© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/03 13. Juni 2003

 
Dreißig Jahre mit Herz und Seele gekämpft
Nachruf II: Die Medien einigten sich rasch auf die "Selbstmord"-Variante / Jürgen Möllemann hatte eigentlich noch viel vor
Ronald Gläser

Selten kam das Ableben eines Spitzenpolitikers so überraschend und lädt zu soviel Spekulation ein. Jürgen Möllemanns Fallschirmabsturz, nach einer Serie politischer Rückschläge, wurde von der politischen Klasse und den Medien mit großer Bestürzung aufgenommen. Viele, die ihn arglistig bekämpft haben, scheinen angesichts seines Todes von Gewissensbissen geplagt.

Im Berliner Regierungsviertel wurden noch am selben Tag die Flaggen auf Halbmast gesetzt. Seinen Abgeordnetenplatz zierte ein Strauß. Und der Bundeskanzler ließ in einer Todesanzeige verkünden, Möllemanns "besondere Verdienste" würden ihm "ein bleibendes Andenken" sichern. Im letzten Bundestagswahlkampf hatte Grünen-Chefin Claudia Roth Möllemann noch wegen Volksverhetzung angezeigt.

"Sein Tod macht uns betroffen. Wir denken an seine Familie, der wir unsere Anteilnahme aussprechen und der wir Kraft wünschen", lautete der Text der Todesanzeige, die von Guido Westerwelle und Wolfgang Gerhardt am Dienstag veröffentlicht wurde.

Diese reagierte mit weniger freundlichen Worten auf die scheinfrommen Beileidsbekenntnisse der FDP-Spitze. In großen Anzeigen fragten die Ehefrau und ihre drei Töchter schockiert: "Werden uns diejenigen Rechenschaft geben, die auf niederträchtige Weise versucht haben, sowohl den Menschen Jürgen Möllemann wie auch sein politisches Lebenswerk zu zerstören, für das er mehr als 30 Jahre leidenschaftlich mit Herz und Seele gekämpft hat?"

Die Entgegennahme von drei Beileidsschreiben von Andreas Pinkwart, Guido Westerwelle und Walter Hirche soll Möllemanns Witwe verweigert haben. Auch widersetzt sie sich offenbar dem Wunsch der FDP nach einem Staatsakt im Deutschen Bundestag, zumindest will sie auf keinen Fall neben Westerwelle sitzen.

Möllemanns langjähriger Weggefährte Wolfgang Kubicki erhebt ebenfalls Vorwürfe. Für ihn ist ein Selbstmord so gut wie ausgeschlossen. "Warum sollte er sich gerade jetzt umbringen?" fragte der FDP-Vorsitzende in Schleswig-Holstein. Möllemann war Mandant seiner Ehefrau und auf die anstehenden Durchsuchungen gut vorbereitet.

Die Durchsuchungen waren für ihn nicht überraschend

Daß die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Möllemanns der Grund für einen spontanen Selbstmord war, scheint ausgeschlossen. Entsprechend der parlamentarischen Gepflogenheiten wird der Abgeordnete immer Tage zuvor davon in Kenntnis gesetzt. Die Durchsuchung seiner Wohnung und seiner Büros traf Jürgen Möllemann keineswegs unvorbereitet. Schon im November hatte die JUNGE FREIHEIT von bevorstehenden Razzien berichtet.

Der zuständige Staatsanwalt hatte am Donnerstag voriger Woche noch erklärt, es würde in alle Richtungen ermittelt: Selbstmord, Unfall oder Fremdverschulden. In den meisten Publikationen wurde die Ursache jedoch blitzschnell auf die beiden ersten Möglichkeiten verengt. Inzwischen konzentrieren sich die Ermittlungen ausschließlich auf einen Selbstmord und den Unfalltod. Für das persönliche Umfeld Möllemanns scheidet der Freitod jedoch aus. Am wichtigsten sei ihm gewesen, das Verfahren wegen Untreue, Betrugs und Verstoß gegen das Parteiengesetz durchzustehen. Außerdem habe er seiner Tochter ein ruhiges Examen ermöglichen wollen, was nicht zur Selbstmord-These paßt. Hinzu kommt, daß er zielgerichtet an der Gründung einer neuen Partei gearbeitet hat. Wie die JUNGE FREIHEIT aus gut unterrichteter Quelle erfahren hat, waren die Vorbereitungen und die Finanzierung eines solchen Projektes sehr weit vorangeschritten.

Mit der Gründung sollte gewartet werden, "bis der Gerichtsdonner vorbei ist", sagte einer der Vertrauten Möllemanns. Nach Darstellung seiner Anhänger wären die Ermittlungen oder ein Verfahren im Sande verlaufen. Nach Angaben der Berliner Zeitung seien die Details der Steuerhinterziehung weitgehend aufgeklärt. Angeblich hatte Möllemann sich sogar bereits mit dem Finanzamt geeinigt und war zu einer Nachzahlung bereit. Es handelt sich bei den abzuführenden Steuern um Provisionen für Waffengeschäfte in den neunziger Jahren, berichtete das Blatt weiter.


 
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