© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
Europa am Scheideweg
Irak-Krieg: Die derzeit herrschende Uneinigkeit in der Alten Welt ist die ideale Voraussetzung für eine hegemoniale Weltmachtspolitik der USA
Jörg Haider

Der Irak spaltet das politische Europa. Die Menschen dagegen sind sich einig. Sie wollen keinen Krieg gegen den Irak. Täglich demonstrieren Tausende von ihnen auf den Straßen und zeigen ihren Widerstand. Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller, Schauspieler finden sich zu einer immer breiter werdenden Allianz des Friedens, die immer mehr Gewicht bekommt. Die Regierungen freilich sind gespalten. Im Wege der Nato-Partner hat Großbritannien acht europäische Staaten gegen die deutsch-französische Position in Sachen Irak mobilisiert. Darunter sind auch einige Neumitglieder wie etwa Polen. Die Amerikaner benützen diese europäischen Satelliten knallhart dafür, um Druck auf die widerspenstigen Deutschen und Franzosen zu machen, die es sich aus der Sicht Washingtons anmaßen, der Weltmacht in dieser Frage die Stirn zu bieten. (...)

In Wirklichkeit macht der Irak-Konflikt das Dilemma der europäisch-amerikanischen Beziehungen offenkundig. Früher glaubten die USA, mit der Herrschaft des Rechts den Frieden durchsetzen zu können. Die Europäer setzten der Herrschaft des Rechts das Faktum der Machtpolitik gegenüber. Heute verhält es sich genau umgekehrt. Die USA gehen nötigenfalls auch gegen den Willen der Völkergemeinschaft in den Krieg. Europa dagegen setzt mehr als je zuvor auf den Aufbau einer Zivilgesellschaft und die Durchsetzbarkeit von tragfähigen Vertragslösungen. Doch ohne die militärische Kraft der USA bzw. der Nato sind zumindest in jüngster Vergangenheit, wie das Beispeil Balkan dramatisch vor Augen führt, politische Verhandlungslösungen chancenlos gewesen. Europa steckt in einem Dilemma.

Die USA zeigen alle Allüren einer neuen Kolonialmacht

Es ist in gewisser Weise eine Verkehrung der Geschichte. Europa hat seine koloniale Vergangenheit nach hartem Ringen hinter sich gelassen, während die Amerikaner jetzt mit allen Allüren einer neuen Kolonialmacht zu Werke gehen. Egal ob in Afghanistan oder im Irak: Amerika greift in seinem Sendungsbewußtsein nach Macht und in der Umsetzung reiner ökonomischer Gier brutal auf die vorhandenen Energievorräte und will dadurch die totale Kontrolle über den Rohstoff Erdöl und Erdgas erzwingen. Das gilt auch anderswo in der Welt. Denn die ständigen Unruhen und Menschenopfer im Sudan sind auch unter dem Gesichtspunkt, den Weltkolonialherren spielen zu wollen, zu verstehen.

Das amerikanische Szenario einer Neuordnung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens muß all jenen zu denken geben und sie zutiefst schockieren, für die Freiheit und Selbstbestimmung der Völker mehr als hohle Phrasen sind. Die Sicherheitsberaterin von Bush jun., die ebenfalls aus dem Ölgeschäft stammende Condoleezza Rice, hat diese Pläne nicht einmal verheimlichen müssen. Die USA sind offenbar sicher, alles durchzubringen und können die Karten auf den Tisch legen. Dann muß Syrien, der alte Verbündete des Irak und Widersacher Israels in die Knie. Der Iran ist durch die US-Militärmacht im Irak und in Afghanistan in der Zange und kann sich nicht mehr rühren. Dann wird der König von Jordanien nach Saudi-Arabien verpflanzt. Man kann damit argumentieren, daß er der einzige direkte Nachkomme des Propheten ist. Mit diesem Schritt wäre man fast am Ziel. Dann wäre auch Jordanien frei, und die Palästinenser könnten auf dieses Territorium abgeschoben werden. Damit sind die Probleme im Nahen Osten nach Vorstellungen der USA gelöst. (...)

Die USA haben sich offenbar längst schon festgelegt. Sie allein sind am Zug. Ihre Absicht ist klar, es geht jetzt nur noch darum, die Welt propagandistisch auf ihren Raubzug einzuschwören. Die jüngste Lügengeschichte in diesem gigantischen Gebäude ist jene um einen al-Quaida-Chemiewaffenexperten. Dieser bereite angeblich mit der fundamentalistischen Terrorgruppe Ansor-E-Islam Angriffe mit biologischen Waffen vor. Was bei all dem verschwiegen wird, ist die Tatsache, daß die genannte Gruppe ausschließlich im Norden des Irak agiert. Das aber ist jenes kurdische Gebiet, das durch die auferlegte Flugverbotszone ausschließlich von den USA und Großbritannien kontrolliert wird. Dazu kommt, daß die Kurden bekanntlich auch nicht zu den größten Freunden des Irak insgesamt und des Saddam Hussein im besonderen zählen. Eines ist jedoch augenscheinlich. Trotz aller nicht zu verbergenden Differenzen mit dem Diktator ist den Kurden offenbar seine Herrschaft immer noch lieber als das, was nach ihr im Falle eines Krieges drohen könnte. Der offene Übergriff der Türkei nämlich auf den Nordirak, der für die Kurden nichts Gutes erwarten läßt. Deshalb unterstützen die Kurdenführer, so paradox es auch klingen mag, ihren Erzfeind Saddam gerade in der Zeit, in der die Möglichkeit bestehen könnte, ihn zu beseitigen. Die Kurden werden sicher wissen warum. (...)

Der Konflikt um den Irak hat in der Völkergemeinschaft und in Europa enormen Schaden angerichtet. Wie niemals zuvor in der Geschichte versucht Amerika einseitig den "Weg des Guten" für die gesamte Welt zu definieren. Das Motto, unter dem man dabei handelt, lautet: Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag'...

Es ist ein neuer Weg des Unilateralismus, der die Bedeutung der Uno auf ein Absegnungsorgan für die amerikanischen Weltmachtsambitionen reduziert. Wenn sie nicht spurt, dann gibt es kein Geld. Wer nicht mitspielt, ist in den Augen Washingtons ein für alle Mal unten durch. So einfach ist die Regel. Andererseits sollte man nicht vergessen, daß auch die USA die UN-Charter unterschrieben haben und damit das Gewaltverbot des Art. 2 ebenso zu respektieren haben wie alle anderen Unterzeichner auch. War es das Anliegen der Uno, Machtkonflikte durch die Herrschaft des Rechts in kultivierter Weise zu lösen oder mindestens in geordnete Bahnen zu bringen, scheint es die Strategie der USA zu sein, die Geltung des internationalen Rechts durch die Macht des Faktischen mit Füßen zu treten. Seit dem politischen Ruin der Sowjetunion ist diese Barbarisierung der internationalen Staatengemeinschaft durch die US-Politik ohne nennenswerten Widerstand durchsetzbar.

Der bestehende Riß durch Europa ist im Sinne der USA

Wenn ich das sage, ist das kein antiamerikanischer Reflex, wie das in einem Totschlagsargument in den US-freundlichen Medien Europas wahrscheinlich genannt werden würde. Aber wer immer sich außerhalb der internationalen Rechtsordnung stellt, weil er meint, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen, tut in der Tat nichts anderes, als einen Beitrag zur völligen Verwahrlosung der politischen Sitten zu leisten und damit letztendlich zur Etablierung eines neuen Barbarentums im zwischenstaatlichen Miteinander beizutragen. Die UN-Resolution 1441 berechtigt jedenfalls nicht zu einem Krieg. Die jämmerlichen Versuche der US-Regierung, endlich einmal schlagende Beweise gegen den Irak auf den Tisch zu legen, sind bislang mehr als gescheitert. Was bleibt, ist eine Kraftprobe zwischen der zivilisierten Welt, der wenigstens einige europäische Regierungen in dieser Frage zuzurechnen sind, der Uno als solcher, die ihre Glaubwürdigkeit endgültig zu verlieren droht, und einer wild zum Krieg entschlossenen US-Regierung. Wie wenig die Amerikaner in der Sache selbst recht haben, zeigt das primitive Niveau ihrer Argumentation seit dem Scheitern ihrer angeblichen Beweise gegen den Irak. Doch auf die kommt es ohnehin längst nicht mehr an.

Franzosen und Deutsche, früher die besten und treuesten Freunde, werden über Nacht als "Old Europe" diffamiert, während von ehemaligen osteuropäischen Staaten für ihre Aufnahme in die Nato umgehend Dankbarkeit in Form von blinder Unterwürfigkeit unter die US-Politik eingefordert wird. Das soll das neue Europa sein. Allein diese Aktion hat in Europa immensen Schaden angerichtet. Es ist zwar offensichtlich dabei, sich wirtschaftlich zu vereinigen, politisch-ideologisch jedoch scheint der Kurs eher in Richtung Spaltung zu laufen. Für die USA ist das ein erfreulicher Nebeneffekt im Zusammenhang mit der Irak-Krise. Der Riß durch Europa signalisiert, daß man auch in Zukunft mit uns als einem möglichen Gegengewicht zu einer sich immer wilder gebärdenden Weltmacht USA nicht zu rechnen braucht. Für die USA wird es damit noch ein Stück einfacher, ihrem Unilateralismus zu huldigen und mit dem Prinzip der selektiven militärischen Prävention abseits jeder UN-Ermächtigung die ganze Welt nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Zuckerbrot und Peitsche, das ist das Prinzip der USA. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie.

Die Opportunisten unter den europäischen Politikern rechnen sich aus, daß am Ende die USA als Sieger dastehen werden. Deshalb sind sie schon jetzt bereit, in vorauseilendem Gehorsam lautstark Beifall zu spenden. Italien ist ein Musterfall für ein derartiges Verhalten. Unterwürfig und ohne eigene Position läuft es der amerikanischen Politik hinterher, versucht aber zugleich gerade in der arabischen Welt das große Geschäft zu machen. Überall sind die Italiener aktiv. Von Libyen bis in den Irak. Auf der Bagdader Industriemesse hatte zum Beispiel Italien neben Deutschland und Frankreich den größten Ausstellungspavillon. Wie paßt das mit dem Verhalten in der Kriegsfrage zusammen? Das Vorgehen dieser Staaten folgt einer einfachen Regel: Wer die Macht hat, hat es nicht notwendig, sich um die Moral zu kümmern. Daher ist es viel einfacher, sich gleich mit den Mächtigen zu arrangieren, statt sich auf die Seite von Recht und Freiheit zu stellen. (...).

Im Irak würde nach der Beseitigung von Saddam Hussein eine politische Marionette an die Macht kommen, die jedenfalls noch weit weniger vom Volk getragen würde als der Diktator. Das Beispiel Afghanistan führt uns das anschaulich vor Augen. Der sogenannte Präsident ist ein amerikanisches Kunstprodukt ohne jegliche eigene Verankerung im Volk. Ohne die massive militärische Unterstützung der USA würde Hamid Karsai auch nicht einen einzigen Tag politisch überleben. Und das gleiche gilt für den Irak.

Offener Zwang als neuer Stil transatlantischer Beziehung

Die ständige Einmischung der USA von außen in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten findet keinerlei Deckung im internationalen Recht. Sie ist geradezu diametral entgegengesetzt zu den Grundsätzen des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Aber es sind eben die schlechten Beispiele, die die guten Sitten verderben. Über den Einfluß der USA wurde in Jordanien nicht der Bruder Husseins, Prinz Hassan, der neue Regent, sondern der britische Sproß Abdullah II. Hassan war offenbar ein korrekter islamischer Traditionalist, der im Spiel der amerikanischen Nahostpolitik keinen Platz finden durfte. Genauso mischten die USA auch bei der Nachfolge des todkranken Königs Fahd in Saudi-Arabien mit. Diese Willkür in einer für einen Außenstehenden undurchschaubaren Welt kann letztendlich zu einem bösen Erwachen führen. Schon einmal haben sich die Amerikaner grob verrechnet. Damals nämlich, als sie mit massiver Unterstützung des CIA das Kunstprodukt Osama bin Laden geschaffen haben. Die Geschichte vom Zauberlehrling ist bekannt. Und es sollte mich sehr wundern, wenn die Versuche der USA, die Kurden Barzani und Talabani gemeinsam auf einen Kampf gegen den Irak einzuschwören, nicht der nächste Schuß sein könnte, der völlig nach hinten losgeht. Loyalität ist in dieser Weltgegend Wechselgeld.

Alles in allem gibt es keinen Grund für Europa, klein beizugeben und den Wert des Selbstbestimmungsrechts der Völker aufzugeben. Frankreich hat dies, wenn auch nicht ganz uneigennützig, erkannt. Und Deutschland hat aus der innenpolitischen Not von Kanzler Schröder aus der Wahlkampfzeit den Schulterschluß mit Paris gegen die USA gewagt. Denn nicht nur der Irak soll nach den Plänen Washingtons zerstört werden. Auch ein einiges und unabhängiges Europa ist den USA ein Dorn im Auge. So wundert es mich nicht, gehört zu haben, daß von Polen ausgehend, das Bush neuerdings als treuesten Verbündeten der USA in Mitteleuropa bezeichnet, die Spaltung der EU in die schon angesprochene alte und neue in Gang gebracht werden soll. Dem Satz des französischen Präsidenten Chirac, die neuen hätten in der Causa Irak "besser die Klappe zu halten", ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Frankreich will mit Rußland und Deutschland den bedingungslosen US-Konfrontationskurs nicht mitgehen, der den UN-Sicherheitsrat de facto dazu nötigen möchte, einen Persilschein für ihre Kriegstreiberei auszustellen. Prompt erhielt Paris Mitte März die Antwort aus Washington übermittelt. Die Worte von US-Außenminister Powell, selbst einst "großer Feldherr" im ersten Irak-Krieg, ließen, wenn auch in der Diplomatensprache formiert, nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Frankreich hätte mit ernsten Verschlechterungen der gegenseitigen Beziehungen zu rechnen, sollte es als Veto-Macht im Sicherheitsrat von seinem Recht auf Einspruch Gebrauch machen. Im Klartext heißt das: Chirac und die anderen Europäer sollten schnell in die Knie gezwungen werden, weil Bush die Zeit davonzulaufen beginnt. Offener Zwang als neuer Stil der transatlantischen Beziehungen, die man, solange sie im US-Interesse nützlich gewesen waren, stets hochgehalten hatte. Aber sowohl Bush als auch das langsam erwachende Europa sollten daran denken, daß man nur denjenigen zwingen kann, der sich zwingen läßt. Wenn die USA allein in den Krieg ziehen, werden sie auch allein die Verantwortung für alle Konsequenzen daraus zu tragen haben.

Übergabe des Kommandos an die EU in Mazedonien am 31. März: Auch wenn die europäischen Staaten bei kleinen Konflikten die Verantwortung übernehmen, ist damit kein Gegengewicht zu den USA zu erwarten

 

Jörg Haider: Zu Gast bei Saddam. Im "Reich des Bösen". Ibera Verlag, Wien 2003, 211 Seiten, gebunden, mit 24 Farbseiten, 19 Euro.

Der gekürzte Abdruck aus dem Kapitel "Europa am Scheideweg" erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages.


 
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