© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/03 04. Juli 2003

 
"Wir werden weiterklagen"

Burhan Kesici, Funktionär der Islamischen Föderation, über den Kampf gegen Ulfkottes Buch "Der Krieg in unseren Städten"
Moritz Schwarz

Herr Kesici, Sie sind Verwaltungsratsvorsitzender der Islamischen Föderation in Berlin (IFB), jener Organisation, die Anfang Mai per Einstweiliger Verfügung die Auslieferung der zweiten Auflage des Buches des "FAZ"-Journalisten Udo Ulfkotte "Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern" verhindert hat. Die JUNGE FREIHEIT hatte damals klar Stellung bezogen und Ihre Maßnahme sowie die zahlreichen Klagen anderer moslemischer Vereine gegen den Frankfurter Eichborn-Verlag als Angriff auf die Pressefreiheit gebrandmarkt. Zu Recht?

Kesici: Nein, diesen Vorwurf halte ich für ungerecht. Ich habe grundsätzlich das Gefühl, daß einige Journalisten keinen Überblick über das von Ulfkotte beschriebene Szenario haben und sich lediglich über sein Buch als journalistischen Aufhänger freuen, an dem sie dann eine alarmistische Story aufziehen können. Sobald man sich aber mit ihnen unterhält, merkt man schnell, daß sie gar nicht wissen, worum es eigentlich geht.

Warum hat die IFB Rechtsmittel eingelegt?

Kesici: Das Buch Ulfkottes konfrontiert den Leser mit einer Verschwörungstheorie. Dort werden die Moslems als Quelle der Gefahr für Deutschland beschrieben, doch den Beweis dafür bleibt er letztendlich schuldig.

Zum Beispiel?

Kesici: Er bezieht sich auf Quellen, die er nicht nennt, arbeitet mit Vermutungen und stellt Behauptungen auf, die nicht zutreffen. Da ist es doch das gute Recht der so Beschuldigten, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Sie sprechen quasi von einer Art Notwehr, Ulfkotte dagegen sprach im Interview mit dieser Zeitung von einer Kampagne gegen ihn, deren Ziel nicht die Korrektur von Fehlern ist, sondern "das Buch vom Markt zu drängen".

Kesici: Es ist interessant, sich mit dem Buch zu beschäftigen, das Herr Ulfkotte zuvor verfaßt hat. Titel: "So lügen Journalisten. Der Kampf um Quoten und Auflagen". Eine sehr aufschlußreiche Lektüre, die einiges über die Vorgehensweise verrät, derer er sich in "Der Krieg in unseren Städten" befleißigt.

Zum Beispiel?

Kesici: Zum Beispiel zitiert er aus Büchern, gegen die wir bereits vor Gericht klagen, weil sie unwahre Behauptungen enthalten. So werden Unwahrheiten schneller verbreitet, als wir dagegen vorgehen können. Zudem weiß Ulfkotte genau, daß wir folgerichtig dann ebenso gegen sein Buch klagen müssen. Ich verstehe also nicht, wenn er sich nun überrascht gibt. Das ist doch kalkuliert.

Sie lehnen den Begriff Kampagne ab, doch wie würden Sie die Flut an Prozessen nennen, die offenbar nicht geführt werden mit der Absicht, recht zu bekommen, sondern den Widerstand des Eichborn-Verlags zu ersticken?

Kesici: Auf welche Beweise stützen Sie diese Unterstellung?

Sie haben Ihre Prozesse nicht gewonnen, das Landgericht Berlin hat die Einstweilige Verfügung am 22. Mai wieder aufgehoben, die zweite Auflage ist inzwischen ausgeliefert worden.

Kesici: Diese Auflage durfte nur unter der Bedingung diverser Korrekturen erscheinen.

Das neue Buch erscheint aber kaum verändert.

Kesici: Eben, deshalb beschäftigen sich unsere Juristen auch erneut damit.

Der Kampf gegen das Buch geht also weiter?

Kesici: Solange Herr Ulfkotte weiter Behauptungen in die Welt setzt, die jeder Grundlage entbehren, werden wir selbstverständlich weiterklagen.

Wenn sich Ulfkotte wirklich nur bereichern wollte, hätte er ein schlechtes Geschäft gemacht, denn - auch wenn er darüber nicht reden will - so wird er nach unseren Informationen massiv bedroht, möglicherweise hat es bereits Anschläge auf ihn gegeben.

Kesici: Das mag sein, ich weiß davon nichts.

Offenbar steht er unter Polizeischutz.

Kesici: Das kann auch präventiv geschehen sein, daraus läßt sich nicht schließen, daß er bereits angegriffen wurde. Wenn Sie wüßten, wie viele Drohungen wir bekommen!

Von wem?

Kesici: Vermutlich von deutscher Seite, ich möchte das aber nicht mit Sicherheit sagen, da diese Drohbriefe und -anrufe anonym sind. Wir schließen jedoch aus ihrem Inhalt, daß sie von deutscher Seite kommen.

Wissen Sie von gewaltbereiten Gruppen im Spektrum der islamischen Organisationen in Deutschland?

Kesici: Mir ist nichts bekannt.

Was ist mit den türkischen Grauen Wölfen, Palästinensern, die in Berlin mit Sprengstoffattrappen demonstrieren, und den zu allem bereiten kurdischen Gruppierungen?

Kesici: Bitte, Sie machen den üblichen Fehler; jeder Kurde, Türke oder Palästinenser wird gleich als Moslem identifiziert. Die Grauen Wölfe sind Nationalisten, zudem gibt es sie heute in Deutschland praktisch nicht mehr. Und auch bei den Kurden und Palästinensern sind es eher nationalistische Gründe denn religiöse.

Al-Qaida-Zellen in Hamburg?

Kesici: Die Hamburger al-Qaida-Mitglieder waren keine hier naturalisierten Ausländer, sie haben Deutschland nur als Basis für ihre Operationen genutzt.

Die Anhänger des "Kalifen von Köln"?

Kesici: Das sind lediglich etwa 500 bis 1.000 Personen.

Immerhin, gerade waren Ihnen noch gar keine bekannt.

Kesici: Das ist, als wenn Sie mit Verweis auf Neonazis im Ausland behaupten, die Deutschen seien alle militante Rechtsradikale.

Das stimmt. Allerdings spricht Ulfkotte davon, daß es mit ziemlicher Sicherheit auch in Deutschland künftig zu Terroranschlägen kommen wird. Reine Panikmache?

Kesici: Ich kann mir nicht vorstellen, daß in Deutschland lebende Moslems gewaltbereit sind, geschweige denn Terroranschläge durchführen werden. Wir müssen bei der Diskussion die tatsächlichen Gegebenheiten in Deutschland berücksichtigen und nichts projizieren.

Überdies berichtet Ulfkotte von Kontakten der Islamischen Föderation zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die er als Kommandozentrale des extremistischen Islamismus in Deutschland beschreibt.

Kesici: Milli Görüs ist eine der größten moslemischen Organisationen in Deutschland, mit einer Vielzahl von Strömungen. Daher halte ich es nicht für angebracht, Milli Görüs vereinfachend als "extremistisch" zu beschreiben. Da es die IGMG praktisch überall in Deutschland gibt, ist es unvermeidlich, daß auch wir Leute von Milli Görüs kennen - aber wir arbeiten nicht zusammen.

Welche Art von Beziehung pflegt die Islamische Föderation sonst mit der IGMG?

Kesici: Die Beziehung ist praktisch Null.

Ihr Vorsitzender, Nail Dural, ist laut Informationen des Bayerischen Rundfunks immerhin auch Vorsitzender der IGMG-Gruppe Berlin.

Kesici: Nein, er hat keinerlei Funktion bei Milli Görüs. Herr Dural gehört zu den angesehensten Theologen bundesweit, er wird gerne von verschiedenen Gruppierungen um Rat gebeten. Darunter sind höchstwahrscheinlich auch Leute von Milli Görüs.

Aber auch Mohammed Herzog, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Berlin, bestätigte in einem Interview mit unserer Zeitung (JF 27/03) die Personalunion zwischen Islamischer Föderation und Milli Görüs.

Kesici: Herr Herzog ist ein Individualist, der keinerlei Kontakte zu den islamischen Gemeinschaften in Berlin hat. Seine realitätsfernen Äußerungen sorgen seit längerem für Unruhe. Er wird von den verantwortlichen Institutionen nicht mehr ernst genommen.

Wenn es sich bei Milli Görüs nicht um eine extremistische Organisation handelt, warum arbeiten Sie dann nicht im Sinne moslemischer Interessen in Deutschland zusammen?

Kesici: Jede Organisation hat ihr eigenes Anliegen. Warum sollten wir uns diese Aufgabe durch Zusammenarbeit erschweren?

Wie kommen Sie auf erschweren?

Kesici: Zwar gibt es Überschneidungen, aber Milli Görüs ist schwerpunktmäßig im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich aktiv, wir dagegen im religiösen - jeder erledigt seine Aufgaben.

Was sehen Sie denn als Aufgaben der IFB an?

Kesici: Den Moslems in Berlin zu helfen, wie Moslems leben zu können und ihre Interessen mit denen ihrer deutschen Umwelt zu verbinden.

Der ehemalige Vorsitzende von Milli Görüs, Mehmet Erbakan, hat einmal formuliert, solange die deutschen Gesetze und die Gesetze des Koran nicht kollidierten, gäbe es keine Probleme für ein gedeihliches Nebeneinander von Türken und Deutschen im Land. Was, wenn dies einmal nicht mehr der Fall sein sollte?

Kesici: Man muß sich darüber im klaren sein, daß der Islam in den traditionell islamischen Ländern auch traditionell bzw. unter den spezifischen Gesichtspunkten dieser Länder interpretiert wird. Wenn man sich mit dem Koran beschäftigt, stellt man fest, daß viele Inhalte aber ganz anders anmuten als gemeinhin dargestellt. Es ist deshalb die Aufgabe der Moslems in Europa, eine europäische Interpretation des Islam zu erarbeiten. Ein Beispiel: Der Islam widerspricht mitnichten der Demokratie, wie gern behauptet wird. Daß in einigen Ländern der moslemischen Welt Islam und Demokratie auf Kriegsfuß stehen, liegt vor allem daran, daß man in diesen Ländern schlechte Erfahrungen bei der Einführung von Demokratie gemacht hat. In einigen Ländern sahen die traditionellen Eliten Demokratie als Bedrohung ihrer Macht an und haben deshalb einen Gegensatz zwischen ihr und dem Islam behauptet, etwa in Saudi-Arabien. In anderen Ländern unterstützen demokratische Staaten den Despotismus einiger Herrscher, etwa in Syrien, und so ist die Demokratie dort bis heute schlecht beleumundet. Wir Moslems in Europa aber haben Demokratie als etwas Gutes und Funktionierendes kennengelernt. So haben wir kein Problem mit ihr. Zur Zeit findet im Iran eine sehr interessante Diskussion über Islam und Demokratie, Beteiligung der Bürger an der Politik etc. statt. Diese innerislamische Diskussion ist sehr vielversprechend - sofern der Prozeß fortgeführt wird.

Dennoch bleiben kulturelle Unterschiede zu Deutschland, Beispiel Schächten.

Kesici: Man hat mit diesem Urteil doch nur Gleichberechtigung mit anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland hergestellt.

Gleichberechtigung bedeutet doch, Deutschland ist fortan nicht mehr als abendländisch geprägtes Land zu betrachten. Die Deutschen können sich also nicht mehr auf Deutschland als das Land ihrer Traditionen berufen, moslemische und andere Einflüsse stehen künftig gleichauf mit alteuropäischem Erbe.

Kesici: Ich bitte Sie nicht so zu tun, als kämen wir von außen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe einen deutschen Paß. Ich betrachte mich eher als Berliner denn als einen Türken.

Würde denn irgendein moslemischer Staat diese völlige Nivellierung seiner anderthalbtausendjährigen Geschichte hinnehmen?

Kesici: Wir müssen uns fragen, ob die deutsche Gesellschaft wirklich bereit ist, eine multikulturelle Gesellschaft zu werden.

Womit Sie also meinen, die traditionelle deutsche Gesellschaft abzuschaffen?

Kesici: Wir leben in einer postmodernen Zeit. Wir müssen der Auflösung der Grenzen und Kulturen ins Auge sehen. Wir wollen diese Gesellschaft nicht umstürzen, sondern wir vergewissern uns unseres Platzes in ihr. Irgendwann strengt jemand einen Rechtsstreit an - wie im Falle des Schächtens -, um zu erfahren, ob uns das erlaubt ist oder nicht. Wenn ja, gut, wenn nicht, wissen wir, worauf wir uns einzurichten haben. Im Falle einer Niederlage etwa in dem im Herbst anstehenden Kopftuchentscheid weiß dann künftig jede Muslimin, was es für sie konkret bedeutet, sich hier für den Lehrerberuf zu entscheiden.

Das Wesen jeder demokratischen Entscheidung ist deren Umkehrbarkeit. Sie wären die ersten, die sich mit einer Entscheidung abfinden. In Wirklichkeit werden die Moslems doch selbstverständlich bei jeder politischen Niederlage um so stärker eine gesellschaftliche Veränderung in Deutschland betreiben, um in zehn oder fünfzehn Jahren doch noch vor Gericht recht zu bekommen.

Kesici: Das klingt so, als würden Sie Demokratie nur akzeptieren, wenn Sie ihnen nutzt.

Nein, es geht darum, auf die Konsequenzen solcher Prozesse aufmerksam zu machen.

Kesici: Ich könnte Ihren Vorwurf gegen sie wenden und mich beklagen, Sie wollten einer Minderheit ihre Rechte vorenthalten.

Das ist das Problem.

Kesici: Wir leben seit vierzig Jahren hier und wollen ein Teil der Gesellschaft werden. Wir sind nicht fremd. Und übrigens kam auch das Christentum einmal aus dem Vorderen Orient nach Europa.

Und hat Europa erobert, eben! Das ist nun bezüglich des Islam die Befürchtung.

Kesici: Das ist Ihre Interpretation, ich versuche Ihnen lediglich klarzumachen, daß wir einen Weg suchen, um hier leben zu können. Wir können nämlich nicht einfach "zurück" in die Türkei, denn wir unterscheiden uns inzwischen grundlegend: Auch wenn wir Moslems sind, sind wir Europäer, was wir bei Reisen in orientalische Länder sofort durchschlagend merken.

Das ist nur zu verständlich, dennoch bedeutet es das Ende der Gesellschaften der europäischen Völker.

Kesici: Ich bitte Sie, die Entstehung der multikulturellen Gesellschaft ist doch schon Realität.

Jedes moslemische Land würde sich mit Händen und Füßen wehren.

Kesici: In diesen Ländern herrscht nicht dieselbe Freiheit wie hier bei uns, insofern sind solche Vergleiche unpraktikabel. Ich gebe zu, daß dieser Prozeß nicht leicht ist für die traditionellen Europäer - aber sollen wir ewig Fremde in Europa bleiben?

Die nächste Generation von Moslems in Deutschland wird das, was Sie noch als Errungenschaft sehen, als Selbstverständlichkeit betrachten und neue Ansprüche stellen.

Kesici: Ja, aber wie will man das verhindern?

Warum fühlen Sie sich nicht einfach als Deutsche?

Kesici: Ganz einfach, wir sind von den Deutschen nie als Deutsche akzeptiert worden.

 

Foto: Kopftuchklägerin Ludin: "Es wird nicht leicht für die traditionellen Europäer"

Burhan Kesici: ist Verwaltungsratsvorsitzender der Islamischen Föderation in Berlin e.V., die maßgeblich den juristischen Kampf gegen Udo Ulfkottes Buch "Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern" führt. Kesici, türkischer Abstammung, aber 1972 in Berlin geboren und aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität und ist seit 1998 Mitglied der Islamischen Föderation.

Islamische Föderation in Berlin e.V. ist der Dachverband der islamischen Vereine und Moscheegemeinden in Berlin. 1980 gegründet, soll er die Interessen der Muslime auch gegenüber der Landespolitik vertreten. Seit 2001 organisiert die Föderation den islamischen Religionsunterricht an den Berliner Schulen.

 

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