© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/03 29. August 2003

 
Generationenkonflikt
Das muß mal gesagt werden
Silke Lührmann

In den vergangenen Monaten jagte eine Schrekkensmeldung die andere durchs Sommerloch: Die Deutschen überaltern und verfetten, zur steigenden Arbeitslosigkeit gesellt sich ein noch schlimmerer Mangel an Motivation. Im hoffnungslos überschuldeten Berlin ist mittlerweile Schwimmen - nach Meinung von Medizinern und Sportwissenschaftlern eine der gesündesten Arten, fit zu bleiben; in der literarischen Tradition eine beliebte Metapher für Überlebensfähigkeit an sich - zum Luxus geworden, den man sich zähneknirschend vom Gehalt abspart. Satte vier Euro kostet der Eintritt in die öffentlichen Bäder der Hauptstadt, ermäßigt immer noch 2,50, Jahreskarten gibt es seit der letzten Preiserhöhung nicht mehr.

Wer früh kommt, von sieben bis neun, zahlt nur zwei Euro und kann - sogar in den notorischen "Problembezirken" Kreuzberg und Neukölln - erleben, wie beneidenswert rüstige Rentnerinnen mit durchtrainierten Bürohengsten wetteifern, als erster ins zwar nicht kristallklare, aber immerhin chlorig-blau glitzernde Wasser zu springen. Fast möchte man meinen, hier sei die Welt noch in Ordnung. Doch auch abseits der medialen Horrorszenarien einer Gesellschaft, die "am Tropf hängt" und "am Gehwagen läuft", finden harte Verteilungskämpfe statt: Eine Endzwanzigerin muß zur Arbeit und wartet ungeduldig, daß ein Fön frei wird. "Können die Omas nicht auch später kommen, die haben doch sowieso den ganzen Tag nichts zu tun", schimpft sie vor sich hin. Zwei ältere Damen beklagen die Rücksichtslosigkeit der "Krauler", von denen sie immer abgedrängt werden. "Auf dem einen Auge sehe ich nicht mehr gut, das macht mich unsicher", sagt die eine. Aber vertreiben läßt sie sich auf keinen Fall, schließlich zieht sie seit über vierzig Sommern hier bei Wind und Wetter ihre Bahnen. Wir Jungen wüßten ja gar nicht, wie gut wir es haben: "Früher war das Wasser noch kälter!"

In Dusche und Umkleideraum, wo Morgen für Morgen alle Hüllen fallen, nimmt auch niemand ein Blatt vor den Mund. Die Jungs von der Bundeswehr haben am Hindukusch nichts zu suchen und im Irak schon gar nicht, Michel Friedman ist ein "Kotzbrocken", Gerhard Schröder ein "Futzi": "Der soll erst mal trocken hinter den Ohren werden, bevor er mir mit seiner Agenda 2010 kommt!" Erst recht kein Verständnis haben die kreuzfidelen Schwimmbadveteraninnen für die Mißgunst der Jüngeren, die ihnen nicht nur beim Haarefönen entgegenschlägt. "Was haben wir uns abgerackert, um dieses Land wieder aufzubauen, und jetzt will man uns das bißchen, was wir haben, nicht gönnen - nur damit sie selber auf nichts verzichten müssen", lautet immer wieder der Tenor zum politischen Tagesgeschehen, ob es um künstliche Hüftgelenke, Erhöhung der Krankenkassenbeiträge oder um die Pläne für eine "Nullrunde" bei der Rentenanpassung geht. "Ekelhaft ist das!" Wenn demnächst die Freibadsaison zu Ende geht, setzen sich diese frühmorgendlichen Diskussionsrunden eben in der Halle fort. Verstummen werden sie bestimmt nicht.


 
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