© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003

 
Bald heißt es 16 Prozent plus X
Finanzpolitik: Eine Mehrwertsteuererhöhung ist nicht notwendig, aber unter bestimmten Bedingungen durchaus sinnvoll
Bernd-Thomas Ramb

Wetten, daß es der rot-grünen Bundesregierung nicht gelingt, vor Ablauf der Legisla-turperiode eine Anhebung der Mehrwertsteuersätze, von derzeit sieben bzw. 16 Prozent, zu vermeiden? Für die bekannte Samstagabendunterhaltungsschau böte sich ein todsicherer Tip, wenn eine derartige Laufzeit zugelassen wäre. Besondere Brisanz enthält diese Prognose zudem durch den Beschluß des Deutschen Bundestages im Januar dieses Jahres, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen.

In dem entsprechenden Antrag, der pikanterweise von der Regierungskoalition vorgelegt wurde, wird "eine Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer" abgelehnt, da diese "in der aktuellen konjunkturellen Lage schädlich" wäre. Schon damals witterte die Opposition eine Mogelpackung, weil mit dieser Formulierung die Erhöhung einiger ermäßigter Mehrwertsteuersätze - etwa für Schnittblumen, Tierfutter oder Zeitungen - nicht ausgeschlossen war.

Genau dieses beabsichtigte die Regierung jedoch mit ihrem Gesetzesversuch zum "Abbau von Steuervergünstigungen". Nachdem der im Bundesrat gescheiterte und der Vermittlungsausschuß unter der Federführung der beiden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU, Hessen) und Peer Steinbrück (SPD, NRW) sämtlichen Vorhaben zur Erhöhung ermäßigter Mehrwertsteuersätze eine Abfuhr erteilte, sitzt der Bundesfinanzminister in der Klemme.

Dem für das laufende Jahr vorgelegten Bundeshaushalt fehlt es immer mehr an Ausgabendeckung durch entsprechende Steuereinnahmen. Den eingetrübten Konjunkturaussichten kann nach den drastischen Prognosesenkungen der Wirtschaftsinstitute nun auch Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) keinen freundlichen Hoffnungsschimmer mehr verpassen, und die Europäische Union wartet schon mit einem gewissen Genuß darauf, daß Deutschland auch in diesem Jahr die Maastrichter Kriterien zur staatlichen Neuverschuldung verpaßt.

Schon munkeln bevorzugte Informanten des Bundeskabinetts, der Bundesfinanzminister plane nun endgültig eine Anhebung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes. Das Dementi Eichels folgte sofort. Nur kann es ebensowenig überzeugen, wie die Antwort des SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz "Da können Sie lange warten" auf die Frage: Wann kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer? "Lange" ist relativ und heißt nicht "vergeblich". Die SPD-Linke bläst seit geraumer Zeit das Horn der Mehrwertsteuererhöhung, und der Sonderparteitag der SPD, der den zaghaften Reformplänen von Bundeskanzler Gerhard Schröder zusätzlich die Spitzen - besser die Ausbuchtungen - schleifen soll, steht am 1. Juni an. Eine Mehrwertsteuererhöhung wäre der Kompromiß, der die Verweigerungshaltung der SPD-Linken besser aufbrechen könnte, als die Knute der Parteidisziplin.

Zudem erhalten die Anhänger einer Mehrwertsteuererhöhung Zustimmung aus den Reihen der Wirtschaftsexperten. So kann sich der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Walter Zuckerer, nicht nur darauf berufen, daß andere Länder ihre Sozialsysteme mehr als Deutschland aus dem Steueraufkommen finanzieren, sondern dazu auch auf Vorschläge des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung verweisen. Dessen Vorstellung ist es, die Sozialabgaben mittelfristig zu senken und den Einnahmeausfall über eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren.

Genau dieses "Kleingedruckte" ist aber der springende Punkt. Eine Mehrwertsteuererhöhung zur bloßen Deckung von Haushaltslücken wäre in der Tat das "falsche Signal", allerdings nicht wegen des Zeitpunkts der konjunkturellen Depression, den die Grünen-Bundestagsfraktionschefin Krista Sager als Begründung ihres Neins anführt.

Dem Mehrwertsteuersatz kommt eine ordnungspolitische Bedeutung mit strukturpolitischer Auswirkung zu. Die einseitige Erhöhung bedeutet eine Verlagerung der Steuerbelastung von der Einkommensbesteuerungsseite auf die Seite der Ausgabenbesteuerung. Damit die Steuerbelastung nicht insgesamt weiter steigt, wäre - um den Verlagerungseffekt nicht zu unterlaufen - eine Reduktion der Einkommenssteuersätze angebracht. Eine Mehrwertsteuererhöhung darf zudem nicht von der Verpflichtung des Staates zur Ausgabenkürzung ablenken.

Werden diese Kriterien eingehalten, ist eine Mehrwertsteuererhöhung durchaus sinnvoll. Natürlich werden dadurch die Konsumausgaben der Haushalte belastet. Andererseits kann dies auch zu einem kritischeren Ausgabeverhalten anleiten und vor allem der Tendenz zur privaten Überschuldung entgegenwirken. Ebenso wird das gerade im Hinblick auf die Alterssicherung mehr denn je notwendige Sparen damit - relativ betrachtet - "preiswerter".

Auch für die Unternehmen, für die der Faktor Mehrwertsteuer nur vordergründig ein "durchlaufener Posten" ist, würde eine Mehrwertsteuererhöhung zur Verpflichtung einer sparsameren Produktion führen. Denn die Steuererhöhung werden sie nicht vollständig auf die Endpreise überwälzen können, ohne Umsatzeinbußen hinnehmen zu müssen.

Die Überlegungen zur Anhebung der allgemeinen Mehrwertsteuer zwingen zudem zu einer Revision der ermäßigten Sätze. Durch den gewonnenen Spielraum werden Senkungen in gezielten Bereichen möglich. So könnte den berechtigten Klagen der Bauindustrie gefolgt und die Mehrwertsteuer auf Bauleistungen halbiert werden. Ebenso wäre eine Reduktion der Mehrwertsteuerbelastung auf Arzneimittel denkbar, um die Krankenkassen zu entlasten.

Aus der europäischen Reihe würde Deutschland mit einer Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer nicht tanzen, denn mit 16 Prozent liegt es am unteren Ende der Bandbreite und nur knapp über dem EU-rechtlich festgelegten Mindestsatz von derzeit 15 Prozent. Dieser wird nur noch von Luxemburg eingehalten. Den nächst höheren Satz von 16 Prozent hat neben Deutschland allein noch Spanien festgelegt.

Alle anderen EU-Länder liegen über dem deutschen Mehrwertsteuersatz, die meisten von ihnen bei 20 Prozent und noch höher. Allerdings wissen die europäischen Nachbarländer auch gekonnter mit den Ermäßigungen umzugehen. So zahlen die Franzosen für Pharmaprodukte, Bücher, Zeitschriften und Zeitungen derzeit lediglich 2,1 Prozent Mehrwertsteuer.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen