© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/03 20. Juni 2003

 
Neue Technologien: Selbstmordarten
Möllemann wegen "Selbstgefährdung" eingesperrt
Angelika Willig

Fallschirmspringen ist eine Sportart mit erheblichem technischen Aufwand. Nicht jeder kann sich das leisten. Hätte Jürgen Möllemann kein Flugzeug zur Verfügung gehabt, das ihn auf eine "todsichere" Höhe transportierte, würde er vielleicht zu den Fällen gehören, die nach Sprüngen vom Balkon oder vor die U-Bahn ihr restliches Leben im Rollstuhl verbringen müssen. Nur einer von zehn Selbstmordversuchen gelingt, viele hinterlassen mehr oder weniger schwere Schäden.

Was Möllemann machte, zählt nach der Fachterminologie zu den "harten Techniken", Uwe Barschel war wohl eher ein "weicher" Typ, der Medikamenten zuneigte. Das Problem ist nur, daß eine findige Pharmaindustrie mittlerweile Schlaf- und Beruhigungsmittel so konstruieren kann, daß man praktisch nicht daran stirbt. Zu Zeiten von Marilyn Monroe genügte oft eine einzige Packung von den damals gebräuchlichen - im Drugstore an der Ecke ohne Rezept erhältlichen - Monsterpillen, um über den Jordan zu gehen. Heute sind hundert Tabletten das Minimum, und wo soll man die herkriegen, wenn man nicht zufällig Arzt oder Apotheker ist? Sicher sind Schleichwege denkbar, schließlich gibt es eine funktionierende Drogenszene. Doch in "suizidaler" Stimmung hat man zu aufwendigen Recherchen, gelinde gesagt, keinen Bock, und so stehen unsere Freunde doch wieder auf den Hochhausdächern, von wo die Feuerwehr sie herunterpflückt und in der Geschlossenen Abteilung abliefert.

Hätte auch der ehemalige Bildungsminister diesen wenig heroischen Weg gehen müssen, so wäre dem diensthabenden Psychiater die Motivation des Patienten wenigstens teilweise schon aus der Zeitung bekannt gewesen. Nach wenigen Gesprächen würde klar, daß der politische Niedergang nicht Ursache, sondern Folge des gestörten seelischen Gleichgewichts war, seines krankhaften Ehrgeizes und einer Geltungssucht, die nur aus Minderwertigkeitskomplexen resultieren kann. Ein solcher Mensch bildet sich dann ein, ohne Politik nicht leben zu können, während er in Wahrheit erst eine vermutlich langwierige Therapie braucht, um überhaupt in der Politik zurechtzukommen wie seine gesunden Kollegen.

Für den Selbstmörder sind Gründe völlig uninteressant. Darüber gibt es nichts mehr nachzudenken. Wichtig ist nur das Technische: Wie mache ich es so, daß nichts und niemand mich daran hindern kann, zum Ziel zu kommen? Diese Frage verfolgt einen Wochen und Monate. So euphorisch und existentiell, wie Möllemann immer wieder über das Fallschirmspringen sprach, beinhaltete es schon längst - vielleicht von Anfang an - die Möglichkeit zum "Absprung". Wer die Methode für unwesentlich hält, hat sicher noch nie über Selbstmord nachgedacht. Es ist erstaunlich, was der Mensch alles aushält, wenn er sich selbst zu zerstören versucht, und wie schnell ein Zufall tötet. Das Leben ist eben ungerecht.


 
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