© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/03 21. März 2003

 
Prozeß ohne Folgen
NPD-Verbotsverfahren I: Mit dem Scheitern der Antragsteller verliert der "Kampf gegen Rechts" ein Prestigeprojekt
Mirko Sauer

Politische Parteien wie die NPD können nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Die Voraussetzungen für ein solches Verbot sind genau bestimmt. Danach müßte eine Partei "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der BRD zu gefährden" (Art. 21 Abs.2 GG). Kann dies der NPD zu Last gelegt werden, so ist sie verfassungswidrig und würde verboten werden.

Kurioserweise schien diese Frage aber während des gesamten Verfahrens in den Hintergrund gestellt zu sein. Statt dessen hatte das Gericht die Problematik von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der NPD, deren Aussagen im Beweismaterial verwendet wurden, zu bewerten - Fragen rein verfahrensrechtlicher Art. Doch so begann das Verfahren nicht.

Am 2. Oktober 2000 wurde ein bislang ungeklärter Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt. Bundeskanzler Schröder rief daraufhin auf zu einem parteiübergreifenden "Aufstand der Anständigen", um der Weltöffentlichkeit zu demonstrieren, daß Deutschland "tolerant, weltoffen und nicht rassistisch" sei. Im Zuge der sich schnell entwickelnden Anti-Rechts-Hysterie kam die Diskussion über ein NPD-Verbot auf. Nach anfänglichem Hin und Her reichten am 30. Januar 2001 die Bundesregierung und am 30. März 2001 Bundestag und Bundesrat ihre Verbotsanträge beim Bundesverfassungsgericht ein. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik setzten sich damit alle drei Verfassungsorgane für ein Parteienverbot ein. Wie sich jedoch später herausstellen sollte, litten die Anträge an einem empfindlichen Problem.

Auf der Zeugenliste war mit Wolfgang Frenz mindestens ein NPD-Funktionär aufgeführt, der als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet hatte. Nach Bekanntwerden dieses Umstands sagte der Zweite Senat des Gerichts die für Februar 2002 geplanten fünf Verhandlungstermine ab.

In einem Erörterungstermin am 8. Oktober 2002 sollte dann die Rolle der V-Leute in der NPD geklärt werden. Dabei wurden von den Antragstellern immer diffusere Möglichkeiten des Verfahrensfortgangs thematisiert. So sollte die Beweiserhebung, das heißt ein wichtiger Teil des Verfahrens, unter Ausschluß der NPD erfolgen. Eine Entscheidung ließ auf sich warten, doch konnte das Desaster nicht aufgehalten werden.

Am Dienstag dieser Woche nun wurde die Entscheidung, über die vorher bereits heftig spekuliert wurde, verkündet (2 BvB 1/01 u.a.). Dabei blockierte eine Minderheit von drei der sieben Richter die Fortsetzung des Verfahrens; sie hielten eine Einflußnahme des Staates auf die Führungsebene der Partei durch die Geheimdienst-Leute für möglich. Der Vorsitzende des Senats, Winfried Hassemer, betonte, die Entscheidung sage nichts über eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Partei aus. Für eine Fortführung des von Bundesregierung sowie Bundestag und Bundesrat angestrengten Verfahrens wäre eine Zweidrittelmehrheit der Richter notwendig gewesen.

An Rettungsversuchen mangelte es nicht

Dabei mangelte es freilich nicht an Rettungsversuchen der Antragsteller. Doch die beantragte mündliche Verhandlung für den Fall, daß der Senat die Einstellung des Verfahrens verkünden wolle, scheiterte. Das Gericht blieb bei dem festgesetzten Termin. Eine Tatsache, die die Beteiligten beleidigt hinnehmen mußten.

Nach ihrer Ansicht hätten die Richter auf ein mögliches Verfahrenshindernis hinweisen und den Antragstellern Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Ihnen sei daher nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör verschafft worden. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz meldete "erhebliche Bedenken" an. Es sei "äußerst erstaunlich", wie das Gericht mit den anderen drei Verfassungsorganen umgehe. Auf politischer Ebene fing die Diskussion schon früher an. Bereits mit den ersten Spekulationen über das Platzen des Prozesses ging sogleich der Streit um die Verantwortung einher. Die Union hatte sofort den Bundesinnenminister als Hauptschuldigen ausgemacht. So sprach Beckstein nach einem Zeitungsbericht vom "unglaublichen Versagen" des Bundesinnenministeriums. Der CDU-Justizexperte Norbert Röttgen führte das Scheitern des Verfahrens auf "dilettantische Fehler der Bundesregierung" zurück. Der Sprecher des Innenministerium, Rainer Lingenthal, konterte und warf Beckstein vor, "Polemik und Unwahrheiten" zu verbreiten. So habe er die Länder von Anfang an aufgefordert, in den Verbotsanträgen nur Aussagen zu verwenden, die nicht von V-Leuten stammten. In vier bei einem Erörterungstermin problematisierten Fällen handele es sich um Informanten der Landesämter für Verfassungsschutz. Dafür trage Beckstein als federführender Minister für den Antrag des Bundesrates die Verantwortung. Wenn auch keine personellen Konsequenzen gefordert werden, so kündigen sich doch politische an. Innenpolitiker von SPD und Grünen sollen sich nach einem Spiegel-Bericht darauf verständigt haben, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Geheimdienstreform in Angriff zu nehmen. Nach Vorstellung der Grünen soll ein Geheimdienstbeauftragter eingesetzt und die Zahl der Verfassungsschutzämter (bisher 17) verringert werden.

Als "peinliches Eigentor" des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) bezeichnete Martin Hohmann, CDU-Mitglied des Innenausschusses, die Einstellung des NPD-Verbotverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht. Skandal sei nicht die Gerichtsentscheidung, Skandal sei die Zumutung Schilys gegenüber den Karlsruher Richtern, die Tatsache verschwiegen zu haben, daß 15 Prozent des NPD-Führungspersonals als V-Leute in Staatsdiensten standen. Schily sei nicht der politischen Vernunft, sondern der gutmenschlichen Scheinmoral gefolgt. "Schily hat das politmoralische Geschütz überladen und es ist ihm als Rohrkrepierer um die Ohren geflogen", erklärte Hohmann.

Fraglich bleibt, was neben dem juristischen Scherbenhaufen übrigbleibt. Der "Kampf gegen Rechts" hat sein Prestigeobjekt NPD-Verbot verloren, als ein wesentlicher Rückschlag kann dies jedoch nicht gewertet werden.

Keine Zweifel an der Verbotswürdigkeit der NPD

Bundesinnenminister Otto Schily machte in der Vergangenheit immer wieder deutlich, daß er an der Verbotswürdigkeit der NPD keine Zweifel habe. Daß aber der Versuch unternommen wird, einen neuen Verbotsantrag in Karlsruhe mit neuem Beweismaterial zu stellen, kann wohl ausgeschlossen werden. So sprachen sich nach der Urteilsverkündung auch die Ministerpräsidenten von Hessen und Schleswig-Holstein, Roland Koch (CDU) und Heide Simonis (SPD), gegen eine Neuauflage des Prozesses aus.

Also bleibt alles beim Alten. Die NPD steht weiterhin unter dem Verdacht der Verfassungswidrigkeit. Und von einer "Wetterfestmachung" dieser Partei gegen staatliche Bespitzelung, wie Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck befürchtet, kann trotz der Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht geredet werden. Auf einen Abzug der übrig gebliebenen V-Leute, die Verringerung staatlicher Repressalien, braucht die Partei nicht hoffen. Ganz im Gegenteil: die allgemeine Verunsicherung unter ihren Anhängern dürfte den Antragstellern Erfolg genug sein.


 
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