© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003

 
Rammbock Menschenrechte
von Franz Uhle-Wettler

Der Anspruch, außenpolitisch einer besonderen, wohl göttlichen Mission zu folgen, wurde bereits beim ersten Ausgreifen der USA in die Weltpolitik überdeutlich. Die USA hatten seit 1895 dem Versuch Spaniens, der Unabhängigkeitsbewegungen in Kuba und auf den Philippinen Herr zu werden, keineswegs unbeteiligt und tatenlos zugesehen. So kam es 1898 zum Krieg mit Spanien - und die Frage, wer den Krieg gewollt habe, beantwortet jeder Blick auf die Geographie sowie das Kräfteverhältnis. Nach mühelosen Siegen in kubanischen und philippinischen Gewässern ergab sich für die USA die Frage, was sie mit der Beute anfangen sollten. Präsident McKinley trug dem amerikanischen Parlament vor, wie er die Lösung fand - und schon die einleitende Darstellung, den USA sei etwas "in den Schoß gefallen", ist nicht ohne Pikanterie: "Als mir klar wurde, daß uns die Philippinen in den Schoß gefallen waren, wußte ich nicht - ich bekenne das offen - was wir mit ihnen anfangen sollten ... Ich ging im Flur des Weißen Hauses Abend für Abend auf und ab, bis Mitternacht. Ich schäme mich nicht, gentlemen, Ihnen zu sagen, daß ich in mehr als einer Nacht niedergekniet bin und zu dem allmächtigen Gott um Erleuchtung gebetet habe."

Bei solchem Werben um Erleuchtung überrascht das Ergebnis nicht: "Und eines Nachts kam die Erkenntnis - ich kann nicht sagen wie, aber sie kam ... daß uns nichts anderes übrigblieb, als das ganze Inselreich zu nehmen und die Filipinos zu erziehen und sie aus ihrem niederen Zustand zu erheben und zu zivilisieren und zu christianisieren und mit Gottes Gnade das Beste für sie zu tun, für die Christus genau so gestorben war wie für uns."

Gottesfürchtig folgte der Präsident der immerhin gewinnbringenden göttlichen Erleuchtung: "Dann ging ich zu Bett, schlief ein und schlief prächtig. Am nächsten Morgen ließ ich den zuständigen Referenten des Kriegsministeriums holen und wies ihn an, die Philippinen auf der Landkarte der Vereinigten Staaten einzutragen."

Natürlich hat der Präsident aus seiner Erleuchtung die Pflicht abgeleitet, die Unabhängigkeitsbewegung der Filipinos mit größter Härte (200 000 Tote?) und zugleich bestem Gewissen niederschlagen zu lassen; es war ein heute fast vergessener Partisanenkrieg mit allen zu einem solchen Krieg gehörenden Taten und Untaten beider Seiten.

Das Wirken des amerikanischen kreuzfahrerischen "Idealismus" (Genscher) schon im Ersten Weltkrieg wird deutlich in einem Dokument von zweifellos erstklassiger Bedeutung. Es handelt sich um ein gemeinsames Gebet des amerikanischen Parlaments vom 10. Januar 1918: "Allmächtiger Gott, unser Himmlischer Vater! ... Du weißt, o Herr daß wir in einem Kampf auf Tod und Leben stehen gegen eine der schändlichsten (infamous), gemeinsten, tückischsten (avaricious), gierigsten (greedy), blutdürstigsten, sinnlichsten (sensual) und sündigsten Nationen, die jemals die Seiten der Geschichtsbücher geschändet haben (...)"

Dieser Beschreibung der geschichtlichen Rolle des Kriegsgegners folgen die Bitten: "Wir bitten Dich, entblöße Deinen mächtigen Arm und schlage das große Pack hungriger wölfischer Hunnen zurück, von deren Fängen Blut und Schleim (blood and gore) tropfen. Wir bitten Dich, daß die Sterne auf ihren Bahnen und die Winde und Wogen gegen sie kämpfen."

Wie bei allen Religionen, so schließt auch dieses Gebet mit dem frommen Dank für Erhörung: "Und wenn alles vorüber ist, so werden wir unser Haupt entblößen und unser Antlitz zum Himmel erheben. Und Preis sei Dir für immerdar, durch Jesus Christus. Amen." Präsident McKinleys Darlegung seiner Frömmigkeit und seiner Erleuchtung wäre in einem kontinentaleuropäischen Parlament wohl ungläubig-verblüfft angehört worden; das Gebet des Parlaments mitsamt seinen alttestamentarisch-kreuzfahrerischen Tönen ist in einem kontinentaleuropäischen Parlament und besonders im deutschen Reichstag unvorstellbar. Doch beide waren keine Einzelfälle - weder in England noch in den USA. Beispiele für die gleiche Tonart während des Zweiten Weltkriegs, dabei eben auch beim Krieg gegen Japan, wurden bereits zitiert. Auch in der Folgezeit blieb es bei der Kreuzfahrerei; Präsident Reagan forderte einen "Kreuzzug" für die Freiheit gegen "Das Böse" (abode of evil).

Mithin beschreibt E.-O. Czempiel 1989 wohl zu Recht die "Determinanten der US-Außenpolitik" als eine "tief im Denken" der Nation verwurzelte Neigung, "die Grundwerte der eigenen, seit zwei Jahrhunderten erprobten Verfassung für den Maßstab einer sinnvollen, guten Ordnung im Zusammenleben von Gruppen und Völkern auf dieser Erde zu halten". Diese Werte werden zur Grundlage der Außenpolitik und zu einem "der wichtigsten Exportartikel für die gesamte Welt" gemacht. Dabei bleibt gleichgültig, "auf welcher zivilisatorischen Stufe auch immer einzelne Staaten stehen mochten und von welcher völlig unterschiedlichen, zum Teil viel älteren Kultur sie bestimmt wurden".

So weit, so gut oder so schlecht; niemand kann ein maßvolles und dem Völkerrecht angemessenes Fördern von Demokratie und Menschenrechten tadeln. Allerdings fällt schon bei Czempiels Skizze der amerikanischen Bewertung der amerikanischen Verfassung eines auf: als Maßstab für das "sinnvolle, geordnete Zusammenleben von Gruppen und Völkern" soll ausgerechnet eine Verfassung sein, die fast ein Jahrhundert lang nicht einmal die Sklaverei, nicht die gnadenlose Behandlung der Indianer oder den tief in das 20. Jahrhundert reichenden rechtlich abgesicherten Rassismus, den noch heute starken latenten Rassismus sowie manch anderes verhinderte.

Vermutlich gibt es dennoch Gründe, die USA als "Weltpolizist", falls sie es sind, vielen anderen Mächten vorzuziehen. Zudem ist sicher, daß die USA ihre dominierende Rolle wesentlich der Uneinigkeit der Europäer verdanken. Das nimmt den Europäern das Recht, die Dominanz der USA anzuklagen. Aber mehrere Faktoren müssen auch vor diesem Hintergrund erwähnt werden.

Schon Lord Acton hat gegen Ende des 19. Jahrhunderts dargelegt, daß Macht korrumpiert und absolute Macht absolut korrumpiert. Sicher hat Acton übersehen, daß auch Machtlosigkeit korrumpiert und Machtlosigkeit absolut korrumpiert. Dennoch erlaubt Actons Feststellung die Frage, wie weit auch die USA durch ihren Status als einzige Supermacht korrumpiert wurden oder werden können. Unbestreitbar ist immerhin, daß die USA sich ihres Status bewußt sind, daß sie ihn aufrechterhalten wollen und daß sie ihn nutzen.

Hierzu seien noch einmal die Überlegungen Brzezinskis erwähnt. Er wertet West- und Mitteleuropa schlicht als amerikanisches Protektorat, dessen Staaten "an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern"; er selbst bezeichnet die USA als eine "imperiale" Macht, die eine "Schiedsrichterrolle" in ganz Eurasien - also von Portugal bis Japan, einschließlich der neuen südsibirischen Staaten (Kasachstan, Uzbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan) - durchsetzen und bewahren müsse. Als eine der Methoden dieser wahrlich imperialen Politik nennt Brzezinski, sich in Südsibirien "drohend" im Hintergrund zu halten und von dort aus Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten und zu schützen und dafür zu sorgen, daß die Barbaren-Völker sich nicht zusammenschließen. Das hätten die Herrscher antiker Großreiche mit den gleichen Worten formuliert.

Bemerkenswert ist auch, daß Brzezinski kaum ein Wort verliert über die offenen und wohl auch verdeckten Mittel, mit denen die USA ihren Dominanzanspruch weltweit durchsetzen oder durchsetzen sollen. Bemerkenswert ist schließlich, daß in dieser Studie zur amerikanischen Außenpolitik Uno und Sicherheitsrat praktisch nicht vorkommen, während Brzezinski die Notwendigkeit der Sicherung des Zugangs der USA zu den Ölquellen Südsibiriens ausführlich erläutert. Sogar der für zwischenstaatliche Streitigkeiten geschaf- fene Internationale Gerichtshof wird nicht erwähnt. Dabei mag eine Rolle gespielt haben: Nachdem die USA in den achtziger Jahren, also mitten im Frieden, nicaraguanische Häfen vermint hatten, hatte der IGH gewagt, die USA zu kritisieren.

Über die Demütigung sowie Mißachtung der Uno durch die USA unterrichtet aus seiner Sicht auch Boutros-Ghali, Generalsekretär der Uno 1991 -1996. Einer seiner Kernsätze "Es dauerte längere Zeit, bis ich mich der Einsicht stellte, daß die USA keine Diplomatie brauchen. Macht genügt." Seine Beurteilung wird durch ein erstklassiges Dokument bestätigt. Im Januar 2001 veröffentlichten der Direktor des CIA und der Präsident des National Intelligence Council der USA gemeinsam eine Studie über "Global Trends 2015". Die 55seitige Studie spricht alles an, was 2015 die internationale Politik beeinflussen könnte: Neue Techniken und ihre Bedeutung, die Bevölkerungsexplosion, die Lage bei Wasser, bei Energie, bei Umwelt, bei Terrorismus und der Wirtschaft, sie untersucht die Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen, und der Leser findet sogar ein Kapitel "International Cooperation". Doch zu Uno und Sicherheitsrat findet der Leser nur zwei oder drei nichtssagende Sätze: Eine Erweiterung des Sicherheitsrates sei "contentious", umstritten, ebenso der Einsatz von Uno-Truppen zur Friedenserhaltung und zur Durchsetzung von Menschenrechten oder von Sezessionsbestrebungen.

Wenn die Uno so in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Dokument bewertet wird, so läßt sich ermessen, wie in den Amtsstuben gesprochen wird. Deutlicher kann man nicht sagen, was führende Amerikaner heute von der Uno halten, und wie sie die Uno als Kriegsverhinderungsorganisation beurteilen. Mithin wirft ein deutscher Politikwissenschaftler, H.-P Schwarz, 1999 der amerikanischen Außenpolitik eine "Ellenbogenmentalität" vor. Schwarz stellt fest, im Kaukasus, in Zentralasien sowie in Schwarzafrika betrieben die USA eine "aggressive Penetrationspolitik" ausschließlich zugunsten amerikanischer wirtschaftlicher Interessen (Öl und Rohstoffe). Weiterhin darf als sicher gelten, daß böse Folgen unvermeidlich sind, wenn ein Gerechter Krieg als Kreuzzug geführt wird. Doch genau das ist ein Charakteristikum einer Nation, die gern von ihrer manifest destiny und ihrer Mission spricht. Für den kreuzfahrerischen Geist des Gebets des amerikanischen Parlaments vom 10. Januar. 1918 gibt es unter verantwortlichen Politikern oder Heerführern schon des Ersten Weltkriegs nur in England Parallelen. Deshalb ist für eine Studie, die der Bewertung des Krieges und seiner Formen nachgeht, bedeutsam, womit Czempiel seine bereits zitierte Skizze der "Determinanten der amerikanischen Außenpolitik" fortführt: "So erklärt sich auch ein gewisser missionarischer Zug der amerikanischen Außenpolitik bis in unsere Zeit; in positiver Sicht eine moral- und idealpolitische Verankerung und Zielsetzung dieser Politik, in negativer aber auch häufig das, was man den englischen Imperialisten ... lange Zeit als ‚cant', als ideologische Heuchelei zur Verschleierung anderer das heißt Eigeninteressen nachgesagt hat."

(...) Die Guten, sie dürften alle, wahrlich alle Mittel anwenden. Nur ein "missionarischer" Zug macht verständlich, daß noch zehn Jahre nach dem Waffenstillstand die USA (und England) einen wehrlosen Irak bombardieren. Derweil sollen schon Hunderttausende den amerikanischen sanctions, also Strafen, zum Opfer gefallen sein? God's own country, Gottes eigenes Land, kann nicht Unrecht tun.

Ein "Weltpolizist" ist eine beunruhigende Aussicht, und ein Weltpolizist mit "missionarischen" (Czempiel) Zügen, mit einer manifest destiny, großer Gottesnähe und einer besonderen Mission, ist noch beunruhigender. Natürlich: Polizisten sind notwendig. Aber ein Polizist ist Gesetzen unterworfen; die Einhaltung dieser Gesetze wird von der Exekutive sowie von der Legislative, dem Parlament, überwacht und notfalls erzwungen. Hingegen hat sich der amerikanische Weltpolizist sogar von der Uno-Charta losgesagt und mißachtet den Internationalen Gerichtshof.

Die Folgen zeigten sich schon 1984, als der amerikanische Verteidigungsminister Weinberger öffentlich sechs Voraussetzungen für den Kampfeinsatz amerikanischer Streitkräfte verkündete. Die Uno , de facto der Sicherheitsrat, denen die USA 1945 das ius ad bellum übertragen hatten, erwähnte Weinberger nicht einmal mehr. Allein von 1993 bis 1996 haben die USA insgesamt 61 Gesetze zur Verhängung einseitiger (unilateral) Strafmaßnahmen (sanctions), oft "willkürlich" und "ohne Rücksicht auf internationale Abmachungen" (K.-D. Schwarz) erlassen.

Helmut Schmidt, der ehemalige Bundeskanzler, stellte 2000 eine schleichende Demontage der Uno, eine Tendenz zur "Bevormundung anderer Nationen und Staaten" fest, um "amerikanische Ideologien und Präferenzen" durchzusetzen. (...) Offensichtlich fühlt sich der amerikanische Weltpolizist nur seinem eigenen Gewissen, seinem eigenen Gutdünken und seinen eigenen Interessen unterworfen - und die können nicht besser sein als bei anderen Sterblichen.

 

Dr. Franz Uhle-Wettler, Generalleutnant a.D., war Kommandeur einer Panzerdivision und Kommandeur der Nato-Verteidigungsakademie in Rom. Bei dem Text handelt es sich um einen stark gekürzten Auszug aus seinem Buch "Der Krieg. Gestern, Heute - Morgen?" (S. Mittler-Verlag, Hamburg 2001), den wir aus aktuellem Anlaß und mit Uhle-Wettlers freundlicher Genehmigung hier nachdrucken.


 
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