© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/03 04. Juli 2003

 
Der dritte Mann
Der Inder Subhas Chandra Bose steht bis heute im Schatten Gandhis und Nehrus
Thomas Hartenfels

Der indische Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee besuchte Ende Mai die Geburtsstätte der indischen Nation; das Land, wo das erste Mal die Nationalhymne seines Landes erklang, die indische Nationalflagge das erste Mal gehißt wurde und die ersten indischen Briefmarken gedruckt wurden: Er war zu Besuch in Deutschland.

Warum die äußeren Erkennungszeichen des indischen Staates ausgerechnet in Deutschland ihre Premiere erlebten, hängt eng mit der Person Subhas Chandra Boses zusammen. Der neben Gandhi und Nehru bekannteste indische Freiheitskämpfer schmiedete aus dem deutschen Exil militärische Pläne zur Befreiung seiner Heimat von der britischen Kolonialherrschaft.

Exil-Indien erklärte Großbritannien den Krieg

Nach der letzten von mehreren Verhaftungen in Indien flüchtet der ehemalige Bürgermeister von Kalkutta 1941 mit seiner deutschen Frau, die er während einer mehrjährigen Tätigkeit in Wien kennengelernt hatte, mit einem italienischen Diplomatenpaß über Kabul und die Sowjetunion nach Deutschland. Über Radiosendungen ruft der 44jährige Bose von Deutschland aus zum Aufstand gegen die britischen Kolonialherren auf und wirbt Freiwillige für seine "Azad Hind" (Freies Indien)-Legion.

Besonders die deutschen Erfolge gegen die Sowjetunion und gegen die Briten in Nordafrika ermutigten Bose 1942, eine "Indische Legion" aufzustellen, die gemeinsam mit den Achsenmächten Indien von den britischen Besatzern befreien soll. Die etwa 3.000 Freiwilligen der "Indischen Legion" werden in der Nähe von Dresden ausgebildet und tragen deutsche Uniformen mit einem Ärmelabzeichen in den indischen Nationalfarben, einem springenden Tiger und der deutschen Aufschrift "Freies Indien". Die eigens für die "Indische Legion" entwickelte Befehlssprache Hindustani trägt den zahlreichen indischen Dialekten und dem komplizierten Kastensystem Rechnung und muß von den befehligenden deutschen Offizieren mittels des Wehrmacht-Militärwörterbuchs "Hindustani-Sprachlehre" erlernt werden. Die äußeren Erkennungszeichen des indischen Staates werden vier Jahr vor seiner Unabhängigkeit in Deutschland präsentiert: Als Bose 1943 die "Deutsch-Indische Gesellschaft" in Hamburg gründet, werden zum ersten Mal zu den Klängen der noch heute gültigen Nationalhymne Indiens die indischen Nationalfarben geflaggt. Auch werden die ersten Briefmarken des freien Indiens 1943 in Berlin gedruckt.

Am 26. Januar 1943 begehen deutsche Offiziere und die "Indische Legion" in einem festlichen Akt den Indischen Unabhängigkeitstag, der im heutigen Indien am gleichen Tag gefeiert wird. Das freie Indien, wie es sich die Freiheitsbewegung vorstellt, nimmt zuerst in Deutschland Gestalt an.

Doch Bose will den Freiheitskampf auf mehrere Fronten ausweiten. 1943 schlägt er sich als Passagier des deutschen U-Boots 180 nach Japan durch, sendet von Tokio aus seine in Indien vielbeachteten und legendär gewordenen Radiosendungen und stellt mit Hilfe der Japaner eine 50.000 Mann starke "Nationalarmee" auf. Während die "Indische Legion" auf deutscher Seite unter anderem an den Abwehrkämpfen in der Normandie beteiligt war, nahm Boses "Nationalarmee" erfolgreich am Burmafeldzug teil. Als Kopf der indischen Exilregierung erklärt Bose noch 1943 Großbritannien und den USA den Krieg. Am 18. August 1945, zwei Jahre vor Erreichen seines Ziels, der Unabhängigkeit Indiens, kommt Subhas Chandra Bose bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg nach Japan über Taiwan ums Leben.

Boses Tochter lebt noch heute in Deutschland

Seine 1941 in Deutschland geborene Tochter Anita lehrt heute Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Augsburg. Anita Pfaff hat sich viel mit der indischen Geschichte und der Rolle ihres Vaters im indischen Freiheitskampf beschäftigt und ist sich mit dem Großteil der Inder einig, daß die Unabhängigkeit Indiens Männern wie ihrem Vater, Nehru und Gandhi zu verdanken ist. Dies spiegelt sich in den Feierlichkeiten zum hundertsten Geburtstag Subhas Chandra Boses wider, die 1997 in ganz Indien begangen wurden. Ein Flughafen und mehrere Straßen sind nach ihm benannt, Gedenkstätten, Münzen und Briefmarken wurden ihm gewidmet.


 
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