© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003

 
Für ein Europa ohne Atomenergie
EU-Umweltpolitik: Es gibt keine Energiekrise, aber noch zu wenig Nutzung erneuerbarer Energiequellen
Franz Alt

Erdöl deckt zur Zeit etwa 40 Prozent des gesamten Weltenergiebedarfs, Kohle 26 Prozent, Gas 24 Prozent, erneuerbare Energien sieben Prozent und Atomenergie lediglich drei Prozent. Von acht Mitgliedstaaten der EU, die heute noch Kernenergie nutzen, haben bereits sechs den Ausstieg beschlossen. Dennoch ist die Kernenergie in Europa noch immer privilegiert.

1957 haben sechs Gründungsstaaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet und parallel dazu die Europäische Atomgemeinschaft durch den Euratom-Vertrag. Damals war dieser Kernenergie-Vertrag ein Kernelement der europäischen Energiepolitik. Die EU gibt allein für atomare Forschung aber noch heute zweieinhalbmal mehr Gelder aus als für die Forschung aller erneuerbaren Energien zusammen. Ist dieses Privileg noch sinnvoll und verantwortbar für eine Energiequelle, die zum gefährlichen Anachronismus geworden ist?

Im Euratom-Vertrag sind wichtige Fragen der Sicherheit, der Entsorgung und Endlagerung nicht behandelt. Das ist auch kein Wunder, wenn kein einziger Atomreaktor zu 100 Prozent sicher ist und für die Endlagerung des Atommülls bis heute keine wirkliche Lösung, die diesen Namen verdient, gefunden werden konnte. Außerdem wird Euratom bis heute nicht vom Europaparlament kontrolliert - ebenfalls ein demokratiefeindlicher Anachronismus. Deshalb sollte der Atomvertrag abgeschafft werden. Die europäische Energiepolitik braucht einen neuen institutionellen Rahmen. Die überwiegend auf fossilen Rohstoffen basierende Energiewirtschaft der europäischen Nationen ist langfristig ebenfalls nicht zukunftsfähig.

Der Weltenergierat geht von folgenden Reichweiten der fossilen Energieträger aus: Das Erdöl reicht noch etwa 40 Jahre, Erdgas 50 Jahre und Kohle 120 Jahre. Aber nicht nur die begrenzten Reichweiten führen in die Krise, sondern der von fossilen Energieträgern bewirkte Treibhauseffekt, die schon durch die Verknappung bedingten höheren Preise und künftige Kriege um die zu Ende gehenden Ressourcen.

Das Ludwig-Bölkow-Institut erwartet ebenso wie Royal Dutch/Shell die nächsten Ölpreiskrisen noch vor 2010. Erstmals in der Geschichte der Ölverbrennung sind die Fördermengen seit 2000 Jahr um Jahr zurückgegangen. Das Maximum der weltweiten Ölförderung scheint überschritten. Die großen Öl- und Gasfelder sind längst entdeckt. Gefunden werden heute nur noch kleinere Vorkommen, die zudem schwer zu erschließen sind.

Die bisherige Energieversorgung verhindert die richtigen energiepolitischen Weichenstellungen für eine sichere, preiswerte und umweltverträgliche Energiezukunft. Die Wegweiser für die zukunftsfähige Energiepolitik heißen: Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Wenn es der Europäischen Union bis 2050 gelingt, 60 Prozent der heutigen Energieverbräuche einzusparen, dann könnte die gesamte Energie ab der Mitte des Jahrhunderts aus Sonne, Wind, Biomasse, Biogas, Wasserstoff, Wasserkraft und Erdwärme gewonnen werden.

Euratom-Vertrag - Gefahr für Mensch und Natur

Der Verfassungskonvent für die Zukunft der Europäischen Union und die bevorstehende Regierungskonferenz der EU bieten die Chance, die europäische Energiepolitik auf eine neue tragfähige Basis zu stellen. Dafür unerläßliche Kriterien sind:

- Klimaschutz muß bei einer zukunftsfähigen Energiepolitik eine zentrale Rolle spielen.

- Die bisherige nationale Energiepolitiken müssen durch eine europäische Energiepolitik und eine langfristig garantierte Energiesicherheit abgelöst werden.

- Der Schutz von Mensch und Umwelt vor Atomanlagen muß Verfassungsrang erhalten.

- Statt einer Privilegierung von Atomenergie muß die gesamte Palette der erneuerbaren Energie privilegiert werden.

- Bis 2050 soll für Europa eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien angestrebt werden.

Die programmatische Richtung kann nur heißen: von Euratom zu EURENEW, also hin zu 100 Prozent renewable energies, zu erneuerbaren Energien. Der Fluchtweg aus dem Treibhaus ist möglich. Klimaschutz, Friedenssicherung und Versorgungssicherheit können nur durch einen konsequenten Wechsel zu erneuerbaren Energien erreicht werden. Uran zum Betreiben von AKWs ist ein ebenso endlicher Rohstoff wie die fossilen Energieträger. Was man sich vor 45 Jahren von der Atomenergie erhoffte, können künftig nur die erneuerbaren, also "ewig" vorhandenen, umweltfreundlichen und preiswerten Energiequellen einlösen. Erdöl zu wirtschaftlich vertretbaren Preisen gibt es nur noch für eine begrenzte Zeit. Sonne und Wind stehen uns noch 4,5 Milliarden Jahre kostenlos zur Verfügung, schätzen die Astrophysiker.

Um Sonne und Wind müssen und können auch keine Kriege geführt werden. Die Sonne hat wohl nicht zufällig einen Sicherheitsabstand zur Erde von 150 Millionen Kilometern. Sie scheint immer, sie ist zuverlässig und gibt ihr Licht auf jedes Dach und an jede Hauswand ab. Die Sonne schickt uns täglich 15.000 mal mehr Energie, als die Menschheit heute verbraucht. In Deutschland können 22 Millionen Gebäude zu 22 Millionen kleinen Solarkraftwerken umgebaut werden.

Die Nutzung der Sonnenenergie bei allen Neubauten muß in Europa obligatorisch werden - wie heute schon in Barcelona. Es gibt keine Energiekrise, aber noch immer ein Brett vor der Sonne. Bürger zur Sonne, zur Freiheit!

 

Dr. Franz Alt ist Journalist und präsentiert das 3sat-Magazin "Grenzenlos". Zuletzt erschien von ihm das Buch "Krieg um Öl oder Frieden durch die Sonne" (Riemann-Verlag). Internet: www.sonnenseite.com  


 
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