© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/03 04. Juli 2003

 
Angst vor Rechtspopulismus
"Kampf gegen Rechts" I: Tagung in Schleswig-Holstein / "Ist Schill der deutsche Haider?"
Hans-Joachim von Leesen

Wer davon ausgeht, daß staatliche politische Bildung weniger der Verbreitung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse dient als vielmehr der Förderung der politischen Korrektheit und dem Machterhalt der politischen Klasse, der wird dem Referat hohes Lob zollen, das der ansonsten an der Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrende Wolfgang Gessenharter im Rahmen des "Forum Politik" der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein zum Thema "Ist Ronald Schill der deutsche Haider?" hielt. Gessenharter, dessen Standort häufig beschönigend als "linksliberal" bezeichnet wird und dem man nicht nachsagen kann, daß er unter Berührungsangst mit Linksextremen leidet, konnte nicht genug warnen vor dem überall in Europa aufkommenden Rechtspopulismus.

Schill und Haider, denen er "Antiuniversalismus" ebenso ankreidet wie ein "pessimistisches Geschichtsbild" (Schill glaube nicht an das Gute im Menschen, da er "ein Fachidiot der Kriminellenszene" sei), hielten die Aufklärung für überholt. Zwar lehnten sie die nationalsozialistische Ideologie ab, doch seien sie Anhänger der Konservativen Revolution, als deren schlimmsten Vertreter er Carl Schmitt, "den Steigbügelhalter des NS-Systems", bezeichnete, dem aber auch der einstige Bundespräsidentschaftskandidat Steffen Heitmann zum Opfer gefallen sei, der sich "von der rechten Lektüre von Welt und FAZ" habe beeinflussen lassen.

Da sich Rechtspopulisten in ihren Programmen aufs Gemeinwohl beriefen, könne man schließen, daß sie im Gegensatz zum Grundgesetz den Individualismus ablehnten. Schill gar habe die "Wiederherstellung einer Wertegesellschaft" gefordert, was eine Absage an die Freiheit bedeute. Bedenklich auch, daß sich Schill für den "staatlichen Repressionsapparat" besonders einsetze, nämlich für die Polizei, womit er seinen autoritären Etatismus unter Beweis stelle. Schills wie Haiders Ausländerkritik sei bezeichnend für das Freund-Feind-Denken, wie es Carl Schmitt postuliert habe. Beide orientierten sich am Volk und nicht am intellektuellen Establishment, beide lehnten Ideologien ab und setzten an ihre Stelle die Wirklichkeit.

Es sei ein "Ding aus dem Tollhaus", daß der Innensenator Schill sich von der JUNGEN FREIHEIT habe interviewen lassen, obwohl sie im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht stehe, und "dafür wird der nordrhein-westfälische Innenminister wohl seine Gründe haben".

So belehrt, stellten manche Zuhörer der nicht eben großen Runde dennoch kritische Fragen, so etwa die, warum man nicht einen Vertreter der nahe Kiel tätigen Schill-Partei zu einer Selbstdarstellung eingeladen habe. Gessenharter warnte aufgeregt davor, "solchen Leuten eine Plattform zu bieten". Er habe einmal erlebt, wie Karlheinz Weißmann bei einer Tagung, auf der er zusammen mit Gessenharter auftrat, in der Diskussion allein das Interesse des Publikums auf sich gezogen habe.

Dänen sehen ihre kulturelle Hegemonie gefährdet

Kenntnisreich und sachlich berichtete Christian Pletzing, Lübeck, über die rechtspopulistischen Parteien in Polen, an der Spitze Andrzej Leppers mit seiner Partei "Selbstverteidigung". Zunächst eine Selbstschutzorganisation der bedrängten polnischen Landwirte, sei sie inzwischen zu einer Volksbewegung geworden, die sich gegen den Kapitalismus wendet. Sie sei antiwestlich, antiglobal, basiere nicht zuletzt auf der katholischen Soziallehre und trete für nationale Souveränität gegen Brüssel und Washington ein. Daß sie heftige Abneigung gegen die Deutschen propagiere, obwohl Leppers auf einem ehemals deutschen Bauernhof lebe, sei ebenso wenig zu verkennen wie die Neigung zu einen homogenen polnischen Nationalstaat mit wechselnden Bündnissen - wie die polnischen Regierungen 1939.

Ihr verwandt sei die "Liga der polnischen Familien", die sich um den nationalkatholischen Rundfunksender "Maria" gruppiert hat und neben den Zielen, die auch die "Selbstverteidigung" propagiere, noch einen kräftigen Antisemitismus schüre. Beide Parteien, die zusammen bei der letzten Sejm-Wahl über 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinigten, hätten sich gegen den Beitritt Polens zur Nato und zur EU ausgesprochen. Der Referent ging davon aus, daß die rechtspopulistischen Grundtendenzen in Polen von Dauer seien.

Ähnlich schätzte Carsten Schlüter-Knauer den Rechtspopulismus in Dänemark ein, der besonders in der Dansk Folkeparti zum Ausdruck komme, aber nicht auf sie beschränkt sei. Im Mittelpunkt des sich ausbreitenden Rechtspopulismus stehe eine durch islamische Einwanderung (4,8 Prozent) entstandene Identitätsdiskussion. Die Dänen, die sich als Volksstamm empfinden, sehen ihre kulturelle Hegemonie in Gefahr. Wirtschaftsprobleme seien zweitrangig. Unter dem Einfluß dieser Grundströmung seien sogar die Sozialdemokraten, erst recht aber die nationalliberale Venstre-Partei "rassistisch" geworden; es sei ihnen gelungen, erhebliche Wählermassen von den linken Parteien abzuziehen. Da viele Dänen nicht nur antiislamistisch seien, sondern auch immer noch nicht Dänemarks Niederlage im Krieg gegen Preußen und Österreich 1864 sowie den deutschen Einmarsch 1940 verwunden hätten, stünden sie jetzt fest an der Seite der USA in ihrem siegreichen Krieg gegen den Irak.

Ein abenteuerliches Bild der rechtspopulistischen Strömungen in Berlusconis Italien unter Einfluß der ehemaligen Neofaschisten und der norditalienischen Separatisten zeichnete der Seminar-Leiter Klaus Kellmann, der Juan und Evita Peron als Vorbilder für diese Politiker bezeichnete. Er will herausgefunden haben, daß das Ziel die Umwandlung Italiens in eine Präsidialrepublik nach dem Muster de Gaulles sei.

Am eindrucksvollsten erwies sich das Referat der in Rotterdam lebenden deutschen Journalistin Barbara Mounier über die Frage "Wer war Pim Fortuyn?" Sie zeichnete ein lebhaftes Bild der politischen Verhältnisse in den Niederlanden vor dem Auftreten des Rechtspopulisten: eine Konsenskultur aus Protestanten, Katholiken, Liberalen und Sozialisten, die sich in allen wesentlichen Fragen einig waren und offene Probleme nicht diskutierten, sondern gelegentliche Ausfransungen des Systems duldeten und sich durch Klüngelwirtschaft am Leben erhielten.

Ihnen stellte sich der hochintelligente, heitere, Optimismus verbreitende, den herrschenden Verhältnissen gegenüber respektlose Fortuyn mit seiner Forderung entgegen, die Niederlande müßten "wachgerüttelt" werden. Ausländer hätten innerhalb eines festgelegten Zeitraumes Niederländisch zu lernen, 50 Prozent aller Beamten seien zu entlassen, Lohnvereinbarungen seien ungültig, die Regierung sei aus Profis mit kleinen schlanken Ministerien zu bilden. Es müsse endlich erkannt werden, daß der Islam die größte Gefahr für den Weltfrieden sei. Daher seien die Grenzen zu schließen, denn: "Das Land ist voll".

Nach Mouniers Ansicht würde er heute Ministerpräsident sein, wäre er nicht ermordet worden. Nun leben die Niederlande wieder unter der alten "violetten" Politik. Alles sei beim alten, nur habe die Verkrampftheit in politischen Dingen abgenommen.

Die Redner waren sich einig, daß rechtspopulistische Tendenzen in Europa zunehmen werden, und das nicht zuletzt aufgrund des unbefriedigenden Wirkens etablierter Parteien.

Hamburgs Innensenator Ronald Schill: "Freund-Feind-Denken"


 
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