© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/03 19. September 2003

 
Neue Technologien: Transgener Lactobazillus jensenii gegen HIV
Warum alte Leute solche Angsthasen sind
Angelika Willig

Da geben wir riesige Summen für unsere Gesundheit aus, nur um immer älter und kränker zu werden. Denn bei fortgeschrittenen bzw. angeborenen Leiden kann nur noch behandelt, nicht mehr geheilt werden. In medizinisch unterversorgten Ländern hingegen leben massenhaft junge und erbgesunde Menschen, die durch einfache Infektionen ins Elend geraten, weil diese nicht erkannt oder nicht richtig behandelt werden. Dazu gehört zum Teil auch die Aidskrankheit. Zwar gibt es auch im Westen noch kein echtes Heilmittel, aber die Vorsorge ist doch erheblich effektiver als in Afrika. Dort wirkt eine verbesserte medizinische Versorgung oft sogar kontraproduktiv, weil die Krankheit zu Unrecht ihren Schrecken verliert und sich wieder mehr infizieren, die dann mit steigenden Kosten versorgt werden müssen.

Die Paradoxe gehen aber noch weiter. Keine Bevölkerungsgruppe fährt so risikoreich Auto wie die 18- bis 25jährigen. Keiner hat aber de facto mehr zu verlieren an Lebenszeit und Lebensqualität als diese kraftvollen jungen Männer. Alte Menschen hingegen, die nichts mehr zu gewinnen haben als einen schnellen und leichten Tod, fürchten sich schon bei Tempo achtzig. Und keiner beschäftigt sich eingehender mit seiner Selbsterhaltung als Menschen, die gar nicht gern leben. Wahrscheinlich sind sie unglücklich, weil ein Dasein in hypochondrischer Angst und unter ständiger Prophylaxe nicht viel Spaß machen kann. Leute hingegen, die sich mit Alkohol, Drogen, fettreicher Ernährung und unübersichtlichen Sexualkontakten selbst gefährden, sind zumeist robust. Sonst würden sie die mit Krankheit verbundenen Unannehmlichkeiten eher fürchten. Aus dem Fenster springen nicht unbedingt die Depressivsten. Dazu gehört nämlich Mut - und den gewinnt der Kranke erst mit beginnender Wirkung seiner Medikamente. Dann wird es gefährlich. Am zähesten hängen im allgemeinen die hoffnungslosen Fälle am Leben. Die lassen sich keine Therapie entgehen und sind über alle medizinischen Fortschritte informiert. Der "Urgesunde" hingegen meidet Vorsorgeuntersuchungen, weil er meint: Wer weniger an Krankheiten denkt, der bekommt seltener etwas. Das ist zwar nicht logisch, stimmt aber in erstaunlich vielen Fällen.

Bei Aids allerdings nicht. Hier haben Wissenschaftler in der Fachzeitschrift PNAS gerade ein neues Medikament auf gentechnischer Grundlage vorgestellt. Der Aids-Virus soll von einem transgenen Abkömmlings des Lactobazillus jensenii in der Bakterienflora der Vagina festgehalten werden. Doch erstens funktioniert das natürlich nur beim weiblichen Geschlecht, zweitens muß das schlaue Bakterium erst mal in die Vagina hineinkommen. Das heißt, es braucht eine gewisse Prophylaxe, ähnlich wie das bisher empfohlene Kondom. Und dazu werden die Afrikaner wohl erst dann bereit sein, wenn sie sich auch in gesundem Zustand als potentielle Patienten definieren - so wie wir.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen