fordern. Nein, es wird auf den Boten eingeprügelt. Die OECD habe wichtige Teile des deutschen Bildungssystems unberücksichtigt gelassen. So würde das duale Bildungssystem mit der Berufsausbildung von Lehrlingen gänzlich übersehen. Die deutschen Berufsschulen aber seien mit einigen ausländischen Hochschulen gleichzusetzen, so daß junge Leute mit abgeschlossener Lehre in den OECD-Statistiken Aufnahme finden müßten. Außerdem hätte Deutschland seit der letzten OECD-Schelte erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. Für das Jahr 1998 verzeichnete die Bildungsstudie noch einen Studienanfängerquote von 28 Prozent. Deutschland habe somit seine Anfängerquote um fast 15 Prozent gesteigert.

Vollends peinlich werden die Entschuldigungsbemühungen, wenn das rot-grün geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, der hessischen Kultusministerin Karin Wolf (CDU), stolz darauf hinweist, daß Deutschland beim Bildungsabschluß der Sekundarstufe II mit einer Bevölkerungsquote von 93 Prozent weit über dem OECD-Durchschnitt von 64 Prozent liegt. Die Tatsache, daß 93 Prozent der Deutschen im Alter von 25 bis 64 Jahren über einen abiturähnlichen Abschluß verfügen, verdanken die Politiker vor allem den älteren Bürgern, die wenn sie nicht Abitur haben, fast ausnahmslos eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können. Bei einer Detailanalyse der 25- bis 35jährigen sieht die Sache nämlich wieder ganz anders aus. In dieser Altersklasse haben andere Länder inzwischen eine Bildungsquote von über 90 Prozent erreicht, während Deutschland mit einer steigenden Quote von Jugendlichen zu kämpfen hat, die nicht einmal den Hauptschulabschluß erreichen.

Am meisten erzürnt jedoch die Politiker, daß es die OECD gewagt hat, einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Bildungsniveau und der wirtschaftlichen Flaute herzustellen. Zwar kann mit der deutschen Bildungsmisere kein Konjunkturtal erklärt werden. Das wäre schon deshalb fatal, weil dann die Überwindung der Krise ein Generationenprojekt wäre. Andererseits ist der Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und wirtschaftlicher Produktivität nicht zu leugnen. Der Bildungsnotstand stellt ein strukturelles Problem dar, dessen Lösung die wirtschaftliche Zukunft abseits der konjunkturellen Schwankungen bestimmt. Aber selbst wenn dies heute von den Bildungspolitikern erkannt und ein Lösungsweg beschritten würde, könnte eine wirtschaftliche Auswirkung erst im Jahre 2020 zu erwarten sein.

Ein wichtiges Detail bleibt in der OECD-Studie unberücksichtigt: die Qualität der akademischen Bildung. Sie mißt sich nicht, wie in der Studie gleichwohl geschehen, an dem Anteil der Studenten in den mathematischen, natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen, der in Deutschland nur relativ gesehen hoch, in den absoluten Zahlen aber erschreckend niedrig ist. Die schnelle Ausweitung der Massenuniversitäten mit inflationären Studentenzahlen und vor allem bildungsfatalen Berufungen zahlreicher geringqualifizierter Hochschullehrer hat bis heute ihre Spuren hinterlassen. Die miserablen Ausbilder treffen auf nicht wenige für das Studium ungeeignete Studenten, deren Alternative die Arbeitslosigkeit wäre. Beide Gruppen quantitativ auszuweiten, ist keine Lösung des akademischen Bildungsdefizits.

Helfen kann allein ein langfristig ausgelegter Paradigmenwechsel in der Hochschulpolitik. Grundvoraussetzung ist eine starke Autonomie der Hochschulen. Selbständiges Entscheiden und Handeln fängt bei der Auswahl (und Zurückweisung) von Dozenten und Studenten an und hört mit der Finanzhoheit auf. Die Einführung von Studiengebühren ist daher nicht nur wegen der leeren Staatskassen unabdingbar. Sicher garantiert dieses System keine hohen Studentenzahlen, aber immerhin höhere Erfolgsquoten und vor allem bessere Studienabschlüsse.


 
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