© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/03 14. März 2003


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Umverteilung
Karl Heinzen

Das sogenannte Bündnis für Arbeit ist erst einmal am Ende. Dies kann jeden humanistisch gesonnenen Menschen nur freuen. Wann immer sich die Prominenz unseres Gemeinwesens zusammenhockt, um über die längst notwendigen Reformen zu sinnieren, kommen dabei nämlich äußerst fiese Vorschläge heraus. Es hat sich die interessante Auffassung durchgesetzt, daß als eine Veränderung zum Besseren nur gelten kann, was für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung eine Verschlechterung ihrer Lage nach sich zieht. Wer sich als ein besonders schneidiger Erneuerer profilieren will, braucht daher gar nicht über die Zusammenhänge unserer Volkswirtschaft nachzudenken: Er muß bloß den sozialpolitischen Sadismus seiner Konkurrenten überbieten.

Es war in ihrem eigenen Interesse, daß sich die Gewerkschaftsvertreter hier ausnahmsweise nicht als Staffage für die Demontage des Sozialstaats im vermeintlichen Konsens haben mißbrauchen lassen. Gerade in der Krise ist es für sie überlebenswichtig, ab und zu auf ein gepflegtes Abendessen mit dem Klassenfeind zu verzichten, wenn dadurch der Schein gewahrt werden kann, sie würden die Interessen derjenigen, deren Interessenvertreter sie sind, vertreten.

Das Bündnis für Arbeit aufzukündigen, ist aber nicht allein eine Frage des guten Stils. Bereits seine Fragestellung ist verfehlt. Es kann nicht darum gehen, daß in unserer Gesellschaft noch mehr gearbeitet wird. Viel zu viele Menschen leisten schon heute deutlich mehr, als ihnen eigentlich abverlangt werden dürfte. Sie finden sich damit ab, daß sie auf unwiederbringliche Lebenszeit zugunsten ihres Arbeitgebers verzichten, weil sie Angst davor haben, ihre Existenzgrundlage einzubüßen. Zahlreiche Menschen gehen Tätigkeiten nach, die letztlich niemand braucht. Unentwegt sorgt das Konkurrenzsystem dafür, daß verschiedene Menschen und Organisationen identische Leistungen bereitstellen. Wer meint, dies würde die Effizienz unserer Wirtschaft ausmachen, unterschlägt, daß die allermeisten Entscheidungen für Anbieter einer rationalen Grundlage entbehren. Wohlstand und sogar Wachstum sind mit deutlich weniger Beschäftigten realisierbar, als heute "in Lohn und Brot" sind.

Die 4,7 Millionen (oder wahrscheinlich sogar mehr) Arbeitslosen unseres Landes sind der Hinweis darauf, daß einfach nicht genug für alle zu tun ist - wenn man von jenen Beschäftigungsverhältnissen ausgeht, die sich bei uns eingebürgert haben.

Es ist sicher sozial gerechtfertigt, daß auch die heute Erwerbslosen einen Beitrag zu unserem Wohlstand, von dem sie profitieren, zu leisten haben. Sie sollten damit allerdings endlich diejenigen, die bereits arbeiten müssen, entlasten. Die Umverteilung der vorhandenen Arbeit auf alle, die arbeiten wollen: An diese Forderung müssen sich die Gewerkschaften wieder erinnern. Wir brauchen daher kein Bündnis für Arbeit. Wir brauchen ein Bündnis für Freizeit. 


 
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