© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/03 02. Mai 2003


Europas neue Freunde
Die EU wird zentralistischer werden, um weltpolitischen Einfluß zu gewinnen
Andreas Mölzer

Valéry Giscard d'Estaing, Vorsitzender des EU-Konvents, hat mit seinen Forderungen nach einem EU-Präsidenten, nach der Durchsetzung des Mehrheitsprinzips und einer EU-Kommission, in der nicht mehr alle Mitgliedstaaten vertreten sind, jene Gegenreaktion ausgelöst, die man erwartet hat: Insbesondere die kleinen EU-Mitglieder formierten sich zum Protest, und bis zum EU-Gipfel im Juni, wenn die Ergebnisse des Konvents abgesegnet werden sollen, wird man viel Wasser in Giscards Wein gießen.

Dabei war der Zeitpunkt für den Vorstoß des ehemaligen französischen Staatspräsidenten ein denkbar günstiger: Angesichts des rücksichtslosen Vorgehens der Amerikaner im Irak-Konflikt war die Machtlosigkeit der Europäer und die daraus resultierende Notwendigkeit zu einer Bündelung der Kräfte und der Entscheidungsfindung Europas deutlicher geworden denn je. Wenn die EU mit ihrer bald halben Milliarde Bürger ein ernst zu nehmender Faktor in der Weltpolitik sein will, wird eine solche Kräftebündelung, wie sie im Vorschlag des Konvents-Chefs aufscheint, unumgänglich sein. Das war während des Irak-Konflikts Gemeingut unter den politischen Analytikern und in vielen EU-Staatskanzleien geworden.

Nun, da sich die Frage stellt, für welche kleineren EU-Mitglieder es beispielsweise keinen EU-Kommissar mehr geben wird, nun da sich der Verzicht auf die halbjährlich wechselnde EU-Präsidentschaft zugunsten eines vom Europaparlament für Jahre gewählten Präsidenten tatsächlich stellt, nun steht die Sorge um den Verlust des jeweiligen Einflusses im Vordergrund. Österreich genauso wie Dänemark, Luxemburg, Griechenland, Portugal oder Irland - sie alle können sich nur schwer vorstellen, daß die Deutschen, die Franzosen, die Briten, die Italiener und Spanier, sowie künftig auch die Polen, wegen ihrer Größe und Bevölkerungszahl in der Union das ausschließliche Sagen haben.

Es war nur logisch, daß Irlands Europaminister Dick Roche umgehend zu einem Treffen kleinerer EU-Länder einlud, um rasch einen Gegenvorschlag zu Giscards Ideen vorzulegen. Und der österreichische EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP) sprach gar von einem "Schlag ins Gesicht".

Auf wenig Gegenliebe stießen die Giscard-Vorschläge aber auch bei Vertretern der größeren EU-Staaten. Wenn der CDU-Europapolitiker Elmar Brok meint, Giscards Vorschläge seien "autistisch", weil sie in keiner Weise dem bisherigen Diskussionsverlauf entsprächen, dürfte dies die Meinung auch bei Briten, Italienern und Spaniern sein. Allenfalls die Franzosen könnten sich mit Giscards Vorschlägen anfreunden, sehen sie sich doch selbst in der Rolle des dominanten Faktors im Falle der EU-Zentralisierung. Weder Giscards Pläne für den gewählten EU-Präsidenten, noch eine mächtige siebenköpfige Ratsführung, oder gar die Schaffung eines "Volkskongresses" sind innerhalb der Union mehrheitsfähig.

Was auch immer im Juni von den EU-Gewaltigen beschlossen werden mag - es wird gewiß nicht derart weitgehend sein wie der Vorschlag Giscards. Doch weitere Schritte zu einer Stärkung der EU-Institutionen dürften dennoch erfolgen. So steht etwa außer Zweifel, daß die EU-Außenpolitik künftig mit einer Stimme und auch durch eine Person erfolgen soll. Und ob sich der luxemburgische Premier Jean-Claude Junker auch künftig noch zieren wird, sich als erste politische Persönlichkeit von europäischem Format zum EU-Ratspräsidenten wählen zu lassen, bleibt ebenso abzuwarten.

Interessant ist auch, daß es gewissermaßen zu einer Verkehrung der Fronten gekommen ist. Ausgerechnet Kreise, die in den vergangenen Jahren zu den EU-Skeptikern gezählt wurden und immer wieder darauf hinwiesen, daß die Rolle der Nationalstaaten auch im Rahmen der europäischen Integration längst nicht ausgespielt sein könne, forderten in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der US-Nahostpolitik eine stärkere und entschlossenere, eine einheitliche Haltung Europas in weltpolitischen Fragen. Grün-alternative und linksaußen stehende Kreise, die genauso wie rechtskonservative Kreise der Union skeptisch gegenüber der Entwicklung eines EU-Bundesstaats mit zentralistischem Charakter waren, mußten aufgrund der europäischen Ohnmacht im Bereich der Friedenssicherung erkennen, daß nur eine Stärkung der Gemeinsamkeit Europas dazu dienlich sein könnte. Und konservative Nationalstaatsverfechter hatten zur Kenntnis zu nehmen, daß die deutsche und die französische Position allein gegenüber den USA alles andere als ausreichend war.

Weil Washington getreu dem Prinzip divide et impera in der Lage war, andere europäische Staaten auf seine Seite zu ziehen, neben den britischen Alliierten auch Italien und Spanien sowie fast alle EU-Beitrittsländer, reichte dies bereits aus, um die Achse Paris-Berlin zu neutralisieren. Um wieviel ohnmächtiger wäre da Deutschland alleine gewesen.

Damit scheint sich gerade bei den Verfechtern der Erhaltung nationalstaatlicher Strukturen gegenwärtig so etwas wie ein Paradigmenwechsel anzudeuten, wonach gerade sie zu Vorkämpfern einer Stärkung der europäischen Institutionen werden können. Dies aber würde eine Abwendung vom "Staatenverbund", wie er durch Spruch deutscher Höchstgerichte postuliert wurde, bedeuten und eine Hinwendung zu einer bundesstaatlichen Entwicklung mit starken zentralen Institutionen.

Die kleineren EU-Mitglieder werden gewiß nach Kräften danach trachten, eine solche Entwicklung zu verhindern oder zumindest zu bremsen. Ob sie im Interesse einer Stärkung der EU in der Lage sein werden, alternative Strategien auszuarbeiten, etwa die Zusammenschlüsse mehrerer kleinerer Staaten zur Erreichung des gleichen Gewichts von großen EU-Mitgliedern, oder eine Art Patronanzverhältnis zu einzelnen größeren Staaten - wie es de facto etwa Österreich zu den Deutschen immer wieder hatte -, bleibt abzuwarten.

Eine Tatsache, die während des jüngsten Irak-Krieges Gemeingut geworden sein dürfte, ist allerdings, daß nur eine Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, eine Stärkung der europäischen Institutionen dazu führen kann, daß Europa als global player gegenüber den USA Gewicht gewinnen kann.

Europa wird also zentralistischer werden. Die größeren EU-Mitglieder werden dominieren, oder die Europäische Union wird sich zurückentwickeln zu einer besseren Freihandelszone, die hin und wieder in der brutalen Weltpolitik vergeblich versucht, moralische Instanz zu sein. Eine Instanz allerdings, die dann ebensoviel bewirken wird wie der Vatikan, oder in letzter Zeit die Uno.


 
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