© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/03 28. März 2003


"Das Unrecht bleibt ungesühnt"
Der Völkerrechtler Theodor Schweisfurth über den Angriff auf den Irak und die Ohnmacht gegenüber den USA
Moritz Schwarz

Herr Professor Schweisfurth, die USA haben ohne erneute Resolution des UN-Sicherheitsrates mit den Angriff auf den Irak begonnen. Hat Washington damit das Völkerrecht gebrochen?

Schweisfurth: Ja, daran kann es keinen Zweifel geben! Denn die Argumentation der USA, der Angriff sei aufgrund der Resolution 1441 gedeckt, ist nicht stichhaltig.

Warum nicht?

Schweisfurth: Die Resolution 1441 sollte bekanntlich die Entwaffnung des Irak nach dem 2. Golfkrieg herbeiführen. Sollte der Irak diesbezüglich seinen Verpflichtungen nicht nachkommen, so spricht die Resolution von "ernsten Konsequenzen".

Darunter kann doch durchaus auch ein Angriff verstanden werden.

Schweisfurth: Ja, aber nur dann, wenn der Sicherheitsrat militärische Maßnahmen beschließt. Die USA sind nicht befugt, das alleine zu entscheiden. Bekanntlich aber hat es keine Einigung im Sicherheitsrat gegeben, damit ist der Angriff durch die Resolution 1441 nicht gedeckt.

Ist ein erneuter Sicherheitsratsbeschluß denn überhaupt nötig? Schließlich existiert in der Resolution 1441 die Legitimation eines Krieges durch die Resolution 678 fort. Diese - auf die die Resolution 1441 Bezug nimmt - war 1991 die völkerrechtliche Grundlage für den 2. Golfkrieg. Ergo handelt es sich nicht um einen neuen Krieg, sondern um eine Wiederaufnahme der Kämpfe von 1991.

Schweisfurth: Nein, denn die Amerikaner unterschlagen dabei die Resolution 678 vom April 1991, mit der ein Waffenstillstand beschlossen wurde. Damit ist es völkerrechtlich nicht ohne weiteres möglich, den Krieg einfach wiederaufzunehmen. Zudem bezieht sich die Resolution 687 auf die Zusammenarbeit mit - sprich Befreiung - Kuwait, und darum geht es mittlerweile gar nicht mehr. Ich vermute, der US-Regierung ist durchaus bewußt, daß ihre Argumentation nicht stichhaltig ist. Besonders angesichts dessen, daß vermutlich auch die Mehrheit der Völkerrechtler in den USA die Position ihrer Regierung nicht für akzeptabel hält.

Mehr als einhundert US-Juristen haben Präsident Bush vor den Konsequenzen eines illegalen Krieges gewarnt.

Schweisfurth: Das ist richtig, aber natürlich gibt es auch einige US-Kollegen, die die Argumentation des Präsidenten unterstützen. Es gibt in jedem Land fast immer auch "Regierungsadvokaten". Auf europäischer Ebene fehlt mir ehrlich gesagt der Überblick, doch unter den deutschen Kollegen ist mir noch nicht einer begegnet, der die Argumentation der USA für überzeugend befunden hätte.

Das Völkerrecht erlaubt allerdings auch Interventionen im Falle präventiver Selbstverteidigung und humanitärer Krisen.

Schweisfurth: Das ist im Prinzip richtig, mit präventiver Selbstverteidigung ist ein Angriff gemeint, der einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Gegenseite lediglich zuvorkommt. Dieses Argument ins Feld zu führen, ist aber angesichts des verlotterten militärischen Zustandes des Irak schlicht lächerlich. Und von einer Zuspitzung der humanitären Situation, wie wir sie zum Beispiel in den neunziger Jahren in Bosnien oder dem Kosovo erlebt haben, zu sprechen, kann trotz Diktatur und Armut im Irak auch keine Rede sein.

Dann ist also als Reaktion der Uno auf die Attacke gegen den Irak eine Resolution gegen die USA fällig?

Schweisfurth: Theoretisch ja, doch die USA würden solch eine Resolution natürlich mit ihrem Veto im Sicherheitsrat verhindern.

Es könnte aber zumindest der Versuch unternommen werden, auch wenn die Resolution nicht beschlossen werden würde, so wäre ihre Formulierung doch schon ein Zeichen.

Schweisfurth: Das ist richtig, doch von wem soll der Vorschlag kommen? Leider ist das nicht einmal von Frankreich zu erwarten, geschweige denn von der Bundesregierung - niemand will wohl die USA weiter offen herausfordern.

Man macht sich also der Billigung des Völkerrechtsbruchs schuldig?

Schweisfurth: Eine Billigung des Völkerrechtsbruchs durch die Bundesregierung kann man in diesem Unterlassen nicht sehen. Deutschland hat den USA schon mehr Widerstand entgegengesetzt, als man sich das je hätte vorstellen können. Ich glaube daher nicht, daß es zu einer solchen Maßnahme kommen wird. Aber natürlich haben Sie recht, der Verzicht darauf untergräbt im Grunde die moralische Anti-Kriegs-Position der Bundesregierung.

Und er untergräbt die Uno.

Schweisfurth: Die Uno ist 1945 gegründet worden, um die militärische Macht durch das Recht zu ersetzen. Wenn man nun die USA ungeschoren davonkommen läßt, verrät man dieses Prinzip keineswegs, denn die Uno ist so konstruiert worden, daß gegen die Stimme eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates ein substantieller Beschluß nicht möglich ist - das Problem tritt nicht zum ersten Mal auf.

Muß die Uno folglich umgebaut werden?

Schweisfurth: Es wäre wünschenswert, ist aber illusorisch, daß Vetorecht zu streichen. Das Problem ist, daß das Prinzip der Uno auf Kooperation beruht. Wäre es möglich, gegen das Sicherheitsratsmitglied USA vorzugehen, würde dieses die Uno verlassen.

Wenn die Uno aber auf diese Weise zum Instrument der Mächtigen verkommt - deren Kriege werden legitimiert, siehe Kuwait 1991, deren Rechtsbrüche in Kauf genommen -, so droht doch der Ausmarsch der Kleinen, etwa der Staaten der arabischen Welt, die ihr Recht nicht mehr durch die Vereinten Nationen vor der Macht geschützt sehen.

Schweisfurth: So sollte man das nicht betrachten, es ist den USA ja gerade nicht gelungen, die Uno zu ihrem Instrument zu machen. Nicht die Uno hat versagt, sondern das Sicherheitsratsmitglied USA, sie haben die "Spielregeln" nicht eingehalten. Sollte sich Ihre Interpretation tatsächlich durchsetzten, so droht zwar nicht das Ende der Uno, wohl aber das Ende des allgemeinen Gewaltverbotes. Deshalb ist es wichtig, daß diese Aggression, gegen die man zwar hilflos ist, die aber doch erkennbar einen Rechtsbruch darstellt, nicht im nachhinein gebilligt wird. Sollte es passieren, daß Unrecht nicht nur ungesühnt bleibt, sondern daraus auch noch nachträglich Recht wird, so wäre die Uno tatsächlich desavouiert. Es muß jetzt darum gehen, die USA wieder auf den Weg des Rechts zurückzubringen.

Der Rechtsbruch der US-Regierung hat sich bereits 2002 angekündigt. Die im September des letzten Jahres beschlossene "National Security Strategy", besser bekannt als "Bush-Doktrin", besagt, den Begriff der Unmittelbarkeit in Zusammenhang mit präventiver Selbstverteidigung zu dehnen oder ganz fallenzulassen. Ist der Völkerrechtsbruch, mit dem wir es nun zu tun haben, also kein Problem des Augenblicks, sondern ein geplanter Angriff der USA auf die Verfaßtheit der internationalen Gemeinschaft?

Schweisfurth: Das ist richtig, aber eine politische Doktrin besitzt keine Rechtsverbindlichkeit. Es kommt jetzt darauf an, zu verhindern, daß diese Doktrin sich in gültiges Recht umwandelt. Bei der Breschnew-Doktrin ist eine solche Umwandlung schließlich auch nicht gelungen.

Sie hätte aber ein Warnung sein können, den USA schon früher entgegenzutreten.

Schweisfurth: Vielleicht hofft man darauf - um keinen Konflikt herbeizuführen -, daß das Problem bei einem Regierungswechsel gelöst wird.

Halten Sie diese Strategie für die vom Rechtsbruch betroffenen Araber im Ernst für zumutbar?

Schweisfurth: Die Uno zu erhalten, kommt auch den Arabern, und nicht nur ihnen, zugute, denn sollte sie sich tatsächlich auflösen, würden wir zurückfallen in einen Zustand des Rechtes des Stärkeren. Das wäre erst recht von Nachteil für die Araber und alle anderen Völker. Natürlich erscheint die Situation der arabischen Welt verzweifelt. Der amerikanische Hauptankläger in Nürnberg, Robert Jackson, sagte vor 57 Jahren bezüglich des Verbrechens gegen den Frieden: "Dieses Gesetz wird zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt. Es schließt aber jede Nation ein, und muß den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen jene, die hier zu Gericht sitzen." Mann muß die Amerikaner wieder daran erinnern, daß die Gesetze für alle gelten, nicht nur für Deutschland oder den Irak Saddam Husseins. "The law you make, may be your own" - "Das Recht, das Du machst, gilt auch für Dich!"

Beteiligt sich Deutschland am Völkerrechtsbruch der Amerikaner, wenn die Bundesregierung die deutschen Soldaten nicht aus den Awacs-Luftraumüberwachungsflugzeugen der Nato zurückzieht?

Schweisfurth: Das hängt vom Verhalten der Türkei ab. Wenn türkische Truppen in den Irak einmarschieren, dann läge mitnichten der Bündnisfall vor. Im Gegenteil, der deutsche Bundestag darf in so einem Fall die Bundeswehrsoldaten gar nicht in den Flugzeugen belassen, da ihr Einsatz sonst in der Tat Beihilfe zu völkerrechtswidrigem Verhalten wäre, was laut Grundgesetz, das dem Völkerrecht Vorrang einräumt, verboten ist.

Stellt aber nicht schon die Gewährung des Überflugrechtes für die US-Luftwaffe eine solche Beihilfe dar?

Schweisfurth: Im Grunde ja, und daher müßten nach meiner Meinung die Überflugrechte suspendiert werden.

Also auch hier wieder die Nagelprobe, wie ernst es die Bundesregierung tatsächlich mit dem Frieden meint?

Schweisfurth: Das ist richtig, aber es ist schon auch in Rechnung zu stellen, ob Deutschland sich eine solche Maßnahme gegenüber den USA politisch erlauben kann.

Das US-Heer unterstellt die Berichterstattung von der Front im Irak offenbar einer strikten Zensur. Haben die amerikanischen Truppen, die sich widerrechtlich im Irak aufhalten, denn überhaupt das Recht, sozusagen in einem fremden Land, Journalisten bei der Arbeit Vorschriften zu machen?

Schweisfurth: Mit dem Einmarsch einer bewaffneten Macht in ein anderes Land, egal unter welchen völkerrechtlichen Umständen dies geschieht, gelten die Regeln der "kriegerischen Besetzung", diese Macht übt damit legitim Hoheitsgewalt im besetzten Gebiet aus. Damit hat das US-Heer auch das Recht, die Arbeit der Journalisten zu reglementieren.

Nun wollen die USA sogar die Darstellung ihrer Kriegsgefangenen im Fernsehen verhindern und berufen sich dabei auf die Genfer Konvention. Zu Recht?

Schweisfurth: In der Genfer Konvention ist vom Schutz vor "öffentlicher Neugier" die Rede. Da diese in den vierziger Jahren formuliert wurde, ist nicht anzunehmen, daß damit das Fernsehen gemeint war. Vielmehr hat man die Kriegsgefangenen wohl vor einem siegeszugartigen Spießrutenlauf vorbei an den versammelten Volksmassen oder deren Präsentation in Käfigen schützen wollen. Die Empörung des Herrn Rumsfeld kann ich nicht teilen. Ganz abgesehen davon, daß dies den Amerikanern natürlich erst einfällt, wenn es um ihre eigenen Gefangenen geht.

Herr Professor, ist es denkbar, daß sich George W. Bush eines Tages vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wiederfindet?

Schweisfurth: Nein, denn abgesehen davon, daß die USA ihren Präsidenten nicht überstellen werden und sie zudem ihre Unterschrift unter dem Vertrag von Rom wieder zurückgezogen haben, ist das Gericht bislang noch nicht zuständig, über das Verbrechen der Aggression zu judizieren. Denn dieser Tatbestand muß erst noch verbindlich definiert werden. Bislang kann der internationale Strafgerichtshof nur bei "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", "Völkermord" und "Kriegsverbrechen" tätig werden.

Ist es nicht möglich, auf die Nürnberger Definition "Vorbereitung eines Angriffskrieges" zurückzugreifen?

Schweisfurth: Nein, der Tatbestand muß wie gesagt erst definiert und von den Vertragsstaaten angenommen werden.

Wie fühlen Sie sich als Völkerrechtler persönlich angesichts des Verhaltens der USA?

Schweisfurth: In Anbetracht der Dreistigkeit der amerikanischen Regierung und ihrer unverfrorenen Argumentation kommt mir der alte Max Liebermann in den Sinn, der beim Durchmarsch der SA durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1933 bekanntlich formuliert hat: "Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte."

 

Prof. Dr. Theodor Schweisfurth lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Von 1972 bis 1993 arbeitete er am Max-Planck-Institut für ausländisches öffent-liches Recht in Heidelberg. Geboren 1937 in Cottbus, studierte er von 1957 bis 1961 Rechtswissenschaften an den Universitäten in Marburg, Tübingen und Bonn. Danach absolvierte er an der FU Berlin ein ostwissenschaftliches Ergänzungsstudium für Juristen.

 

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