© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/03 25. April 2003

 
Vorgeführte Selbstliebe
Theater: "Die tote Stadt" im Opernhaus Zürich
Timo Fehrensen

Der Papa hat's gerichtet, dem Sohn standen die künstlerischen Wege offen: So hat sich mancher die Karriere des Erich Wolfgang Korngold vorgestellt, seine musikalischen Gegner wie Ernst Krenek wurden nicht müde, allzu viele Beziehungskisten in Korngolds erfolgreichem Musik-Imperium zu vermuten. Sorgen brauchten sich Vater und Sohn um ihre Oper "Die tote Stadt" nur solche künstlerischer Natur zu machen, nämlich diejenigen zu verarbeiten, die der flämische Dichter Georges Rodenbach in seiner literarischen Vorlage entworfen hat.

Es ist die Geschichte eines Mannes, der seine verstorbene Frau immer noch bedingungslos liebt und sie in einer anderen sieht, von der er provoziert wird, zum einen dadurch, daß sie ihn verführt, zum anderen dadurch, daß sie anscheinend das edle Bild der toten Ehefrau entweiht. Korngolds Musik zum schwierigen Stoff ist effektvoll, sie gemahnt an die großen Musikdramen eines Wagner und Strauss, ist teils neoromantisch, weiß um die publikumssicheren Möglichkeiten einer reichen Melodik, eines dahinfließenden Musikstromes voller tiefer Empfindsamkeit.

Aber Erich Wolfgang Korngold, einstmals gefeiertes musikalisches Wunderkind, hat im Nachkriegs-Wien nach dem Zusammenbruch der k.u.k.-Monarchie gleichwohl musikalisch mehr zu sagen gehabt, als es seine Neider wahrhaben wollten. Der Vater Julius Korngold, einer der einflußreichsten Kritiker seiner Zeit, schrieb unter dem Pseudonym Paul Schott das Libretto, das sowohl auf das Sofa von Freud gepaßt hätte, als es auch mit den symbolistischen Merkmalen seiner Zeit merklich versiert hantiert. Und Franz Welser-Möst, noch Musikchef an der Züricher Oper, weiß mit der Partitur klangschwelgerisch umzugehen. Zwar hat die Oper ihre Längen und das Orchester tut wenig, um mit Tempo dagegen anzusteuern. Sie kommt aber dennoch beim Publikum wegen der stilgenauen Wiedergabe des Korngoldschen Melos sehr gut an.

Als Hauptfigur Paul, der traurige Witwer, gibt Norbert Schmittberg keine allzu glückliche Figur ab. Sängerisch tut er sich im mondänen Schlafanzug bisweilen arg schwer. Der Unterschied wirkt kraß, wenn ihm Emily Magee als triebgesteuertes Vollweib in einer Doppelrolle als Trugbild Marie, die Verflossene, und deren scheinbare Wiedergängerin Marietta, ihres Zeichens Tänzerin, gegenübersteht. Ihre Stimme und Sinnlichkeit kommt beim Publikum genauso sehr an wie Olaf Bär in seinen zwei Partien als besorgter Arzt Frank und innig liebender Fritz, als der er die einzige Wunschkonzert-Arie der Oper zu singen hat.

Viel Psychoanalyse muß sein, das hat auch Sven Eric Bechtolf, der gewiefte Hamburger Schauspieler, der sich seit Jahren als Opernregisseur präsentiert, gewußt. In diesem Fall jedoch gibt es keinen Ausblick auf die in der Oper erwähnte Stadt Brügge, dafür viel Sanatoriumsatmosphäre, die er gemeinsam mit dem Ausstatter-Ehepaar Rolf und Marianne Glittenberg auf die Bühne zaubert. Allenfalls im ersten Akt gibt's ein wenig nobles Wohnzimmerflair der 1920er Jahre, gehörig abstrahiert mit einigen Videoeinblendungen. Dann geht es in einen großen Saal mit einer Badewanne, nachdem als visuelles Zitat frei nach Marat und Barschel bereits die tote Marie im ersten Akt in einer solchen gelegen hat. Schließlich wird in der Klinikatmosphäre auch das gehörig skurrile Alptraum-Völkchen gezeigt, unter anderem mit einem Liliputaner, einem Riesen, einem Dicken, einer dünnen Schönheit, kurzum, mit einem hinreißend komplexen Personal, das schon sehr viel Gaudi in dieser an sich sehr ernsten Angelegenheit walten läßt.

Sehr selbstverliebt wird Paul gezeigt, am Ende stülpt ihm Marietta im Alptraum die Haare seiner Frau über. Das Spiegelbild im eigenen Ich, so haben sich das die beiden Korngolds sicher nicht vorgestellt. Aber das ist doch wohl zuviel vorgeführte Selbstliebe. Paul braucht das Gegenüber, und das findet er bestimmt nicht in sich selbst. Bechtolf ist kreativ, versteht sich auf schnelle Aktionen, aber einen Stoff wie den von Korngold/Rodenbach vollends zu bewältigen, bedarf es eines noch tieferen Einblicks ins Seelische. Und das findet sich nicht unbedingt beim Mummenschanz.

Die nächsten Aufführungen im Opernhaus Zürich, Falkenstraße 1, finden am 26. und 29. April sowie am 3. Mai statt. Karten unter Tel: 00 41 / 1 / 2 68 66 66

Foto: Paul (Norbert Schmittberg) und Marie (Emily Magee)


 
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