© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003


Neue Technologien: Genmanipulierter Weizen in Thüringen
Der Feind ist überall auf dem Vormarsch
Angelika Willig

Das "alte Europa" wehrt sich nicht nur gegen moderne Kriege, sondern seit Jahren auch gegen genmanipulierte Lebensmittel. Auf beiden Feldern hat es gerade eine wichtige Niederlage hinnehmen müssen. So ist letzte Woche in dem thüringischen Ort Friemar auf einem 30 mal 40 Meter großen Gelände unter dem Protest von Greenpeace transgener Weizen ausgesät worden. Dem Aussehen und Geschmack nach unterscheidet sich dieser Weizen nicht vom üblichen, auch der Nährwert ist nicht verändert. Der genetische Eingriff bezieht sich nur auf die Anfälligkeit für einen gefährlichen Pilz, der dem "Genweizen" nichts anhaben kann. Dies erspart eine kostenaufwendige Schädlingsbekämpfung - und schützt die Umwelt, da keine chemischen Pestizide mehr eingesetzt werden müssen. Investor in Friemar ist die schweizerische Biotech-Firma Syngenta, und es handelt sich zunächst um ein Versuchsfeld ohne kommerzielle Nutzung. In den USA jedoch, wo diesbezüglich keine gesetzlichen Verbote herrschen, stammen bereits zwei Drittel aller verkauften Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren. Die EU verbietet bisher die Einführung solcher Waren genauso wie deren Produktion in ihrem Geltungsraum. Deutschland ist bei dieser Ablehnung führend.

Die Gefahr genmanipulierten Getreides liegt zunächst in noch nicht absehbaren gesundheitlichen Folgen für die Konsumenten, und sie liegt vor allem in einer unkontrollierbaren Verbreitung des transgenen Samens in der umliegenden Gegend, so daß irgendwann überhaupt nichts "Naturreines" mehr wächst.

Mit Bagdad kann man Friemar zwar nicht gleichsetzen, aber ein bedeutsames Ereignis ist der Einbruch der Gentechnik in die deutsche Landwirtschaft allemal. Die wirtschaftliche Bedeutung kann sich jeder selbst ausmalen. Bliebe Europa bei seiner Ablehnung, würden sich unsere Produkte binnen kurzem ausnehmen wie Pfeil und Bogen gegen die neuesten Waffensysteme. Doch auch das Umweltbewußtsein müßte durch die genetischen Methoden arg erschüttert werden. Plötzlich ist der Gegner der Ökoaktivisten nicht mehr eine klappernde Dreckschleuder, sondern die unsichtbare Textkorrektur an der DNA mit ökologisch eher günstigen Folgen. Wogegen man jetzt kämpft, ist nicht mehr eine Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt, sondern nur noch deren Veränderung. Wie alle Konservativen sieht Greenpeace im Neuen nur die Gefahren, und diese spornen nicht zur Verbesserung an, sondern zum Rückzug.

Jahrzehntelang haben sich die Umweltschützer aufgeregt und von den Bauern verlangt, eine ökologische Schädlingsbekämpfung zu betreiben, also gegen Raupen beispielsweise Vögel einzusetzen, die diese mit Vergnügen gratis wegputzen. Das ist ein schöner und richtiger Gedanke, nur leider nicht überall praktikabel, wo Milliarden von Menschen billig zu ernähren sind.

Hier liegt das argumentative Problem bei den heute vielgerühmten "Non Government Organisations" wie Greenpeace: Sie kritisieren Antworten auf Fragen, die sie selbst nicht beantworten müssen, weil sie in keiner Regierung sind und sich auch tunlichst davor hüten. Denn die einzige Möglichkeit, Umweltschutz mit konventionellen Mitteln zu betreiben, wäre das Verschwinden von zwei bis vier Milliarden Menschen durch Hunger, Krankheiten, wie auch immer, nur möglichst schnell. Da sich hierfür - zum Glück - keine Mehrheit findet, ist globaler Umweltschutz nur mit unkonventionellen Mitteln zu realisieren - zum Beispiel durch Genmanipulation.

Die Frage, um die es hier geht, wird die ökologische Bewegung noch tiefer spalten. Die einen wollen einen Naturzustand wiederherstellen, für die anderen ist Rettung nur noch durch gewaltsame technische Eingriffe zu erreichen. So betreiben Artenschützer mittlerweile die Archivierung von tierischem Erbgut, um ausgestorbene Tiger oder Affen später durch Klonen reproduzieren zu können. Tierschützer hingegen glauben, daß es genügt, jedes vorhandene Tier möglichst gut zu behandeln - auch wenn es zur Ausrottung anderer Arten erheblich beiträgt.

Es ist die alte Frage nach Schuld und Unschuld. Auch hier gilt für den Krieg wie für den Umweltschutz ähnliches. Wer handelt, wird schuldig, und wer wirksam handelt, zieht sich den Haß der anderen zu. Nur Opfer zu sein, ist bequem und sympathisch. Doch es dient leider nicht der Sache.


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