© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/03 15. August 2003

 
Neue Technologien: Fernsehen ist gesundheitsschädlich
"Eigentlich gucke ich ja kaum ..."
Angelika Willig

Eine Technik, die zwar nicht neu ist, mit der wir aber immer noch auf dem Kriegsfuß stehen, ist das Fernsehen. Während die Leute sich über die Vorzüge einer Geschirrspülmaschine nicht begeistert genug äußern können, wird über das Fernsehen immer nur gejammert. Da sagt keiner: "Wie schön, daß wir jetzt vom Fernsehen unterhalten werden, früher mußten sie diese idiotischen Kartenspiele machen." Man braucht nur die Romane von Jane Austen zu lesen, um sich die gequälten Bridge-Abende und nervtötenden Patiencen lebhaft vorstellen zu können. Doch das ist das Problem: Wer fernsieht, hat keine Zeit, klassische Romane zu lesen, und erfährt folglich nicht, wie langweilig das Leben ohne Fernsehen war. Im Film dauert ein Landhaus-Dinner oder eine Feier beim russischen Gutsherrn höchstens sieben Minuten, in Wirklichkeit mußte man die Konversation bis zum bitteren Ende nicht bloß ertragen, sondern sich daran mit halbwegs heiterer Miene beteiligen, um nicht als unhöflich zu gelten. Wenn Waschmaschine und Geschirrspüler den Menschen Arbeit abnehmen, so erspart das Fernsehen ihnen die Muße - und das ist weitaus mehr. "Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von Feiertagen", sagte schon Goethe, dessen probates Mittel gegen theaterfreie Abende bekanntlich die Rotweinflasche war.

Nirgendwo ist das unbedachte Verlangen nach dem "einfachen Leben" stärker ausgeprägt als beim Fernsehen. Wie schön, so meint der Durchschnittszuschauer, könnte das Leben ohne Fernsehen sein - wenn man es nur schaffen würde, ihn auszuschalten und auch auszulassen. Der Berliner Tagesspiegel hat letztes Wochenende wieder einmal einen Vorstoß ins Echte und Wahre unternommen und verkündet: "Fernsehen gefährdet Ihre Gesundheit." Dort heißt es in bekannter Manier: "Weil die Entspannung rasch einsetzt, wird der Fernsehkonsument darauf konditioniert, das Pantoffelkino mit Beruhigung und Spannungsabbau zu assoziieren." Was aber wäre, wenn das Fernsehen tatsächlich "rasch zu Beruhigung und Spannungsabbau" führte und damit die ideale Freizeitunterhaltung für gestreßte und geplagte Kassiererinnen, Teilzeitmütter, Kita-Tanten, entlassungsgefährdete Programmierer und Bademeister wäre? Dann müßten arrogante Kulturfritzen ihre Technikfeindlichkeit aufgeben, weil nicht nur der Bauch, sondern auch der Kopf sich heute eben anders ernährt als vor 150 Jahren. Steckrüben will keiner mehr haben. "Anstatt nach dem Abendessen automatisch vor die Glotze zu sinken, überlegen Sie sich andere Tätigkeiten, die Spaß machen könnten", rät der kluge Tagesspiegel. "Überlegen, was Spaß machen könnte", das ist gar nicht so einfach. Denn das Leben ist, auch wenn es heute vielfach behauptet wird, nicht besonders spaßig. Das "mißmutige Grübeln, das sofort nach dem Ausschalten einsetzt", könnte zur Wahrnehmung der Realität führen. Dann lieber noch eine Quizsendung.


 
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