© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/03 04. Juli 2003

 
Imperiale Demokratie im Sonderangebot
Standpunkt: Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy kritisiert die Erosion der Meinungsfreiheit in den USA und die Heuchelei der europäischen Regierungen
Arundhati Roy

In diesen Tagen, da wir kaum hinterherkommen, so schnell werden uns unsere Freiheiten entrissen, haben wenige von uns die Muße, sich für eine Weile von der Straße zurückzuziehen, um danach mit einer brillant ausformulierten politischen Dissertation mitsamt Fußnoten und Querverweisen aufzuwarten. Was kann ich Ihnen Tiefgründiges mitbringen? Solange wir von einer Krise in die nächste schlittern - Krisen, die mit Hilfe des Satellitenfernsehens direkt in unsere Köpfe gestrahlt werden -, müssen wir im Laufen denken. Wir kommen durch Kriegsruinen zur Geschichte. Kaputte Städte, verdorrte Äcker, schrumpfende Wälder und sterbende Flüsse sind unsere Archive, Bombenkrater unsere Bibliotheken. Was habe ich Ihnen heute abend anzubieten? Ein paar unbequeme Gedanken über Geld, Krieg, Imperium, Rassismus und Demokratie. Ein paar Sorgen, die in meinem Kopf herumflattern wie lästige Motten und mich nicht schlafen lassen.

Manche von Ihnen werden meinen, es gehört sich nicht, daß jemand wie ich, die ich offiziell als "indische Staatsbürgerin" geführt werde, herkommt und Ihre Regierung kritisiert. Ich persönlich bin keine Fahnenschwenkerin, keine Patriotin, und ich weiß sehr genau, daß Korruption, Brutalität und Heuchelei in die bleierne Seele eines jeden Staates gestanzt sind. Wenn aber ein Land aufhört, ein Land zu sein, und zum Imperium wird, verschieben sich die Parameter drastisch. Darf ich also klarstellen, daß ich heute abend hier als Untertan des amerikanischen Imperiums spreche? Ich spreche als Sklavin, die sich anmaßt, ihren Herrscher zu kritisieren. (...)

Die Fakten sind egal, wenn es ums Imperium geht

Vor langer Zeit, am 3. Juli 1988, schoß der im Persischen Golf stationierte Raketenkreuzer USS Vincennes aus Versehen ein iranisches Zivilflugzeug ab. 290 Passagiere kamen ums Leben. George Bush der Erste, der damals gerade für die Präsidentschaft kandidierte, wurde nach seiner Beurteilung des Vorfalls gefragt. Er sagte, er werde sich niemals im Namen der Vereinigten Staaten entschuldigen: "I don't care what the facts are."

Die Fakten sind mir egal. Welch perfekte Devise für das neue amerikanische Imperium. Etwas abgewandelt wäre es sogar noch treffender: "Die Fakten sind so, wie es uns am besten in den Kram paßt."

Als die USA im Irak einmarschierten, glaubten laut einer Studie von CBS und der New York Times 42 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, Saddam Hussein sei für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich. Eine Umfrage von ABC News zeigte, daß 55 Prozent der Amerikaner meinten, Saddam Hussein unterstütze al Qaida. Diese Meinungen stützen sich nicht etwa auf Beweise (weil es keine gibt), sondern auf Vermutungen, Verdächtigungen und Lügen, die die US-amerikanischen Medienkonzerne verbreitet haben, jene auch als freie Presse bekannte hohle Säule, auf der die zeitgenössische amerikanische Demokratie ruht. (...)

Wenn Saddam Hussein böse genug war, um den aufwendigsten, öffentlichsten Mordversuch der Weltgeschichte zu verdienen (mit dem Operation Shock and Awe begann), dann müßten diejenigen, die ihn jahrzehntelang unterstützt haben, zumindest als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden. Warum sind nicht auch die Gesichter amerikanischer und britischer Regierungsmitglieder auf den berüchtigten Spielkarten abgebildet?

Weil die Fakten egal sind, wenn es um das Imperium geht. (...)

Justizminister John Ashcroft sagte vor kurzem, die amerikanischen Freiheiten seien "nicht durch irgendeine Regierung oder ein Dokument gewährt, sondern ... sie sind uns von Gott gestiftet worden". Warum sollte man sich auch um die Vereinten Nationen scheren, wenn Gott höchstselbst zur Stelle ist?

So sieht es aus: Wir, die Völker der Welt, stehen einem Imperium gegenüber, das mit einem himmlischen Mandat bewaffnet ist (und, um auf Nummer sicher zu gehen, mit dem gewaltigsten Arsenal an Massenvernichtungswaffen aller Zeiten). Wir stehen einem Imperium gegenüber, das sich selber das Recht bewilligt hat, jederzeit einen Krieg anzufangen, und das Recht, Völker von schädlichen Ideologien, religiösem Fundamentalismus, Diktatoren, Sexismus und Armut zu erlösen - mittels einer uralten Methode, die sich stets als wirksam erwiesen hat: der Ausrottung. Das Imperium ist auf dem Vormarsch, und sein neuer Schlachtruf heißt Demokratie. Demokratie, die uns mit "Daisy Cutters" ins Haus geliefert wird, jenen scherzhaft "Gänseblümchen-Mäher" genannten Benzinbomben. Der Tod ist ein kleiner Preis für das Privileg, dieses neue Produkt testen zu dürfen: Imperiale Demokratie im Fertig-Mix (zum Kochen bringen, Öl dazu - bombig).

Aber Schlitzaugen, Nigger und andere Untermenschen zählen wohl nicht. Wenn wir sterben, ist das kein richtiger Tod. Unsere Geschichten sind nicht Geschichte. So war es schließlich schon immer. (...)

Demokratie ist die Hure der freien Welt

Sobald der Krieg begonnen hatte, konnten die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und Rußlands, die zuvor verhindert hatten, daß der UN-Sicherheitsrat eine Resolution erließ, die den Krieg rechtens gemacht hätte, gar nicht eifrig genug beteuern, wie sehr sie einen Sieg der USA wünschten. Jacques Chirac stellte den anglo-amerikanischen Luftstreitkräften französischen Luftraum zur Verfügung. Joschka Fischer und Wladimir Putin erklärten beide öffentlich, sie hofften auf einen schnellen Sturz von Saddam Hussein.

Diese Regierungen hatten der erzwungenen Entwaffnung des Irak zugestimmt, bevor sie seinen Angreifern so eilfertig zur Seite sprangen. Sie hofften, doch noch einen Anteil an der Kriegsbeute zu erhalten, und vor allem hofften sie, das Imperium würde die Ölverträge honorieren, die sie vor dem Krieg mit dem Irak abgeschlossen hatten. Nur wer sehr naiv ist, hätte von alten Imperialisten etwas besseres erwartet.

Allem billigen Nervenkitzel und hochtrabenden Gerede in der Uno zum Trotz war die Einigkeit der westlichen Regierungen, als es schließlich zur Krise kam, überwältigend, auch wenn die Mehrheit ihrer eigenen Bürger den Krieg ablehnte. Als die türkische Regierung vorübergehend dem Willen von 90 Prozent ihrer Bevölkerung nachgab und die Milliarden Dollar ausschlug, die die USA ihr als Blutgeld für die Nutzung türkischen Territoriums anboten, wurde ihr ein Mangel an "demokratischen Prinzipien" vorgeworfen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup International zufolge lag die Unterstützung für einen "unilateral von den USA und ihren Verbündeten" geführten Krieg in keinem europäischen Land über 11 Prozent. Doch die Regierungen in London, Rom, Madrid, Budapest und anderen osteuropäischen Hauptstädten wurden dafür gelobt, sich über den Willen der Mehrheit ihrer Bürger hinweggesetzt zu haben. Offenbar war das voll und ganz mit den Prinzipien der Demokratie vereinbar.

In krassem Gegensatz zu dem schändlichen Verhalten ihrer Regierungen demonstrierten am 15. Februar, Wochen vor der Invasion, mehr als zehn Millionen Menschen auf allen fünf Kontinenten gegen den Krieg. Es war die spektakulärste Vorführung öffentlichen Moralempfindens, die die Welt je gesehen hatte. Ich bin sicher, daß viele von Ihnen mit dabei waren.

Sie wurden mit totaler Verachtung behandelt. Auf die Frage, wie er auf die Proteste der Kriegsgegner reagiere, sagte Präsident Bush: "Das ist, als ob man eine Marktstudie zur Grundlage seiner Politik machte. Die Aufgabe eines politischen Führers besteht darin, die Sicherheit, in diesem Fall die Sicherheit des Volkes, zum Maßstab zu nehmen."

Demokratie, die heilige Kuh der Neuzeit, steckt in der Krise, und zwar in einer tiefen. Die empörendsten Verbrechen werden im Namen der Demokratie begangen. Demokratie ist wenig mehr als ein leeres Wort, eine gefällige Hülse, der Inhalt und Bedeutung genommen wurden. Sie kann alles sein, was man will. Demokratie ist die Hure der freien Welt, bereit, sich je nach Geschmack an- oder auszuziehen, bereit, die unterschiedlichsten Bedürfnisse zu befriedigen. Sie läßt sich nach Belieben benutzen und mißbrauchen.

Bis in die 1980er Jahre hinein schien es, als könnte die Demokratie uns tatsächlich ein gewisses Maß an sozialer Gerechtigkeit bringen. Doch die modernen Demokratien gibt es schon lange genug, daß neoliberale Kapitalisten inzwischen gelernt haben, sie erfolgreich umzukrempeln. Sie haben sich Techniken angeeignet, um die Instrumente der Demokratie zu unterwandern - die unabhängige Justiz, die freie Presse, die Parlamente - und sie ihren Zwecken anzupassen. Dem Globalisierungsprojekt der Großkonzerne ist es gelungen, den Code zu knacken. Freie Wahlen, eine freie Presse und eine unabhängige Justiz wollen wenig heißen, wenn die freie Marktwirtschaft sie zu bloßen Waren gemacht hat, die meistbietend zum Verkauf angeboten werden. (...)

Proteste stellten öffentliche Moral spektakulär zur Schau

Während die amerikanische Unterhaltungsindustrie die Gewalt immer mehr verherrlicht und Amerikas Kriege den Unterhaltungsprogrammen immer ähnlicher werden, kommt es zu einigen interessanten Überschneidungen. Die Firma, die das 250.000-Dollar-Set in Katar baute, von dem aus Tommy Franks die Berichterstattung über Operation Shock and Awe orchestrierte, arbeitet sonst für Disney, MGM oder für die Frühstückssendung "Good Mor-ning, America".

Es ist eine grausame Ironie, daß ausgerechnet die USA, wo die Meinungsfreiheit ihre heftigsten und lautstärksten Verteidiger findet und (bis vor kurzem jedenfalls) durch ein umfassendes Gesetzeswerk geschützt ist, den Raum so eingegrenzt haben, in dem diese Freiheit zum Ausdruck kommen kann. Auf seltsame und komplizierte Weise verdeckt gerade das Getöse, das um den gesetzlichen und begrifflichen Schutz der Meinungsfreiheit gemacht wird, die rapide Erosion sämtlicher Möglichkeiten, diese Freiheit tatsächlich auszuüben. Die Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie der USA wird größtenteils von ein paar Großkonzernen kontrolliert: AOL-Time Warner, Disney, Viacom, News Corporation. Jeder dieser Konzerne besitzt und kontrolliert Fernsehsender, Filmstudios, Plattenfirmen und Printmedien.

Amerikas Medienimperium untersteht der Kontrolle einer kleinen Gruppe von Menschen. Michael Powell, Sohn des Außenministers Colin Powell und Vorsitzender der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Federal Communications Commission, hat sogar angeregt, die Medien noch weiter zu deregulieren, was zu einer noch stärkeren Konsolidierung führen wird.

Hier haben wir also die größte Demokratie der Welt, angeführt von einem Mann, der nicht demokratisch gewählt wurde. Sein Amt verdankt er dem Obersten Gericht. Welchen Preis hat das amerikanische Volk für diese fragwürdige Präsidentschaft bezahlt?

In den zweieinhalb Jahren seit George W. Bushs Amtsantritt hat die amerikanische Wirtschaft zwei Millionen Stellen eingebüßt. Absurde Rüstungsausgaben, Verhätschelung der Konzerne und Steuergeschenke an die Reichen haben für eine Finanzkrise im Bildungssystem gesorgt. Im Jahr 2002 kürzten die US-Bundesstaaten ihre Ausgaben im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen um 49 Milliarden Dollar. Weitere Kürzungen in Höhe von 25,7 Milliarden sollen in diesem Jahr folgen. Das ergibt insgesamt 75 Milliarden. Bushs ursprüngliche Budgetforderung für die Finanzierung des Irak-Krieges belief sich auf 80 Milliarden.

Der Krieg nützt einer Elite aus Politik und Wirtschaft

Wer bezahlt also den Krieg? Amerikas Arme. Seine Schüler und Studenten, seine Arbeitslosen, seine alleinerziehenden Mütter, seine Patienten, seine Lehrer und Krankenpfleger. Und wer kämpft in diesem Krieg? Ebenfalls Amerikas Arme. Die Soldaten, die unter der irakischen Wüstensonne verbrennen, sind nicht die Kinder der Reichen. Von allen Kongreßabgeordneten und Senatoren hat nur ein einziger ein Kind, das im Irak mitgekämpft hat. Das amerikanische Freiwilligenheer funktioniert nur durch eine Art Armutswehrpflicht für Angehörige der weißen Unterschicht, Schwarze, Latinos und Asiaten, die Verdienstmöglichkeiten und einen Zugang zur Bildung suchen. Afro-Amerikaner stellen 29 Prozent der Armee, aber nur 12 Prozent der Gesamtbevölkerung. (...)

Wir wissen also, wer den Krieg bezahlt. Wir wissen, wer in ihm kämpft. Aber wem nützt er? Wer profitiert von der Vergabe der Verträge zum Wiederaufbau in Milliardenhöhe? Die Armen und Kranken und Arbeitslosen etwa? (...) Wieder ist es nur ein erlauchter Kreis, in dem sich die wirtschaftliche, militärische und politische Führungselite trifft. Das Defense Policy Board zum Beispiel ist ein von der Regierung ernanntes Gremium, das das Pentagon in verteidigungspolitischen Fragen berät. Seine Mitglieder werden vom Staatssekretär für Verteidigungspolitik ernannt und vom Verteidigungsminister bestätigt. Die Beratungen sind streng geheim. Der Öffentlichkeit werden keinerlei Informationen über seine Tätigkeit zugänglich gemacht.

Laut Recherchen des Washingtoner Center for Public Integrity haben neun der dreißig Mitglieder des Defense Policy Board Verbindungen zu Firmen, die in den Jahren 2001 und 2002 Rüstungsverträge im Gesamtwert von 76 Milliarden Dollars erhielten. (...)

Über diese ganzen Machenschaften hinweg spannt sich der Bogen der Gesetzgebung zur Terrorismusbekämpfung, die an Heimtücke kaum zu überbieten ist. Der am 13. Oktober 2001 mit einer Mehrheit von 337 zu 79 Stimmen vom Repräsentantenhaus verabschiedete USA Patriot Act hat seither als Blaupause für ähnliche Gesetze in anderen Ländern gedient. Die New York Times schreibt dazu: "Viele Abgeordnete sagten, es sei ihnen unmöglich gewesen, den Gesetzentwurf wirklich zu debattieren oder auch nur zu lesen."

Der Patriot Act läutet ein Zeitalter der automatischen Überwachung ein. Er erteilt der Regierung die Befugnis, Telefonleitungen und elektronische Datenübermittlungen abzuhören und die Menschen in einer Art und Weise auszuspionieren, die uns noch vor wenigen Jahren absolut indiskutabel erschienen wäre. Er ermächtigt das FBI, sämtliche Akten von Bibliotheken und Buchhandlungen zu beschlagnahmen, deren Kunden ja einem terroristischen Netzwerk angehören könnten. Er läßt die Grenzen zwischen Meinungsäußerung und krimineller Aktivität unscharf werden und schafft somit eine Grauzone, in der ziviler Ungehorsam als Gesetzesverstoß ausgelegt werden kann. (...)

Schlimm genug, daß das amerikanische Volk die wirtschaftlichen Kosten des Krieges zu tragen hat, es bezahlt diese Befreiungskriege mit seinen eigenen Freiheiten. Für den amerikanischen Durchschnittsbürger ist der Preis für Demokratie in anderen Ländern der Tod einer wirklichen Demokratie im eigenen Land. (...)

Die US-Regierung hat das Ausmaß ihrer Neigung zur paranoiden Aggression überdeutlich zur Schau gestellt. Die Humanpsychologie betrachtet paranoide Agression in der Regel als Anzeichen nervöser Unsicherheit. Man könnte davon ausgehen, daß in der Staatspsychologie etwas ähnliches zutrifft. Das Imperium ist paranoid, weil es Schwachstellen hat.

Sein Heimatland mag sich mit Grenzpatrouillen und Nuklearwaffen verteidigen lassen, aber seine Wirtschaft ist um den ganzen Erdball verteilt. Seine wirtschaftlichen Außenposten sind angreifbar. Schon jetzt schwirren im Internet unzählige ausführliche Listen über amerikanische und britische Produkte und Firmen herum, die man boykottieren soll. Neben den üblichen Zielscheiben wie Coca Cola, Pepsi, McDonald's könnten sich auch Regierungsbehörden wie USAID oder das Ministerium für internationale Entwicklung (DFID) in Großbritannien, britische und amerikanische Banken, Arthur Andersen, Merrill Lynch, American Express durch Boykotte bedrängt sehen. Aktivisten aus aller Welt arbeiten daran, diese Listen auszufeilen und zu vervollständigen. Sie könnten der amorphen, aber wachsenden Wut auf das amerikanische Imperium als praktische Gebrauchsanleitung dienen. Plötzlich scheint es, als ließe sich das "unabwendbare" Globalisierungsprojekt der Konzerne doch noch verhindern.

Die Zivilgesellschaft ist mächtiger als ihre Regierung

Es wäre naiv zu meinen, wir könnten uns dem Imperium direkt entgegenstellen. Unsere Strategie muß darin bestehen, seine einzelnen Teile zu isolieren und funktionsunfähig zu machen. Kein Ziel ist zu klein. Kein Sieg zu unbedeutend. Wir könnten den Gedanken der Wirtschaftssanktionen, die das Imperium und seine Verbündeten gegen arme Länder verhängen, umdrehen, indem wir als Volk Sanktionen gegen jede Firma verhängen, die am Wiederaufbau des Irak beteiligt ist - genauso wie Aktivisten in den USA und der ganzen Welt einst die Institutionen der Apartheid aufs Korn nahmen. Jede einzelne dieser Firmen müßte benannt, bloßgestellt und boykottiert werden, bis sie zur Geschäftsaufgabe gezwungen ist. So etwa könnte unsere Antwort auf Operation Shock and Awe aussehen. Es wäre ein toller Anfang.

Die zweite große Herausforderung bestünde darin, die Medienkonzerne als Handlanger der Wirtschaft bloßzustellen. Wir müssen ein Netzwerk alternativer Information schaffen und die bereits existierenden unabhängigen Medien unterstützen.

Der Kampf um die Zurückeroberung der Demokratie wird schwierig werden. Unsere Freiheiten wurden uns nicht von irgendwelchen Regierungen gewährt, sondern wir haben sie ihnen abgerungen. Und wenn wir sie einmal preisgegeben haben, wird aus dem Kampf um ihre Wiederherstellung eine Revolution. Dies ist ein Kampf, der über Kontinente und Länder hinweg geführt werden muß, der sich um nationale Grenzen nicht kümmern darf. Aber anfangen muß er hier, in Amerika. Die einzige Institution, die mächtiger ist als die amerikanische Regierung, ist die amerikanische Zivilgesellschaft. Wir anderen sind Untertanen versklavter Nationen. Wir sind keineswegs machtlos, aber Ihr Amerikaner habt die Macht der Nähe. Ihr habt Zugang zu den kaiserlichen Gemächern. Das Imperium führt seine Eroberungsfeldzüge in Eurem Namen, und Ihr habt das Recht, Nein zu sagen. Ihr könnt Euch weigern, in den Krieg zu ziehen. Weigert Euch, die Raketen aus der Munitionsfabrik zum Hafen zu transportieren. Weigert Euch, die Fahne zu schwenken. Geht nicht zur Siegesparade. (...)

Ich widerspreche nur ungern Eurem Präsidenten. Amerika ist keineswegs eine großartige Nation. Aber Ihr Amerikaner könntet ein großartiges Volk sein. Die Geschichte gibt Euch die Gelegenheit dazu. Ergreift sie!

 

Foto: George W. Bush spricht am 5. Juni 2003 vor fast 3.000 Soldaten des US-Stützpunktes As Saliyah in Katar: Die Völker der Welt stehen einem Imperium gegenüber, das mit himmlischem Mandat bewaffnet ist

 

Suzanna Arundhati Roy wurde 1959 in Shillong im südindischen Bundesstaat Kerala geboren, heute lebt sie in Neu-Delhi. Ihr bislang einziger Roman ("Der Gott der kleinen Dinge", Blessing 1997) gewann den renommierten britischen Booker-Literaturpreis und machte sie international bekannt. Seit 1998 engagiert sich die politische Aktivistin Roy gegen die Atombombentests und das gewaltige Narmada-Staudamm-Projekt der indischen Regierung. Für Aufsehen haben in den letzten Jahren vor allem ihre provozierend-zugespitzten Essays zu den Folgen der Glo-balisierung und der US-amerikanischen Hegemonialpolitik der Regierung Bush gesorgt. Veröffentlichungen: "Das Ende der Illusionen" (1999), "Die Politik der Macht" (2002)

 

Bei diesem Text handelt es sich um eine Rede, die Arundhati Roy am 13. Mai im Rahmen einer Veranstaltung des Center for Economic and Social Rights (CESR) in der Riverside Church in Harlem, New York, gehalten hat und die wir hier mit freundlicher Genehmigung auszugsweise veröffentlichen.


 
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