© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/03 08. August 2003

 
Revolution gegen die Tradition
Kulturkampf in Kanada: Kritiker der Homo-Ehe werden in ihren Ausdrucksmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt
Mark Wegierski

Während in 13 US-Bundesstaaten noch formelle Gesetze bestehen, die sexuelle Kontakte zwischen Männern unter Strafe stellen, und der Oberste Gerichtshof in Washington dazu erst kürzlich entschied, es sei nicht rechtens, wenn die Polizei das Schlafzimmer eines Schwulenpärchens stürmt und dieses aus dem Bett reißt, ist das Nachbarland Kanada eine Art Paradies für Homosexuelle.

Neben den Niederlanden und Belgien ist Kanada eines der wenigen Länder der Erde, das Homosexuellen eine gleichwertige Eheschließung ermöglicht. Es mag für vernünftige Leute durchaus annehmbar sein, wenn der Staat auf Dauer angelegten homosexuellen Partnerschaften in irgendeiner Form auch die rechtliche Anerkennung zukommen läßt, doch die Sache in Kanada geht weit darüber hinaus. Ein Blick auf den sozialen, politischen und kulturellen Kontext der heutigen Zustände in Kanada zeigt, warum das Projekt der "Homo-Ehe" und seine Begleitumstände recht beunruhigend sind.

Kanadas Bundesregierung, die Schwulenrechte jetzt massiv fördert, hat einen fragwürdigen, wenn auch bequemen Weg gewählt. Es gibt kein Gesetz, das die "Schwulenehe" legalisiert, statt dessen hat sie entschieden, gegen Urteile einiger unterer Gerichtshöfe zugunsten von "Homo-Ehen" keine Berufung einzulegen. Das überrascht, da das Parlament noch 1999 in einer Resolution bekräftigte, daß die Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau bestehen könne. Premierminister Jean Chretien, der im nächsten Frühling zurückzutreten beabsichtigt, wie auch sein voraussichtlicher Nachfolger und nächster Vorsitzender der Liberalen Partei, Paul Martin, stimmten damals beide für die Resolution.

Nach den Mehrheiten in der demokratischen Volksvertretung zu schließen, ist es nicht unwahrscheinlich, daß eine neue, freie Abstimmung auch heute wieder eine Ablehnung einer formellen "Homo-Ehe" ergeben würde. Statt dessen kam die neue Praxis nun undemokratisch durch die Hintertür, auf Geheiß der Judikative.

Seit den sechziger Jahren hat Kanadas einstmals traditionelle Gesellschaft, wie die gesamte westliche Welt, einen massiven sozialen Wandel durchgemacht, der auf nichts Geringeres als eine kulturelle Revolution hinausläuft. Was einst als "natürliche" gesellschaftliche und familiäre Ordnung galt, wurde durcheinandergewirbelt. Früher, selbst noch nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte eine Ehe zu halten, "bis daß der Tod euch scheidet", und an der Spitze der Familien mit ihrer relativ großen Kinderzahl stand der Mann als Brotverdiener. Heute dagegen haben wir hohe Scheidungsraten, hybride Formen familienähnlicher Zusammenschlüsse, wobei Frauen nun auch im Arbeitsleben stehen, eine lockere Sexualmoral, massenhaft Abtreibungen und deutlich weniger Kinder.

Von epochaler Bedeutung ist zudem die Auflösung kulturell halbwegs homogener Gemeinschaften und ihre Verwandlung in kulturell wie ethnisch heterogene Gesellschaften. Dazu parallel wucherte der früher schlanke Staat zum umfassenden Wohlfahrtsstaat. Indem dieser Außenseiter- und Minderheitenpositionen fördert, stellt er sich an der Spitze des Gesellschaftswandels und beschleunigt die kulturelle Aufsplitterung und Pluralisierung. Kritiker werfen ihm daher Tendenzen zum sozialen und mentalen "engineering" vor; Politikwissenschaftler wie etwa Paul Gottfried sprechen treffend von einem "managerial-therapeutical regime".

Auch das Projekt der "Homo-Ehe" trägt seinen Teil zur Aushöhlung der Reste des alten westlich-christliche moralischen Fundaments bei. Innerhalb der militanten Linken tun sich einzelne Schwulenaktivisten als Avantgarde des Kampfs gegen traditionelle Institutionen hervor, vor allem gegen die verschiedenen christlichen Kirchen. Obwohl sie stets im Namen von "Toleranz" und "Offenheit" vorgehen, streben sie in Wirklichkeit das Gegenteil davon an: Mittels Verordnungen gegen "Diskriminierung" und "Haßsprache" sollen die Ausdrucksmöglichkeiten der Gegner der kulturellen Revolution immer mehr eingeschränkt werden. Dabei kennt man in Kanada, wie die Verwaltung gerne gesteht, nicht die US-amerikanischen Skrupel, wenn es um Glaubens- und Meinungsfreiheit geht.

Einige Vorfälle aus den letzten Jahren mögen diese Entwicklung illustrieren: Der Trinity Western Universität (TWU) in British Columbia, eine der wenigen religiös geprägten, nichtstaatlichen Hochschulen in Kanada, wurde die volle Anerkennung ihrer Lehramtsstudiengänge versagt. Der Grund: Im Verhaltenskodex der TWU werden neben vor- und außerehelichem Geschlechtsverkehr den Studenten auch homosexuelle Akte untersagt. Aufgrund des Verdachts der "Homophobie" müssen die TWU und ihre Absolventen nun staatliche Schikanen ertragen.

Kanadas Oberster Gerichtshof entschied, daß angehende Lehrer, die auf der TWU studiert haben, mehrere Jahre "scharf beobachtet" werden müßten, ob sie schwule Schüler voll respektierten. Auch die Unterrichtsbehörde von Surrey, ebenfalls in British Columbia, landete vor dem Obersten Gerichtshof, da die lokalen Politiker sich geweigert hatten, Schulbücher zu kaufen, die Geschichte über "normale Familien" mit "zwei Papas" oder "zwei Mamas" enthalten. Diese Weigerung laufe auf eine schwere Menschenrechtsverletzung hinaus, entschieden die Richter.

Noch dürfen Kirchen Trauungen verweigern

Auch Einzelpersonen rückten ins Visier der Kämpfer gegen "Homophobie". Die Veröffentlichung von kritischen Bibelzitaten zur Homosexualität in einer regionalen Zeitung in Saskatchewan trug dem Auftraggeber eine Klage vor der Menschenrechtskommission des Bezirks ein. Er mußte sich entschuldigen und eine saftige Geldstrafe zahlen. Ein konservativ-christlicher Besitzer einer Druckerei in Ontario, der sich weigerte, Flugschriften einer schwul-lesbischen Gruppe zu drucken, wurde vor Gericht gezogen, dort schuldig gesprochen und mußte die Kosten des Verfahrens sowie eine Geldbuße zahlen. Die Liste der Vorfälle ließe sich beliebig verlängern. Sie alle sind Teil des linken Kulturkampfes zur Einengung der Freiheit kanadischer Christen, auch unwillkommene Meinungen zur Homosexualität zu äußern. Noch gestatten die Gerichte den Kirchen eine Ausnahme, sie dürfen bislang Trauungszeremonien verweigern. Doch wie lange noch können Pfarrer dem Druck standhalten?

Es scheint, daß sich der jahrhundertealte Kampf der radikalen Aufklärung gegen westlich-traditionelle Werte, die christliche Religion und die Familie dem Ende nähert. Im Zuge der Kampagnen für "Toleranz" und gegen "Vorurteile" bleibt die Freiheit auf der Strecke. Nur noch eine einzige politisch korrekte Art des Denkens und der öffentlichen Meinungsäußerung sind dann gestattet. Mark Wegierski

Foto: Toronto Pride Parade (2001): Die Reste des alten westlich-christlichen Fundaments werden ausgehöhlt

 

Mark Wegierski lebt als Publizist in Toronto. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über das Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA zur Verfassungsmäßigkeit der "affirmative action"-Programme, mit denen Angehörige von ethnischen Minderheiten unter anderem im Hochschulbereich und beim Militär gezielt gefördert werden (JF 28/03).


 
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