© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003

 
Die Leere hinter dem Spaß
Kino I: "Die Regeln des Spiels" von Roger Avary beleuchtet einen studentischen Mikrokosmos
Claus-M. Wolfschlag

Im Zentrum des Geschehens steht die Lebenswelt einiger privilegierter Studenten des renommierten amerikanischen Camden College in New England. Das Leben scheint aus wilden Partys, jeder Menge Drogen und Sex zu bestehen. Inmitten dieses Trubels bewegen sich mehrere Akteure - der skrupellose Gelegenheitsdealer Sean (James Van der Beek), der zynische Homosexuelle Paul (Ian Somerhalder) und die träumerische Noch-Jungfrau Lauren (Shannyn Sossamon). Nebenfiguren wie der in Europa reisende Sextourist Victor, die Nymphomanin Lara, der dauernd berauschte Dozent Lawson oder die medikamentenabhängige Mrs. Denton umrahmen diese Szenerie.

Basierend auf einem Roman des amerikanischen Kultautors Bret Easton Ellis zeigt Oscar-Preisträger Roger Avary, der 1994 mit "Killing Zoe" sein Regiedebüt ablieferte, jene Lebenswelt einiger Studenten im Amerika der Gegenwart. Es ist die dritte Verfilmung eines Romans von Ellis, nach Marek Kanievskas "Less then Zero" von 1987 und Mary Harrons "American Psycho" vor drei Jahren. Der Einladungstext zur Pressevorschau verlautbarte hierzu, es werde ein studentischer Mikrokosmos gezeigt, "in dem es attraktive Menschen auf der Überholspur des Lebens so wild (miteinander) treiben, daß sie bald überhaupt nicht mehr von der Stelle kommen".

Nach der Vorführung bekam der Filmkritiker ein Gespräch zwischen zwei jungen Kollegen mit. Darin wurde bemängelt, daß es sich bei "Die Regeln des Spiels" wohl nur um eine weichgespülte Fassung des Ellis-Romans handeln könne. Irgendwie hätte man sich mehr Sex und drastischere Gewaltszenen erhofft. Doch eine solche Verengung der Sichtweise auf "sex and crime" hieße Ellis' Grundmotivation mißzuverstehen.

Seine Schilderungen erscheinen kaum einer realistischen Dokumentation des Alltagslebens normaler amerikanischer Twens und Studenten entsprungen. Statt dessen findet man in Romanen wie "Unter Null" und nun auch in Avarys "Die Regeln des Spiels" eine Welt ständiger Partys vor, bei denen Drogen zum festen Bestandteil gehören, bei denen alle Menschen jung und extrem hübsch anzusehen sind, und bei denen vor allem Mädchen gerne halb- oder ganz nackt nach kürzesten Überredungskünsten der ansonsten gelangweilten Männer zum Koitus im Nebenzimmer bereit sind, bisweilen auch vor versammeltem Publikum. Das wären - positiv gewendet - erotische Wunschträume, geboren aus den Phantasien von Männern, die die moderne Lebenswelt mit ihrer Vereinzelung gerade ganz anders erfahren. Ellis geht aber tiefer, dienen ihm seine Schilderungen doch vor allem der Gesellschaftskritik. Die von ihm erschaffene Welt des unbeschwerten Poppens und Partyfeierns soll in ihrer Überspitzung die tragikomische Seite und vor allem die Sinnlehre des Lebens in der amerikanischen Moderne verdeutlichen.

Hervorzuheben ist Avarys gekonntes und erfrischendes Spiel mit den filmischen Mitteln. Teilweise lehnt er sich dabei an Ellis' Erzählweise an, der die Ereignisse aus den unterschiedlichen Perspektiven der Figuren schildert und dadurch das Aneinander-vorbei-Reden der Menschen verdeutlicht, das es Außenstehenden erschwert, die Essenz der realen Wahrheit unter den verschiedenen Perspektiven noch auszumachen. Auch in Avarys Verfilmung tauchen Gesichter so schnell auf wie sie verschwinden, und vermitteln die Oberflächlichkeit in den menschlichen Beziehungen der Protagonisten.

Zugleich arbeitet er mit zahlreichen Tricks. Er läßt Handlungen rückwärts laufen, um den Blick des Betrachters noch einmal auf ein Geschehen zu lenken, das zeitlich parallel zum bislang Gesehenen passiert ist. In einem langen Bildsplit wird der Tagesablauf zweier Menschen unabhängig voneinander geschildert, bis sie aufeinander treffen und das Geschehen bildlich verschmilzt. Eine Europareise wird einem Videoclip vergleichbar als ein irrsinnig temporeiches Umhereilen zwischen Sehenswürdigkeiten und Bettgenossinnen dargestellt. Komische, fast alberne Sequenzen, die einer Teeny-Komödie entsprungen sein könnten, wechseln mit tieftraurigen Einstellungen, wie dem Selbstmord eines hübschen Mädchens. "Die Regeln des Spiels" bietet einen unterhaltsam inszenierten und satirischen Blick auf eine von emotionaler Leere befallene Generation.

Foto: Paul (Ian Somerhalder): Attraktive Menschen auf der Überholspur des Lebens


 
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