© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003

 
Mit Gebrüll auf die Kleinen
Der französische Historiker Emmanuel Todd prophezeit den Niedergang des US-Imperialismus
Andreas Wild

"Wieviel Divisionen hat der Papst?", fragte einst höhnisch Josef Stalin. Inzwischen fragen sich viele: Kommt die Macht wirklich aus den Gewehrläufen, von den Raketenabschußrampen, aus den Abwurfschächten der Strato-Bomber? Ein großes Palaver über die Bedingungen politischer Macht, imperialer Macht ist ausgebrochen. Auf dem Prüfstand stehen die USA, die "einzig verbliebene Supermacht". Wie mächtig sind die Amerikaner wirklich? Ist die Rede von ihrem neuen "Imperium" vielleicht nur eine Augentäuschung, ein Theatercoup?

Emmanuel Todd, französischer Historiker vom Jahrgang 1951, bejaht das vorbehaltlos. Er verschärft das Urteil noch, indem er in seinem Buch "Weltmacht USA. Ein Nachruf" konstatiert: Die USA haben ihre Weltmachtrolle bereits hinter sich, sie sind ein (Ex-)Imperium auf dem absteigenden Ast, das blindlings um sich zu schlagen beginnt und dadurch für alle übrigen Staaten gefährlich wird. Sie spielen sich auf, sie "spielen" nur noch Weltmacht, doch das ist ein für die angegriffenen Länder (alles kleine, verarmte, unbedeutende Länder) tödliches Spiel, ein wahres Killer-Spiel.

Natürlich sind das riskante Thesen, aber Todd gelingt es, sie in erstaunlichem Grade glaubhaft oder zumindest diskutabel zu machen. Er ist alles andere als ein zweiter Michael Moore, dessen Bestseller "Stupid White Men" zur Zeit die Gespräche beherrscht und doch nur eine grelle Realsatire auf das Amerika George W. Bushs liefert. Todd ist demgegenüber hochseriös und von akademischer Biederkeit, ja, Trockenheit. Trotzdem hat sein Buch alle Chancen, ein Markstein der Politologie zu werden. Erst vor einem halben Jahr im französischen Original erschienen, ist es bereits in elf Sprachen übersetzt und wird in einem Atemzug genannt mit solchen Klassikern der neuen Imperialismus-Literatur wie Paul Kennedy, Zbigniew Brzezinski, Robert Gilpin und Chalmers Johnson.

Todds Perspektive ist überwiegend geostrategisch und global-ökonomisch. Seinen Analysen zufolge werden die USA als Produktionsfaktor in der Welt nicht mehr gebraucht, ihre Industrie (abgesehen von der Rüstungsindustrie) ist nicht mehr konkurrenzfähig, sie leisten sich ein Handelsdefizit von Hunderten von Milliarden Dollar, das immer größer wird und das nur durch ununterbrochenen Kapitalzufluß aus dem Ausland finanziert werden kann. Und dieser Kapitalzufluß wird stimuliert durch die Angst der ausländischen Kapitalinhaber vor geldvernichtenden Krisen in ihren eigenen Ländern. Er ist nicht vorrangig investiv, sondern entspringt reinen Sicherheitsüberlegungen. Die USA als militärtechnisch aufgerüstete, aggressive "Hypermacht" stürzen die Welt unentwegt in Krisen und empfehlen sich selbst als krisenfest - das ist der Mechanismus, der ihnen stetigen Kapitalzufluß trotz mangelnder Konkurrenzfähigkeit und ewigem riesigem Handelsdefizit garantiert.

Doch auch dieser Mechanismus stößt jetzt - Todd zufolge - an seine Grenzen, da sich die inneramerikanischen Anlageobjekte auf breiter Front als reine Schwindelobjekte, als mediale Sprechblasen und theatralisch aufgedonnerte Chimären enthüllen. Unerhörte, noch nie dagewesene Bilanzfälschungen treten ans Licht, die sogenannte "New Economy" ist zerplatzt, all die hochgepriesenen Firmenagglomerationen entpuppen sich buchstäblich als leere Säcke. Die Kontur eines militärisch-medialen Komplexes wird sichtbar, der nicht mehr Sicherheit, sondern vielmehr Geldvernichtung garantiert und dessen finanzpolitische Manöver sich parallel zu den außenpolitischen Vernichtungsabenteuern entfalten.

Zitat Todd: "Da Amerika die wahren Mächte der heutigen Welt nicht mehr kontrollieren kann - mit Japan und Europa kann es wirtschaftlich nicht mithalten, Rußland kann es als Atommacht nicht ausschalten -, mußte es, um wenigstens den Anschein einer Weltmacht zu wahren, außenpolitisch und militärisch gegenüber unbedeutenden Staaten aktiv werden: gegen die 'Achse des Bösen'. Sein militärisches Handeln ist nach Intensität und Risiko irgendwo zwischen echtem Krieg und einem Videospiel angesiedelt. Man verhängt Embargos über Länder, die sich nicht wehren können, und wirft Bomben auf unbedeutende Armeen. Immer raffiniertere Waffensysteme werden konstruiert und produziert, die genauso präzise sind wie die Waffen in Videospielen, aber in der Praxis setzt man unbewaffnete Zivilisten Bombardements aus, die dem Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg nicht nachstehen."

Daß dieses Treiben offiziell unter das Zeichen des "Kampfes gegen den Terror" gestellt wird, findet Todd heuchlerisch und letztlich absurd. Er ist gelernter Demograph, führender Mitarbeiter am Pariser "Institut National d'Etudes Démographiques", und als solcher glaubt er, begründeten Anlaß für globalen Optimismus zu haben, wenn nicht ..., ja, wenn nicht die Ideologen des untergehenden amerikanischen Neoimperialismus sich überall einmischten und alles nach der Meßlatte ihrer eigenen spezifischen Form von Demokratie etablieren und steuern wollten.

Überall in der sogenannten Dritten Welt, auch und vor allem in der islamischen, sei ein rasanter Prozeß der Alphabetisierung und der Geburtenkontrolle im Gange, damit verbunden ein Aufbruch zu mehr Liberalität und politischer Mitsprache. Zwar sei dies vielerorts ein schmerzhafter, von gelegentlichen Gewaltausbrüchen nach innen und außen begleiteter Prozeß, aber derartige "Geburtswehen" unter dem Stichwort "Terrorismus" zusammenzuheften und sie pauschal - ohne Beweise - bestimmten Staaten in die Schuhe zu schieben, damit man diese dann mit Vergeltungs- oder "Vorbeuge"-Krieg überziehen kann, sei eine Monströsität und höchst geeignet, internationales Porzellan zu zerschlagen.

Das Böse, sagt Emmanuel Todd, könne nie und nimmer lokalisiert und gewissermaßen regionalisiert werden, es wohne in allen Menschen und in allen Gesellschaften und Staaten, auch und nicht zuletzt in den USA. Dort finde, sagt er, schon seit längerem eine schleichende "Oligarchisierung" statt, die amerikanische Demokratie laufe Gefahr, sich in eine Herrschaft finanz- und medienmächtiger Cliquen zu verwandeln. "Die amerikanische Rede von der 'Achse des Bösen' und anderer Manifestationen teuflischer Mächte auf Erden bringt uns zum Lachen ... Doch wir müssen diese Formeln ernst nehmen ... In ihnen drückt sich objektiv die amerikanische Besessenheit vom Bösen aus, das in der Außenwelt gesehen wird, während es doch in Wahrheit im Inneren wirkt."

Foto: US-Präsident George W. Bush an seinem Schreibtisch im Weißen Haus: Nur in Sachen Krieg und Konsum noch konkurrenzfähig?

Emmanuel Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf. Piper Verlag, München 2003, 288 Seiten, kart., 13 Euro


 
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