© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
Windige Retter
Kino: "The Core - Der innere Kern" von Jon Amiel
Siegfried Übach

Ein endzeitliches Katastrophenszenario, das Regisseur Jon Amiel ("Sommersby") aufbereitet: Aus unbekannten Gründen hat der innere Kern der Erde zu rotieren aufgehört. Dieses bald von Wissenschaftlern festgestellte Faktum führt zu dramatischen Veränderungen des elektromagnetischen Feldes und des Klimas auf der Erde. Unter anderem stürzt die Golden Gate Brücke in San Francisco ein, was zum Tod von Hunderten staugeplagter Autofahrer führt.

Am Londoner Trafalgar Square verlieren Taubenschwärme ihr Navigationsvermögen und verbreiten Chaos, indem sie in Menschenmengen und Windschutzscheiben fliegen. In Rom zerbersten vor den Augen von Tausenden Touristen die Außenwände des Colosseums und verwandeln die "ewige Stadt" in eine Trümmerwüste.

Mit Hilfe einer neuentwickelten Maschine, die sekundenschnell riesige Löcher durch Gestein bohren kann, versucht die amerikanische Regierung schließlich ein waghalsiges Projekt zur Rettung der Erde: Eine mit Atombomben bestückte Raumkapsel, bemannt mit einem kleinen Wissenschaftler- und Astronautenteam wird auf die Reise zum Erdkern geschickt, um dort via Atomsprengungen die Rotationskräfte wieder anzuregen. Die Mission gelingt nach mehreren gefährlichen Situationen. Einige Crewmitglieder sterben, doch am Ende können Dr. Josh Keyes (Aaron Eckhart) und Major Rebecca Childs (Hilary Swank) die Rückreise antreten und in ihrer wieder aus dem Erdinnern ausgetretenen Kapsel vom Meeresgrund geborgen werden.

Seichte Kost, die Regisseur Jon Amiel dem Zuschauer zum besten gibt. Waren allerlei utopisch-technikfixierte Science-Fiction-Streifen in den fünfziger und sechziger Jahren noch mit begrenztem innovativen Unterhaltungswert ausgestattet und haben heute bereits teilweise die würdige Anerkennung getreuer Fans als gelungenen "Trash" erlangt, so rufen derartige Genre-Wiederbelebungen in der Gegenwart eher peinlich berührtes Raunen hervor. Dieser Action-Science-Fiction bemüht sich hölzern um ein authentisch wirkendes Szenario, ihm fehlt also (leider) jene spielerisch-phantasievolle Sichtweise, wie sie zum Beispiel Henry Levins Jules-Verne-Verfilmung "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" von 1959 innewohnte.

Trotz allen modernen wissenschaftlichen Realismus vermißt man in "The Core" jegliche Glaubwürdigkeit. Zu einer alles entscheidenden Mission, die das Überleben der Menschheit sichern soll, wird eine windige Crew aus zwei Astronauten und einigen verschrobenen Wissenschaftlern zusammengestellt. Kurz vor der Abfahrt macht man, was sonst selbst Lufthansa-Kapitänen strikt verboten ist: Man kippt sich erstmal einen Becher mit Schampus hinter die Binde, um sich dann angeschwipst "Okay, let's do it" zuzuprosten, als gehe es darum, einen kleinen Haufen Ziegelsteine fortzuräumen.

Und natürlich bleiben an Bord dieser todernsten Mission infantil anmutende Streitereien, Selbstinszenierungen und Machtkämpfchen nicht aus. Seriös und konzentriert wirkt diese Crew jedenfalls nicht - ebensowenig wie übrigens das Kontrollzentrum auf der Erde, das zudem einen halbseidenen Computerhacker beschäftigt. Diesen Leuten möchte man das Schicksal von Milliarden Menschen eigentlich nicht anvertrauen.

Welches Fazit soll man also aus einem derartig hanebüchenen Quatsch und vorhersehbaren Handlungsablauf ziehen? Sicher, es es sind einige ästhetisch ansprechende Bildanimationen des Inneren der Erde zu sehen. Gegen Ende des Streifens erhalten einige Szenen von Selbstopfern sogar Anflüge von echter Dramatik. Auch die Katastrophenszenen auf der Erdoberfläche führen die Auswirkungen eventueller Klimaveränderungen drastisch vor Augen. Ansonsten aber finden sich nur B-Movie-Versatzstücke im Edelgewand. Etwas Technik-Schnickschnack, etwas Unterwassergefahr à la "Abyss - der Abgrund", eine Fahrt im unbekannten Medium wie in "Die phantastische Reise", eine Vogelattacke à la Hitchcocks "Die Vögel".

Insgesamt allerdings bietet "The Core" nur leichteste Kost für diejenigen, die wohl vor allem deswegen ins Kino gehen, um zu bewegten, bunten Bildchen Popcorn in sich hineinzuschaufeln oder ungestört SMS-Nachrichten tippen zu können.

Einsturz der Golden Gate Brücke: Katastrophenszenario


 
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