© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/03 18. Juli 2003

 
Die Internationale der Fundamentalisten
US-Präsident George W. Bush sei Dank: Der Zusammenprall der Kulturen findet nicht statt
Gerd Mewis

Als 1989 mit dem Zusammenbruch des Ostblocks das "totalitäre Zeitalter" verdämmerte, hatten sich fast unbemerkt dessen potentielle Erben in Stellung gebracht: die "Internationale der Fundamentalisten". Ihre gesellschaftlichen und ideologischen Ursprünge lassen sich zwar bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, doch wie Graf Dracula nur nach Sonnenuntergang munter wird, betraten die fundamentalistisch inspirierten Politreligionen erst nach Ende der rein säkularen kommunistischen Heilsbewegung die weltpolitische Bühne.

Besonders lange dauerte der Schlaf der Unvernunft bei den religiösen Fundamentalisten in den USA. Sie hatten sich in den zwanziger Jahren im heute noch so benannten "Bible Belt" als Protestbewegung gegen theologischen Modernismus, Bibelkritik und die "Irrlehre" des Darwinismus formiert. Der biblizistische Fundamentalismus, den sie predigten, konnte in der "aufgeklärten" Öffentlichkeit jedoch so nachhaltig als primitives Hinterweltlertum diskreditiert werden, daß die Gemeinden sich über Jahrzehnte zurückzogen und einen weltverachtenden Eskapismus pflegten. Erst in den siebziger Jahren, im Vorfeld der Präsidentschaft Ronald Reagans, erwachte ihr politischer Ehrgeiz, und ihr öffentlicher Einfluß steigerte sich. Fast zeitgleich mit dieser christlich-protestantischen Variante, die von einem "Fundamentalismus der Weltflucht" auf einen solchen der "Weltbeherrschung" umschaltete, ging sein islamischer Widersacher in die Startlöcher und dessen jüdischer Zwilling, die zionistischen Militanten der Gush Emunin wie die anti-zionistischen Ultra-Orthodoxen, begann mit Lockerungsübungen.

Der Politikwissenschaftler Manfred Brocker, der auf diese eigentümliche Parallelität aufmerksam macht, glaubt nicht, daß das Wiedererstarken der Religion in drei unterschiedlichen Kulturkreisen ein Zufall gewesen ist (Zeitschrift für Politikwissenschaft, 1/03). In den siebziger Jahren signalisierten die "Grenzen des Wachstums" zumindest eine weltweite Verlangsamung von Industrialisierung, Urbanisierung, Rationalisierung und Säkularisierung. Damit stieß aber auch die kulturelle Liberalisierung und westlich dominierte kulturelle Homogenisierung auf Widerstände. Inmitten der schon weitgehend dem Ideal der individuellen "Selbstbestimmung" geopferten "lebensweltlichen Bezugssysteme" stieg die Nachfrage nach "geschlossenen Weltbildern".

Die Nachfrage nach "einfachen" Weltbildern stieg

Christliche, moslemische und jüdische Modernisierungsverlierer versuchten es, geleitet von "Bewegungsunternehmern" (die früher schlicht "Ideologen" hießen), mit der Rückwendung zu fundamentalistisch interpretierten, von allen verunsichernden "Neuerungen" gereinigten Religionen. Inmitten eines radikalen, weit fortgeschrittenen sozialen und technischen Wandels suchten sie mentale und kognitive Orientierungen, relativ "einfache Weltbilder" , die ihnen "Sicherheit, Identität, Selbstbewußtsein" versprachen.

Hätten sich also verschiedene Kulturkreise seit zwanzig Jahren so weit "aufgeladen", daß - im Sinne der Theorie Samuel Huntingtons - der "11. September" der Auftakt zum "Zusammenprall" zwischen inkompatiblen Zivilisationen war? Brocker glaubt die Frage verneinen zu können. Denn selbst im gewaltbereiten islamistischen Fundamentalismus seien Gegenströmungen auszumachen, die eines Tages in den Dienst des "internationalen Dialogs" gestellt werden könnten. Hätten doch die Moslembruderschaft in Ägypten wie die Hisbollah im Libanon auf die gewaltsame Durchsetzung ihrer politischen Ziele verzichtet - wenn sie auch weiterhin, "im demokratischen Verfahren", den "Gottesstaat" anstrebten. Ebenso sei es Osama bin Laden nicht gelungen, eine breitere Unterstützung für al Qaida zu gewinnen und die Massen zwischen Marokko und Indonesien für die "islamische Weltrevolution" gegen den Westen zu mobilisieren. Und schließlich könnten auch hartnäckige Bush-Feinde nicht nachweisen, daß der US-Präsident - von geringfügigen verbalen Verbeugungen abgesehen - die Interventionen in Afghanistan und Irak dem Verständnis seiner christlich-fundamentalistischen Stammwählerschaft zufolge als "Kulturkampf" der "letzten großen Heimat des Glaubens" gegen den islamistischen "Satan" verkauft hätte. Hinter Bushs sorgfältig gewählter Rhetorik stehe die Einsicht der US-Regierung, Huntingtons These vom "clash of civilisations", für die im globalen Maßstab empirisch wenig spreche, keinesfalls aufzuwerten. Fundamentalisten aller Lager, die sie ohnehin als Bestätigung ihrer manichäischen Weltsicht rezipieren, würden ansonsten ermutigt, Huntingtons Visionen durch Reden und Handeln zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden zu lassen.


 
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