© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/03 11. April 2003

 
Der Ideologe
Horst Mahler: Der politische Aktivist gibt sich als Missionar, der an die eigenen Visionen vorbehaltlos glaubt
Bernd Rabehl

Horst Mahler hat die NPD verlassen. Einen Tag, nachdem die Verfassungsrichter beschieden, daß der Verbotsantrag von Regierung, Bundestag und Bundesrat gegen diese Partei keine Rechtsgrundlage besaß, gab der Verteidiger seiner schutzbefohlenen Organisation den Laufpaß. Die NPD war nach seiner Überzeugung zu parlamentarisch gestrickt und zu sehr verwoben in das Politikkalkül dieser Republik. Sie war deshalb nicht in der Lage, Volkskämpfe gegen die politischen Machteliten zu führen.

Mahler durchschritt durch diesen Austritt eine weitere Front und war dabei, neue Ziele und Positionen anzustreben. Er kam von links und hatte seine politische Heimat in den unterschiedlichen Gruppierungen, in SPD, SDS, APO, RAF, KPD und NPD gefunden. Er war halblinks im Milieu einer öffentlichen Dienstpartei gestartet, war hineingeraten in den Strudel der politischen Umbrüche von Achtundsechzig, hatte fast acht Jahre als Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Knast verbracht und sich nach seiner Entlassung kontinuierlich auf das rechtsradikale Lager hin orientiert und hier als Propagandist eines nationalen Aufbruchs gewirkt.

Auch beruflich hatte er viele Wechsel vollzogen. Er hatte Jura studiert und hier zielstrebig den Abschluß verfolgt. Er ließ sich als Wirtschaftsanwalt nieder und war erfolgreicher Verteidiger von Wirtschaftskriminellen, die in West-Berlin die staatlichen Subventionen absahnten. Er gewann Zugang zu diesen Kreisen und eine große Karriere mit Glanz und Reichtum stand ihm bevor. Der Weg schien ihm zu leer und banal. Dieser Aufstieg entwurzelte ihn und stand seiner psychologischen Disposition entgegen. Er hatte politische Ambitionen, die über die "Normalität" von Wohlstand und Ansehen hinausgingen. Er liebäugelte mit dem kommunistischen Konzept einer "Freien Stadt Westberlin", das die erstarrten Fronten aufzubrechen schien und das dem Politiker Mahler neue Betätigungsfelder einräumen würde.

Anwalt der Beleidigten und Entrechteten

Diese Blickrichtung auf die SEW und ihre östlichen Machtträger wurde sehr schnell durch die Turbulenzen einer Generationsrevolte überdeckt. Mahler ließ sich hineinreißen in die Ereignisse und wurde der Verteidiger von Fritz Teufel und die graue Eminenz des Republikanischen Clubs. Seine Mandanten aus den halbseidenen Kreisen verließen ihn und Mahler wurde der Anwalt der Beleidigten und Entrechteten. Er vermied im Gegensatz zu seinem Lebenskonkurrenten Otto Schily jeden Abstand zu seinen Klienten. Er wollte sie sogar übertrumpfen, und so näherte er sich den Verächtern der studentischen Akteure, die die Radikalität der Sprache dieser Revolte in die Aktion überführen wollten.

Mit Andreas Baader und Ulrike Meinhof gründete Mahler die Rote Armee Fraktion (RAF). In dieser Gruppe wollte er sich als Theoretiker profilieren, als ein deutscher Marighuella, der die Bedingungen des Untergrundkampfes in den Großstädten benannte. Mahler zeigte sich als Kämpfer und nahm teil an Banküberfällen, um das notwendige Geld für das Anmieten von illegalen Wohnungen, Waffen, Pässe, Autos, Reisen und für eine illegale Identität zu besorgen. Der Feind wurde damals eindeutig benannt: der US-Imperialismus, der Staat Israel als Kollaborateur dieser Großmacht im Nahen Osten, die parlamentarische Demokratie in Westdeutschland und ihre Machteliten. Dieser Feind würde im Denken von Mahler fortexistieren, ganz egal, wie oft er die Fronten wechselte und in welchem politischen Lager er stand.

Mahler wurde sehr schnell verhaftet und zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Acht Jahre davon mußte er absitzen. Otto Schily war sein Verteidiger und wohl auch sein Ratgeber. Mahler trennte sich sehr schnell von der RAF. Andreas Baader hatte sich dort als Commandante durchgesetzt und ihn an den Rand gedrängt. Mahler wurde im Knast Parteigänger der maoistischen KPD und agierte in der neuen Sprache des Maoismus. Er verbreitete einen blumigen Optimismus, denn der Feind, der US-Imperialismus und seine Vasallen in Europa, waren nach seinen Worten im Niedergang begriffen und traten nur noch als "Papiertiger" auf. Zugleich las er auf Zuraten von Schily Hegel. Dadurch war er nicht mehr ansprechbar für RAF und KPD, die Solidarität forderten oder ihre Häftlinge anstachelten, den Knast zum Ort des Widerstands und Kampfes zu machen.

Mahler war der juristische Berater seiner Mitgefangenen und löste sich durch die Hegel-Lektüre vom vergitterten Alltag. Dadurch sicherte er seine Position in der Anstalt und bereitete sich auf die Zeit nach der Entlassung vor. Bisher war er gedanklich und sprachlich im Formalismus der Juristensprache verhaftet gewesen. Über Hegel, nicht über Marx, wollte er sich die Welt erschließen. Marx war "Institution" und nicht nur ein Säulenheiliger der UdSSR, sondern auch Gegenstand der Dispute an den westlichen Universitäten. Hegel hatte zwar auch seinen bürokratischen Rückhalt, aber er besaß die Perspektiven von Weltgeist und der Totalität von Welt und würde die Kargheit einer formalisierten Juristensprache überwinden und neue Legenden und Spekulationen zulassen. Mahler war bemüht, sich nicht länger in den Ideologien und den Sprachen anderer zu bewegen. Er wollte selbst Propagandist sein und den schwarzen Anzug des Advokaten ablegen.

Im dritten oder vierten Glied wollte er nicht stehen

Wieder hätte er nach seiner Entlassung den bürgerlichen Weg einschlagen können. Die FDP war in Gestalt des Innenministers Baum an ihm interessiert. Der SPD-Politiker Gerhard Schröder sorgte dafür, daß ihm die Würde des Anwalts zuerkannt wurde. Er eröffnete erneut eine Rechtsanwaltpraxis und bewegte sich in den oberen Stockwerken der Gesellschaft. In den Vorbereitungen des Machtwechsels in Bonn wurde ihm von den verantwortlichen Politikern signalisiert, daß vorläufig kein Platz für ihn, den Ex-Terroristen, in einem zukünftigen Kabinett sei. Otto Schily würde die Funktion des Innenministers erhalten. Im dritten oder vierten Glied wollte Mahler nicht stehen.

Ergibt sich die Gelegenheit, heute den Tonkassetten von Horst Mahler zu lauschen, so fällt auf, daß er im Umfeld der NPD sich als "Führer" und Weiser inszeniert. Seine Worte enthüllen die Düsternis der Welt und letztlich kann nur er den Ausweg weisen. Er übernimmt einen "völkischen Jargon", der in seinem Munde aufgesetzt wirkt. Der Formalismus der Juristerei bestimmt weiterhin seine Beweisführungen. Von Hegel ist nichts zu merken, es sei denn, die Mahlerschen Ambitionen, einen "Reichsverweser" vorzustellen, ließen sich auf diesen Philosophen zurückführen. Mahler demonstriert den Weltverächter, und er will als "Befreier" weiterhin Elite sein.

In seinem Streben nach Macht blieb er sich treu

Mahler stammt aus Oberschlesien, einem Grenzland, in dem die Bewohner gegen die äußeren Einflüsse um die nationale Identität rangen. Als Sohn eines Zahnarztes und Parteigängers der NSDAP behielt er die innere Disposition aufrecht, zur Familie zu stehen und mindestens den sozialen Status des Vaters anzustreben. Dieser scheiterte als Flüchtling in Nachkriegsdeutschland und nahm sich das Leben. Die Mutter versorgte die Söhne und sorgte für ihre Erziehung. Horst Mahler würde sie nicht enttäuschen. Er meisterte die unterschiedlichen Situationen von Krieg, Flucht, Nachkriegszeit und das Leben im Osten und Westen. Für ihn gab es keine "Normalität". Der permanente Wechsel von Ordnung und Werten verlangte nach einer starken Persönlichkeit. Nicht die vorherrschenden Rechtsnormen waren entscheidend, sondern der individuelle Durchsetzungswille. Mahler gehörte nicht zu den vielen "Nazikindern", die ihr Elternhaus verleugneten und eine andere Person sein wollten, weil sie die konkreten Konflikte scheuten. Er war nicht auf der Flucht vor sich selbst, und er wurde nicht Antifaschist, Partisan oder Kommunist, um sich eine andere Identität zu verpassen. Der Wechsel der unterschiedlichen Positionen war Ausdruck von "Nähe" und Machtwillen. Darin blieb sich Mahler treu, und er unterschied sich dadurch etwa von Otto Schily, der die Distanz liebte und der über Sachverstand, aber auch über die informellen Bindungen zu den Mächtigen im Apparat nach oben kommen wollte.

Mahler durchschaute den quasi religiösen Anstrich der Links- und Rechtsideologien. Die Differenz zwischen beiden lag nur oberflächlich im Gegensatz von rationaler Ableitung und Kritik am Kapitalismus und der mythologischen Setzung von Volk, Rasse und Staat. Beide waren als Weltsichten "Heilslehren", denn sie stifteten Glauben und organisierten über ein System von Parteien und Verbänden die inneren Hierarchien, Gefolgschaften und Sympathisanten. Die Propaganda als Demonstration, Poster, Spruch und Symbol war entscheidend. Sie rüttelten die eigenen Parteigänger auf und schufen einen politischen Existentialismus als Lager oder Richtung.

Die Aufzüge und Aufläufe liefen auf eine symbolische Besetzung der Städte hinaus und wiesen auf einen zukünftigen Bürgerkrieg. Vor allem die Jugend war ansprechbar, die noch im "Niemandsland" zwischen sozialer Verantwortung und Beruf lebte und die weitgehend herausgeschleudert war aus der Ordnung der sozialen Sicherheit. Nicht die Argumentation war gefragt, sondern Utopien oder Mythologien sollten den Ausweg zeigen. Sie lebten über Visionen und Sprache, Personen und Führer, Turbulenzen und Inszenierungen, denn viele der "Achtundsechziger" hatten für Mahler sehr schnell bewiesen, daß sie sich nach Autorität sehnten, nach Stalin, Mao, Pol Pot oder einem sozialistischen Lager und daß das antiautoritäre Gebahren ihnen unheimlich blieb.

Mahler unterläuft das große Schweigen

Ende der neunziger Jahre wußte Mahler, daß die linke Szene vorläufig besetzt war durch die Machtpolitiker von SPD, PDS und grüner Partei. Deshalb startete er rechts und wollte einen rechten Außerparlamentarismus begründen und die Rechte impfen mit der Mobilisierungskraft der Linken. Die NPD war nur Sprungbrett. Er wollte es seinen ehemaligen Genossen in Berlin beweisen, daß ein Mahler nicht ignoriert werden durfte.

So wenig in Deutschland letztlich der Kommunismus je eine Chance hatte, so wenig läßt sich ein Nationalsozialismus neu erwecken. Nicht nur die Kriegsverbrechen dieser Diktatur entsetzen, vollkommen andere soziale Schichten bestimmen heute Ideologie und Denken und haben mit den Entwurzelten der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges nichts gemeinsam.

Mahler spricht zwar richtige Probleme an, er mobilisiert jedoch eine "Heilslehre", mit der kaum jemand etwas zu tun haben will. Seine Bedeutung liegt darin, daß er das große Schweigen unterläuft. Die politischen Eliten gefallen sich darin, Elemente einer Vasallität der deutschen Republik zur USA nur bedingt anzusprechen. Der Staat Israel wird als Vermächtnis der jüdischen Völker genommen, ohne diesen Staat als Okkupationsmacht im Nahen Osten zu betrachten. Dadurch wird eine Identität von jüdischer Geschichte, der Juden und Israel behauptet, die real nicht vorhanden ist und die die Größe und Vielschichtigkeit des jüdischen Denkens unterschlägt.

Das Problem der europäischen Einheit als Machwerk der Brüsseler Bürokraten wird nicht benannt. Der Abgesang auf die einzelnen Nationen rechnet mit deren Apathie und Geschichtslosigkeit. Die massiven Zuwanderungen aus den Elendsgebieten der Welt werden primär als Marktkalkül oder Arbeitsbeschaffung betrachtet. Es wird unterschlagen, daß diese Regionen durch Elend, Bürgerkrieg und Massaker unregierbar werden und die reichen Gesellschaften sich vor der Verantwortung und der Entwicklungshilfe drücken. Den Revolutionen dieser Kontinente wird durch eine Konterrevolution der Luftschläge und Aushungerung begegnet.

Mahler spricht aus, was die Herrschenden verschweigen. Er bleibt jedoch Gefangener seiner Ideologie und betrachtet Wirklichkeit nach den eigenen Vorgaben. Mahler zeigt sich als Missionar, der an die eigenen Visionen vorbehaltlos glaubt. Jetzt will er seine eigene Volksbewegung schaffen. Er will sich als Märtyrer aufbauen, der für die Sache des Volkes im Gefängnis schmachten wird. Mahler beschreitet den endgültigen Weg ins Religiöse, entweder in das germanische Heidentum oder in den islamischen Fundamentalismus.

 

Prof. Dr. Bernd Rabehl war 1967/68 Mitglied im Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und ein enger Weggefährte Rudi Dutschkes. Seit 1973 lehrt er Soziologie an der Freien Universität Berlin.


 
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