© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
"Ein fauler Kompromiß"
Niederlande: Ministerpräsident Balkenende laviert in der Irak-Frage / Schwierige Koalitionsverhandlungen
Jerker Spits

In den Niederlanden hat der Krieg im Irak zu einer ernsten Krise bei den seit bald zwei Monaten andau-ernden Koalitionsverhandlungen zwischen den Christdemokraten (CDA/28,6 Prozent) und der sozialdemokratischen "Partij van der Arbeit" (PvdA/27,3 Prozent) geführt. Während die CDA des amtierenden Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende die angloamerikanische Militärintervention politisch unterstützen, lehnen die wieder erstarkten Sozialdemokraten den Krieg gegen den Irak ab.

Nach zwölf Jahren sei der Weg der friedlichen Lösung zur Sackgasse geworden, sagte der 46jährige Christdemokrat in einer Fernsehansprache am Tag nach den ersten Bombardierungen. Balkenende räumte ein, die militärischen Auseinandersetzungen und die Folgen für die irakische Zivilbevölkerung seien "bedauerlich". Doch dürfe man die USA und Großbritannien nicht zu Schuldigen machen. "Die Niederlande unterstützen den begonnenen Einsatz gegen Saddam Hussein politisch. Friede und Sicherheit - auch für die Bewohner des Irak - sind das höchste Ziel".

Balkenende übte aber auch Kritik an Washington: "Die US-Regierung hat durch ihre Wortwahl den Eindruck erweckt, als wenn sie auf niemanden angewiesen wäre. Das war falsch". Militärische Hilfe würden die Niederlande allerdings nicht leisten, erklärte der Regierungschef. Dafür gebe es in Parlament und Bevölkerung zu wenig Unterstützung. Und nicht nur diese Position erinnert stark an den lavierenden Kurs des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. So überraschte es auch nicht, daß Balkenende nicht zu den acht europäischen Staats- und Regierungschefs gehörte, die sich am 30. Januar in einem Offenen Brief demonstrativ an die Seite Washingtons in der Irak-Frage stellten - offizielle Begründung: Er bemühe sich um eine einheitliche Position in Europa.

Die Rechtsliberalen (VVD/17,9 Prozent) und die auf 5,7 Prozent dezimierte rechte Liste Pim Fortuyn (LPF), die der noch amtierenden Dreierkoalition angehören, unterstützen ebenfalls den Irak-Krieg. VVD-Fraktionschef Gerrit Zalm sprach sich letzte Woche sogar für eine militärische Beteiligung am Irak-Krieg aus: es sei "ein fauler Kompromiß", so Zalm, "den Krieg zwar politisch, aber nicht militärisch zu unterstützen".

PvdA-Chef Wouter Bos, zusammen mit Balkenende der große Gewinner bei den letzten Parlamentswahlen vom 23. Januar, gilt als Gegner des Irak-Kriegs. Vor zwei Wochen reagierte Bos bestürzt auf die niederländische Erklärung, den Luftraum für die USA zu öffnen und Patriot-Luftabwehrraketen für die Türkei bereitzustellen. Bos hatte sich bereits im Wahlkampf klar gegen "jede einseitige Militäraktion gegen Irak" gewandt. "Es waren noch nicht alle Mittel ausgeschöpft, die ein militärisches Vorgehen hätten vermeiden können", erklärte Bos auch kurz nach Anfang des Krieges. Damit setzte er sich deutlich von der Position des beabsichtigten Koalitionspartners CDA ab - und ging sogar noch über die Position des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder hinaus. Die PvdA-Haltung findet aber auch in der niederländischen Bevölkerung Anklang: 72 Prozent lehnten in einer Umfrage eine niederländische Beteiligung am Irak-Krieg ab - auch hier sind Parallelen zu Deutschland erkennbar. In Debatten im niederländischen Parlament stellte sich die PvdA-Fraktion geschlossen gegen den Krieg, während die überwiegende Mehrheit der CDA sich wie die Rechtsliberalen auf die Seite der angloamerikanischen Allianz stellte. Wegen der außenpolitischen Differenzen wurden die für letzte Woche geplanten CDA-PvdA-Koalitionsverhandlungen sogar zeitweilig verschoben. Und VVD-Fraktionschef Zalm wittert nun eine neue Chance: die nur noch geschäftsführende Regierung aus CDA, VVD und LPF soll das Land weiterregieren, falls PvdA und CDA sich nicht einigen - eine rechnerische Mehrheit wäre gegeben. Derart unter Druck, erklärte PvdA-Chef Bos seine Bereitschaft, nun, da der Krieg angefangen habe, sich auf die Seite der Amerikaner zu stellen. Die Rechtmäßigkeit eines Angriffs ohne UN-Resolution akzeptiere er inzwischen als "Tatsache", so Bos. Vertreter der Sozialistischen Partei (SP) und der Grünen warfen Bos daraufhin Inkonsequenz und Unentschlossenheit vor. Auch Balkenende warnte vor voreiligen Schlußfolgerungen. Das "erschütterte Vertrauen" in die PvdA sei "zum größten Teil" wieder hergestellt. Trotz weiter bestehender Differenzen habe man sich auf eine gemeinsame Position verständigt.

Doch jedem Beobachter wurde klar, daß es zwischen beiden Parteien trotz der nach außen bekundeten Gemeinsamkeit weiterhin eine tiefe Kluft in der Haltung zum Irak-Krieg gibt. Die Zeitung Trouw wies letzte Woche daraufhin, daß die geplante CDA-PvdA-Regierung an künftigen "Präventivkriegen" der USA gegen Staaten, die aus amerikanischer Sicht den Terrorismus unterstützten, zerbrechen könnte, falls beide Parteien sich nicht auf eine klare gemeinsame Position einigten.

Bei einer Anti-Kriegs-Kundgebung in Amsterdam kam es vor einer Woche zu Unruhen und Schlägereien mit der Polizei. Rund 20.000 Demonstranten hatten sich vor dem US-Konsulat versammelt, darunter auch Anhänger der gewaltbereiten "Arabisch-Europäischen Liga" (AEL, siehe JF 2/03). Niederländische Anarchisten und marokkanische Jugendliche bewarfen die Polizei mit Steinen. Anders als in Deutschland fallen die Friedensdemonstrationen in den Niederlanden allerdings relativ bescheiden aus. Die letzte große Kundgebung fand im Februar in Amsterdam statt: damals versammelten sich immerhin 70.000 Kriegsgegner in der niederländischen Hauptstadt. Für Aufsehen sorgte auch die Anwesenheit eines niederländischen Offiziers bei einer Pressekonferenz des US-Generals Tommy Franks. Der Oberstleutnant Jan Blom stand zusammen mit Vertretern aus Großbritannien, Australien und Dänemark Seite an Seite mit dem amerikanischen General, der während der Pressekonferenz betonte, daß die Streitkräfte Amerikas in einer "Koalition der Freunde" kämpften. Während CDA-Sprecher Camiel Eurlings lediglich von einem "falschen Signal" sprach, reagierten linke Politiker bestürzt auf die Anwesenheit des niederländischen Militärs. SP-Chef Jan Marijnissen verlangte vom Verteidigungsminister Henk Kamp (VVD) eine sofortige Erklärung.

Auch Ex-Ministerpräsident Wim Kok übte letzte Woche Kritik am internationalen Auftreten der niederländischen Regierung. Man müsse auf europäischer Ebene rasch Konsequenzen aus dem Versagen internationaler Organisationen ziehen, so der PvdA-Politiker. Die Niederlande seien im letzten Jahr zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und hätten ihre Rolle auf der internationalen Bühne vernachlässigt.

Die Haltung der niederländischen Regierung in der Irak-Frage hängt in starkem Maße von der politischen Färbung der künftigen Koalition ab - doch die ist weiterhin noch völlig unklar.


 
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