© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/03 23. Mai 2003

 
Angriff der dynamischen Bürger
Bürger-Konvent: Hinter der millionenschweren Organisation stehen vor allem unionsnahe Politiker und Wissenschaftler
Paul Rosen

Deutschland ist besser als jetzt. Mit diesem Leitsatz tritt eine neue Organisation, der "Bürger-Konvent", ausgerechnet von der versunkenen Hauptstadt Bonn aus an, um aus der Bundesrepublik wieder ein ordentliches Land zu machen. Viel ist bisher nicht bekannt geworden über die Organisation, die dem Patienten Deutschland Kraft einhauchen will. Der Ansatz des Konventes ist gewiß löblich, der Erfolg seiner Methoden jedoch ungewiß.

Die neue Organisation machte zunächst mit großformatigen Anzeigen und provokativen Texten in großen Tageszeitungen auf sich aufmerksam. Auf einer Pressekonferenz in Bonn präsentierten sich dann zwei der interessierten Öffentlichkeit bereits gut bekannte Gesichter: Sprecher ist der Vertraute des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) und Leiter eines ebenfalls in Bonn angesiedelten Wirtschafts- und Gesellschaftsforschungsinstituts, Professor Meinhard Miegel. Miegel hat sich bereits seit Jahrzehnten einen Namen gemacht, weil er vom bundesdeutschen Blüm-Konsens, daß die Renten sicher seien, abwich und unverblümt die Wahrheit zu verbreiten pflegt, daß bei der Rente nur sicher ist, daß sie nicht sicher ist.

Daß Miegel recht hat, erfahren die deutschen Rentenversicherten in diesen Tagen. Die Altersbezüge sollen entweder gar nicht oder nur geringfügig angehoben werden. Die SPD redet von der Rente mit 67 statt 65 Jahren, und die Union will erst nach 45 Beitragsjahren eine volle Rente zahlen, die jedoch schon gar keine volle Rente mehr ist.

Ein weiterer Name, der auftaucht, ist der des früheren Vorsitzenden des Rings Christlicher Demokratischer Studenten (RCDS), Gerd Langguth. Langguth ist wie Miegel der CDU zuzurechnen. Bei Miegels Ziehvater Biedenkopf dürfte der Bürger-Konvent sicher auf Wohlwollen stoßen. Wer sonst noch dazugehört und wer die Finanziers sind, verschweigt die Initiative bisher. In der Presse genannte dreistellige Millionenbeträge, die der Konvent für Werbemaßnahmen zur Verfügung haben soll, dürften übertrieben sein.

Man will mit Politikern ins Gespräch kommen

Allerdings ist eine Organisation wie der Bürger-Konvent, der ausdrücklich keine Partei sein will, nicht verpflichtet, die Namen ihrer Sponsoren zu veröffentlichen. Dafür wird um Mitstreiter geworben. "Von der verkrusteten Staatsgesellschaft, die wir heute weithin sind, zu einer dynamischen Bürgergesellschaft" - so wird das Ziel formuliert. Die Interessenten, die sich über ein auf der Internetseite des Konvents ( www.buerger-konvent.de ) ausdruckbares Fax-Formular anmelden können, sollen auf regionaler Ebene "Bürgergruppen" bilden, "die die Fakten und Argumente, die vom Bürger-Konvent sorgfältig und fundiert ausgearbeitet werden, vor Ort umsetzen". Nach demokratischen Strukturen schmeckt das nicht. Aber wenn der Konvent weder Partei noch Verein im Sinne des Vereinsgesetzes sein will, muß er sich nicht an die für diese Bereiche geltenden gesetzlichen Vorschriften halten. Ob die angeworbenen Interessenten sich das wirklich gefallen lassen werden, ist eine ganz andere Frage.

Außerdem will man mit Politikern ins Gespräch kommen. Bewußt wird formuliert, man wolle keine Konkurrenz zu den Politikern darstellen. Über die Mitglieder des Bürger-Konvents heißt es: "Weder beziehen sie ihren Lebensunterhalt aus politischen Aktivitäten noch streben sie politische Ämter an. Vielmehr wollen sie helfen, einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Politik - parteienunabhängig - den Weg zu bereiten."

Die nachhaltige Politik wird - Miegel läßt grüßen - mit Schwerpunkt Rentenversicherung in den ersten Papieren des Konvents beschrieben. Kurz und knapp formuliert der Konvent die These, daß wir alle länger arbeiten müssen, daß das Rentenniveau ständig sinken wird und daß viele Millionen Rentner durch das Absinken des Rentenniveaus von heute 59 auf 52 Prozent in Sichtweite des Sozialhilfeniveaus kommen werden. "Altersarmut wird wieder häufiger werden", heißt es. Insgesamt wird verlangt, daß öffentliche Einnahmen und Ausgaben wieder in Einklang gebracht werden müssen. "Die Schuldenpolitik der zurückliegenden dreißig Jahre gehört zu den sinnlosesten und gefährlichsten Entgleisungen des Staates", wird beklagt.

Die Kernsätze des Bürger-Konvents hätte schon der römische Staatsmann Marcus Tullius Cicero unterschreiben können. Auch über anderthalb Jahrtausende später hätte Adam Smith, der Begründer der modernen Volkswirtschaft, keine Schwierigkeiten mit den Thesen gehabt. Was der Konvent aufgeschrieben hat, sind reine Selbstverständlichkeiten: Kein Privatmann kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt. Der Staat als Summe seiner Bürger kann dies eigentlich auch nicht. Er tut es aber - unabhängig vom politischen System mit einer großen Regelmäßigkeit und stets mit fadenscheinigen Begründungen. So heißt es in Zeiten schwacher Konjunktur, man müsse sie durch Kreditaufnahme ankurbeln. In Zeiten guter Konjunktur wird dann das Geld verpulvert, statt die zuvor aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen.

Politiker haben Angst, nicht wiedergewählt zu werden

Die Frage ist nur, ob sich heutige Politiker mit den Thesen des Konvents werden anfreunden können. In Berlin blieben die Auftritte der "Bonner" bisher unbeachtet. Zu sehr ist die politische Klasse damit beschäftigt, zur Schließung der immer größer werdenden Haushaltslöcher die Steuern zu erhöhen. Kanzler Gerhard Schröder treibt Kommissionen wie Säue durchs Dorf - erst Hartz, dann Rürup. Die Vorschläge zur Rettung der Sozialsysteme (oder soll man vielleicht sagen: des Gemeinwesens) sind Legion. Doch was bisher verwirklicht wurde, entpuppte sich als Stückwerk. Und auch die Agenda 2010 des Kanzlers wird keine Besserung bringen.

Politiker haben ein Problem: Sie mögen ihren Wählern nicht die Wahrheit sagen, weil sie Angst haben, nicht mehr wiedergewählt zu werden. Aber daran allein den Abgeordneten die Schuld geben zu wollen, wäre verkehrt, denn auch die große Mehrheit der Bürger will die Wahrheit nicht hören, daß Deutschland so gut wie pleite ist. Lieber leben die Deutschen mit Beihilfe ihrer Politiker über ihre Verhältnisse.

Deshalb werden die Politiker das Gespräch mit dem Bürger-Konvent meiden - und auch die wenigsten Bürger werden es suchen.

Foto: Gerd Langguth, Andreas Busse, Meinhard Miegel und Reinhard Abels (v.l.n.r.) auf der ersten Pressekonferenz des Bürger-Konvents in Bonn: Man möchte ausdrücklich keine Partei sein


 
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