© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/03 04. April 2003

 
Aufstand der Exoten
Parteien I: In der Union regt sich gegen den pro-amerikanischen Kurs der Vorsitzenden Angela Merkel an allen Ecken und Enden Widerstand
Christian Roth

Angela Merkel nennt es uneingeschränkte Solidarität. Andere christdemokratische Spitzenpolitiker sprechen dagegen von einer Irrfahrt mit fatalen Folgen. Der CDU-Vorsitzenden droht mit ihrer Irak-Politik die Entfremdung von der Basis.

Spätestens seit sich die Vertreter beider christlicher Kirchen auf die Seite der Kriegsgegner gestellt und den Angriff der USA und Briten auf den Irak als völkerrechtswidrig bezeichnet haben, rumort es innerhalb der Union. Waren es zuvor eher "Exoten" wie der bekennende CDU-Rechte und ehemalige Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer, so kam die Kritik an Merkel in den vergangenen Tagen von ganz prominenter Stelle.

Am weitesten wagte sich Präsidiumsmitglied Peter Müller aus der Deckung. Der saarländische Ministerpräsident äußerte, er hätte sich "eine etwas kritischere Solidarität" mit den USA gewünscht. "Eine Volkspartei wie die CDU muß in der schwierigen Bewertung dieser Frage unterschiedliche Auffassungen aushalten und respektieren. Aber wir dürfen nicht den Kontakt zur Basis verlieren." Die saarländischen Christdemokraten unterstützten die Kritik ihres Vormannes mit Nachdruck. Nach einem kleinen Parteitag der Landes-Union sagte Müller in der vergangenen Woche, seine Position sei zustimmend zur Kenntnis genommen worden. "Wenn keine Notwehrsituation vorliegt, bedarf ein militärisches Eingreifen des Mandats der Vereinten Nationen." Zudem glaube er, daß eine Verlängerung der Inspektionen Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. "Es waren noch nicht alle Mittel ausgeschöpft, nachdem sich der Diktator unter Druck bewegt hat", meinte Müller.

Passives Anhängsel statt Subjekt politischen Handelns

Ähnlich äußerte sich der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer: "Die Spitze der Partei hat auch eine Führungsaufgabe, das wird ihr niemand abstreiten. Aber wenn die Entfernung zwischen ihr und der Mehrheit der Partei zu groß wird, dann sind beide Seiten gut beraten, aufeinander zuzugehen." In seinem Landesverband reiche die Spannbreite in der Haltung zum Irak-Kurs der Parteispitze von absoluter Zustimmung bis zur Ablehnung. Auch Austrittserklärungen habe es bereits gegeben. Böhmer sagte, auch er könne den Krieg nicht begrüßen. Ihm wäre es lieber, wenn dieser Krieg vermieden oder zumindest mit einem Votum der Uno begonnen hätte. Zum Wochenbeginn gewann die Debatte in der Union dann abermals an Schärfe. Der langjährige außenpolitische Sprecher der CDU, Karl Lamers, kritisierte Merkel scharf: "Ich verstehe Angela Merkel nicht, daß sie sich so vorbehaltlos an die Amerikaner hängt. So werden wir ein passives Anhängsel, nicht Subjekt politischen Handelns."

Und selbst Edmund Stoiber, bislang eifriger Verfechter des proamerikanischen Kurses der Vorsitzenden, kamen anschließend "ernste Bedenken". Er bedauere es "zutiefst", daß die Entwaffnung des Iraks nicht mit einem Beschluß des Weltsicherheitsrats möglich gewesen sei, sagte er in Peking. Beide Seiten hätten es an Kompromißbereitschaft fehlen lassen.

Angesichts dieser Absetzbewegungen konnte es nicht mehr verwundern, daß sich der Fraktionsvize Friedrich Merz in den Chor der Merkel-Kritiker einreihte. Seit die Parteichefin auch den Vorsitz im Parlament für sich beanspruchte, gelten beide als Intimfeinde. Er sprach sich dafür aus, die Politik der USA in Frage zu stellen. Merz schrieb in einem Beitrag für die Bild am Sonntag, die Strategie der USA gehe "ganz offenkundig" nicht auf. "Auch und gerade die Freunde auf dieser Seite des Atlantiks haben deshalb das Recht, zu fragen: Wie soll es weitergehen? Wäre es nicht an der Zeit, daß die amerikanische Regierung darüber mit den Partnern in der Nato offener spricht?" Gerade Freunde dürften mahnen, fügte Merz hinzu. Die Position Müllers sei in sich schlüssig und wohl durchdacht.

Dem Saarländer dürfte dieses Lob gut bekommen sein. Denn dem einstigen "Jungen Wilden" werden schon länger höhere Ambitionen nachgesagt. 1999 führte der Einser-Jurist die Saar-CDU nach 14 Jahren in der Opposition mit einer absoluten Mehrheit zurück an die Macht. Für die Landtagswahl im kommenden Jahr werden Müller derzeit deutlich mehr als 50 Prozent vorausgesagt.

Mit einem derart beeindruckenden Vertrauensbeweis wäre der Ministerpräsident ein natürlicher Kandidat für die Rolle des Schröder-Herausforderers, heißt es im unmittelbaren Saarbrücker Umfeld. Daß die Parteivorsitzende Merkel bereits ihren Anspruch auf eine Kandidatur im Jahr 2006 kundgetan hat, dürfte Müller dabei nicht stören. Bereits im vergangenen Frühjahr hatte sich der Saarländer auf die Seite Edmund Stoibers geschlagen, als es darum ging, Merkel zum Verzicht zu drängen. Auffallend ruhig verhält sich in der aktuellen Diskussion der hessische Regierungschef Roland Koch. Der hatte schon unmittelbar nach seinem triumphalen Wahlerfolg im Februar seinen Hut in den bundespolitischen Ring geworfen.

Zu den christlichen Werten gehört die Friedensbotschaft

Aus dieser komfortablen Situation heraus kann sich Koch als Hüter des parteiinternen Friedens aufspielen: "Die Union muß mit einer Stimme sprechen", forderte Koch am vergangenen Wochenende. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Schar der "Atlantiker" um Merkel, Wolfgang Schäuble und Friedbert Pflüger gerät zunehmend in die Defensive. Scharfe Kritik äußerte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der den Krieg als "üblen Rechtsbruch" bezeichnete. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth äußerte sich entsetzt über den Kurs der Partei. Nach ihrer Ansicht spiegelt die Haltung der CDU-Chefin nicht ausreichend die Stimmung an der Basis wider. "Es gibt sehr viele Menschen auch in meiner Partei, die es bedrückt, daß der Irak-Krieg mit militärischen Mitteln gelöst werden soll", sagte die CDU-Politikerin. Die Unionsführung müsse auch die Haltung der Kriegsgegner ernst nehmen: "Zu den christlichen Werten gehört an allererster Stelle die Friedensbotschaft."

Doch die Abweichler von der offiziellen Linie treibt nicht nur die Sorge um die Menschenrechte und das Völkerrecht um. Die Debatte hat auch innenpolitische Ursachen. Seit Kriegesausbruch legt die SPD mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Meinungsumfragen deutlich zu. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler kritisierte daraufhin, die Union habe sich "von ihren Wählern isoliert". Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber hätten sich in der Irak-Frage von "rein taktischen Überlegungen" leiten lassen. Auch die Kritik am Bundeskanzler sei überzogen gewesen. "Schröder hat im Wahlkampf schwere Fehler gemacht. Doch zu behaupten, er hätte Deutschland isoliert, ist Quatsch."

Die Union habe sich falsch verhalten, meinte Gauweiler: "Wenn wir entschlossen gesagt hätten: Liebe USA, wir folgen Euch nicht, dann wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen. Aber aus taktischen Gründen einen Eindruck von innenpolitischer Zerstrittenheit entstehen zu lassen, war fatal und wird der Partei schaden." Das sieht die Mehrheit der Bundesbürger übrigens ähnlich. Am vergangenen Samstag fanden satte 75 Prozent Schröders Irak-Politik "absolut richtig." Angela Merkel versucht nun zu reagieren.

Am Montag kündigte sie an, in Regionalkonferenzen über eine "programmatische Weiterentwicklung" der Außenpolitik sprechen zu wollen. Außerdem bekamen die vielen hundert Bürger, die sich über Merkels Kurs beschwert hatten, einen persönlichen Antwortbrief.

Darin bemüht sich die Parteichefin, ihre Pro-Amerika-Festlegung erneut als Ergebnis eines Abwägungsprozesses darzustellen. Entscheidungen in der Politik, so Merkel, fielen "fast nie zwischen Gut und Böse", sondern "in der Regel zwischen besser oder schlechter".


 
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