© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/03 18. April 2003


Stunde Null in Bagdad

Plünderungen, Brandstiftung, Anarchie: Der Irak droht im Chaos zu versinken
Alexander Griesbach

Wo die Amerikaner stehen", so ein verzweifelter Iraker in dem von Plünderern heimgesuchten Bagdad, "darf niemand etwas machen. Das Ölministerium haben sie nicht kaputtmachen lassen." In der Tat: Direkter als in den vergangenen Tagen hätten die US-amerikanischen "Befreier" im Irak nicht demonstrieren können, wofür sie diesen Krieg führen. Erst als die Weltöffentlichkeit immer ungehaltener auf die amerikanische Passivität im Hinblick auf die brandschatzenden Marodeure in Bagdad und anderswo im Irak reagierte, die auch vor Krankenhäusern und Museen nicht haltmachen, sahen sich diese gemüßigt, über Ausgangssperren oder andere Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit nachzudenken.

Für Bagdads Nationalmuseum und seine unersetzlichen Kunstschätze kommen diese Maßnahmen indes zu spät. Ein enthemmter Mob hat diese in der Zwischenzeit geplündert oder pulverisiert, ohne daß sich das US-Militär gemüßigt sah, diesen Anschlag auf die kulturelle Identität des Iraks abzuwehren.

Nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein Teil der Kunstschätze gezielt geplündert wurde. In diesem Zusammenhang ist hinzuweisen auf die Aktivitäten des im letzten Jahr gegründeten American Council on Cultural Policy, dessen Ziel laut Süddeutscher Zeitung (SZ) "die Lockerung der irakischen Antiquitätengesetze unter einer amerikanisch kontrollierten Nachkriegsregierung" sein soll. SZ-Autorin Sonja Zekri spricht mit Blick auf die Intentionen dieses Rates von "einer legalisierten Plünderung der Kultur Mesopotamiens durch die Amerikaner, nachdem US-Bomben das Land zerstört haben und US-Firmen vom Wiederaufbau profitieren". Was Zekri hier betont emotional zum Ausdruck zu bringen versucht, klingt bei William Pearlstein, dem Schatzmeister dieses Councils, wie folgt: Der Rat unterstütze eine "vernünftige Post-Saddam-Verwaltung" für die Kultur, die es ermögliche, "einige Objekte für den Export zu zertifizieren".

Die Vorgänge in Bagdad lassen Erinnerungen an die systematischen alliierten Plünderungen deutscher Kunstschätze, an denen sich auch Mitglieder der US- Armee beteiligten, wachwerden. Auch wenn die US-Armee diesmal an den Plünderungen von Kunstschätzen nicht aktiv beteiligt war: ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörung und Plünderung unersetzlichen Kulturgutes kommt einer Mitverantwortung für diese skandalösen Vorgänge gleich. Selbst die sonst so zurückhaltende FAZ gab ihrem Entsetzen über "die Tatenlosigkeit der amerikanischen Truppen" Ausdruck. Dabei waren Plünderungen, wie sie jetzt im Irak vorkommen, absehbar und wurden auch im Vorfeld dieses Krieges deutlich artikuliert.

Dies alles wirft einen dunklen Schatten auf die anstehende Neuordnung des Iraks. Wer in der nun anbrechenden Besatzungszeit den Ton im Irak angeben wird, ist inzwischen klar. Das Führungstrio bilden der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, der sich in den vergangenen Monaten als unermüdlicher Kriegstreiber "profiliert" hat, General Tommy Franks, Hoher Kommissar und Oberbefehlshaber der US-Truppen am Golf, und General a.D. Jay Garner, der zuletzt als Präsident für den Rüstungskonzern SY Coleman tätig war. Garner ist als Chef der Übergangsregierung mit 27 Ministerien vorgesehen. Nicht ohne Bedeutung dürfte auch die Berufung von Philip Carroll sein, der zum Koordinator für den Wiederaufbau für die irakische Ölindustrie eingesetzt wurde. Carroll war zuletzt Chef des niederländisch-britischen Ölgiganten Shell.

Auch im Hinblick auf die Entwicklung der öffentlichen Meinung überlassen die USA nichts dem Zufall. Den Reorganisator für den irakischen Rundfunk gibt Robert Reilly, der vorherige Direktor des Senders Voice of America. Nicht ohne Brisanz dürfte auch die Besetzung des Amtes des Informationsministers durch den Ex-CIA-Chef James Woolsey sein, der sich zuletzt als Lobbyist großer US-Unternehmen einen Namen gemacht hat. Diese Herrschaften sollen dafür sorgen, daß mittelfristig im Irak eine Regierung an die Macht kommt, die den Vorstellungen der USA entspricht. Die Gewähr dafür soll der Vorsitzende des Irakischen Nationalkongresses (IRC), der Schiite Ahmed Chalabi, bieten. Dieser erklärte bereits, daß er sich eine bis zu zweijährige Besatzungszeit der Amerikaner durchaus vorstellen könnte. Chalabi, ein Ex-Bankier, den ein jordanisches Gericht zu 22 Jahren Haft wegen Betrugs verurteilt hat, ist im Irak freilich mehr oder weniger ein Unbekannter.

Chalabi hat darüber hinaus mit Ajatollah Mohammed Bakir al-Hakim einen Gegenspieler, vor dem sich er und die Amerikaner in acht nehmen müssen. Dieser in Teheran ansässige Geistliche, der den Obersten Rat der Islamischen Revolution (SCIRI) im Irak dirigiert, hat das Kommando über 10.000 Kämpfer, die in den Irak zurückkehren wollen. Von einer Militärherrschaft der Amerikaner hält al-Hakim erklärtermaßen nichts.

Sein Lippenbekenntnis zur "pluralistischen Demokratie" zum Nennwert zu nehmen, würde an Naivität grenzen. Al-Hakim will an die Macht. Dorthin kommt er nur, wenn er sich - vorerst - einer demokratischen Rhetorik befleißigt. Sollte er jemals das Ruder im Irak in die Hand bekommen, dürften die Karten in einer Weise neu gemischt werden, die kaum ins Kalkül der USA passen wird.

Es ist vor diesem Hintergrund mehr als fraglich, ob die Entwicklung im Irak so verlaufen wird, wie es sich die Amerikaner vorstellen. Die Gefahr, daß der Irak durch die auseinanderdriftenden ethnischen und religiösen Strömungen auseinanderfallen könnte, ist durchaus gegeben. Dabei sind nicht nur die im Norden ansässigen sunnitischen Kurden ein bleibender Unsicherheitsfaktor für eine stabile Nachkriegsordnung. Welche Absichten die Kurden verfolgen, wird sich schon bald zeigen. Zunächst dürften diese allerdings noch mit internen Machtkämpfen beschäftigt sein. Es ist nämlich kaum anzunehmen, daß sich die rivalisierenden Kurdenführer ohne weiteres auf eine Führungsperson einigen werden.

Nicht vergessen werden sollten auch die Turkmenen, die die Erdölstadt Kirkuk als ihr geistiges Zentrum betrachten. Diese haben bereits zu erkennen gegeben, daß sie die Fortsetzung der Unterdrückungspolitik Saddams unter kurdischen Vorzeichen nicht mitmachen werden. Wer die Turkmenen bei der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützen soll, liegt klar auf der Hand: die Türkei. Diese könnte kurdische Übergriffe gegenüber den Turkmenen als langgesuchten Interventionsgrund auslegen. Kommt es tatsächlich zu einer derartigen Intervention, käme in der gesamten Region alles ins Rutschen.


 
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