© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/03 11. Juli 2003

 
Pankraz,
die schwarzen Brüder und der Ordensschild

Kürzlich widerfuhr Pankraz die Ehre, zum Konvent einer "Evangelischen Bruderschaft" eingeladen zu sein. Man traf sich in der tiefsten deutschen Provinz, in einem klosterähnlichen Bau, der der Kirche gehört und von ihr für Tagungen und Bibelstunden genutzt wird. Dort also kamen die Brüder zusammen, um gemeinsam zu beten, Gott zu preisen, die Zeitläufte zu besprechen, gelehrte Vorträge zu hören und einige neue Novizen und Schildknappen aufzunehmen und zu weihen. Alles ging sehr feierlich, sehr ernsthaft und sehr fröhlich zu.

Pankraz hatte gar nicht gewußt, daß es so etwas gibt, fand viel Anlaß zum Staunen. Die Brüder waren allesamt Männer, die - wie man so sagt - mitten im Leben stehen und über jeden Kniff der Moderne genau Bescheid wissen. Hier nun zeigten sie sich von oben bis unten in Schwarz gekleidet, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, schwarzer Pullover, schwarzes Schuhwerk, und sie redeten sich nur mit Vornamen und Herkunftsnamen an: Bruder Friedhelm von Wismar, Bruder Jürgen von Erfurt, Bruder Gerd von Ottendorf...

Es herrschte zwischen ihnen, ungeachtet aller Brüderlichkeit, eine strenge Hierarchie und Ämterteilung, der eine war "Komthur", der andere "Provinzial", der dritte "Kanzler", und alle beachteten mit Zirkelgenauigkeit die Pflichten und Schranken ihres jeweiligen Ranges. Mitglied der Bruderschaft, erfuhr Pankraz, kann man nur nach langwierigen Prüfungsjahren im "Noviziat" werden, und als Novize wird man nur angenommen, wenn man eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt, untadeligen Lebenswandel, Gottesfurcht und Gehorsam, evangelische Begeisterung, Bereitschaft zur Caritas und zur unbedingten Verteidigung des christlichen Glaubens.

Wem das zu unbequem und zu kontrolliert ist, wer Noviziat und Bruderschaft scheut und dem "Orden" dennoch mit Sympathie und Spendenlust zugetan ist, der kann dem "Ordensschild" beitreten, aber selbst das ist keine Kleinigkeit, erfordert Karenzzeit und Eignungsnachweis. Und selbst die Schildknappen werden im Verlauf eines ausgedehnten Gottesdienstes mit viel Gebet und machtvollem Kirchengesang eigens geweiht und Gottes speziellem Segen anheimgestellt. Nichts geschieht zufällig, alles steht in transzendentem Bezug und bildet einen geradezu schreienden Gegensatz zur modernen Kumpelhaftigkeit und Stillosigkeit, wie sie etwa auf evangelischen Kirchentagen herrscht.

Ein faszinierender Hauch von Romantik lag über dem Konvent, an dem Pankraz als Gast teilnehmen durfte. Die Schlafgemächer glichen Mönchszellen, zum Wecken wandelte ein sangesgeübter Ordensbruder, der von Beruf Pastor ist, durch die Gänge der Akademie und rief mit glockenreiner Stimme zu fröhlichem Tagwerkbeginn und männlich-kräftigem Gottvertrauen. Vor dem Frühstück versammelten sich die Brüder, Novizen, Schildknappen und Gäste in der Kapelle zu Sinnspruch und Gebet, und gegen Ende des Konvents, bevor sich die Brüder zur Besprechung ordens-interner organisatorischer Fragen ins Konklave begaben, lud der Truchseß zu frugalem und dennoch gut ausgedachtem Festmahl ins Refektorium, wo sich die Zungen etwas lösten, Pokale kreisten und die auf der Tafel flackernden Kerzen übergroße Schatten an die kahlen Wände warfen.

War das nun deutsche Wirklichkeit des einundzwanzigsten Jahrhunderts, mit realen, wenn auch langfristigen Wirkungen in den Alltag des Jahres 2003 hinein, wenigstens in den Alltag der geistig so heruntergekommenen evangelischen Kirche? Oder war doch alles nur höheres Indianerspiel, eine elaborierte Form von Rotary Club, eine Art modisches Managerseminar, verbrämt mit Ritterschlag und Gehorsamsgelübde?

Oder war es gar eine verkirchlichte Wiederauferstehung von DDR- und Stasi-Praktiken unheiligen Angedenkens, wo jeder jeden überwachte und zu parteigemäßem Sprechen und Handeln ermahnte und man zwei Jahre lang im Kandidatenstand verharren mußte, bis man endlich in die allwissende Partei aufgenommen wurde? Einige der schwarzen Brüder stammten ja, wie sich Pankraz wohl erinnerte, aus der DDR und hatten dort, wenn auch durchweg in Opposition und oft unter dem Druck von schwerer Verfolgung, die Methoden damaliger "Kaderbildung" und Eliteschulung miterlebt. Hatten sie da eine Erbschaft entdeckt, die sie reinigen und für bessere Zwecke nutzbar machen wollten?

An dem Ernst der Leute konnte jedenfalls kein Zweifel sein. In den Gesprächen kam heraus, wie sehr jeder einzelne von ihnen von dem gegenwärtigen Polit- und Kulturbetrieb in Deutschland angewidert ist und auf Abhilfe sinnt. Und alle waren sich darin einig, daß der Kern des Übels in der Transzendenzlosigkeit und Gottesferne der Zustände liegt, im flachen Materialismus und banalen Funktionalismus seiner herrschenden und ausführenden "Eliten", die nur noch an 35-Stunden-Woche und Rentenanpassung denken können.

Keiner der schwarzen Brüder, mit denen Pankraz sprach, empfand den strengen und tief in die Tradition der Orden und Bruderschaften greifenden Komment, dem sie sich unterworfen haben, als Ritterromantik und höheres Indianerspiel, im Gegenteil, er war ihnen bereits so natürlich geworden, daß sie sich ob solcher Assoziationen verwunderten und sie belächelten. "Was richtig ist, das muß gepflegt werden", so die übereinstimmende Meinung, "und die Mönchs- und Ordensform ist zweifellos auch heute noch und heute gerade wieder ein sehr passendes Kleid für Caritas und gelebtes Pflichtbewußtsein. Deshalb ja die wachsende Bereitschaft, auch in evangelischen Kirchen Bruderschaften zu fördern."

All das klang gut. Um eine Einladung zum nächsten Konvent sollte man sich kümmern. Und vielleicht reicht es eines Tages zu einem ehrenvollen Platz im Ordensschild.


 
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