© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Das, was Bestand hat
Der Philosoph Reinhard Lauth wendet sich gegen eine Einordnung der Wahrheit in einen geschichtlichen Prozeß
Werner Olles

Überzeugung ist nur das, was von keiner Zeit und keiner Veränderung der Lage abhängt; was nicht eine dem Gemüthe nur zufällige, sondern selbst das Gemüth ist. Nur von dem unveränderlich und ewig Wahren kann man überzeugt seyn: Überzeugung vom Irrthum ist schlechterdings unmöglich", schrieb Johann Gottlieb Fichte 1797 in seiner "Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre". Nicht ohne Grund stellt der Philosoph Reinhard Lauth diesen Satz an den Beginn der Einführung seines Büchleins über "Die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit". Es geht ihm um den Versuch, einsichtig zu machen, "daß die These von der Geschichtlichkeit der Wahrheit die Annahme des Prinzips des geistigen Mordes darstellt".

Die Erfahrung in der Diskussion mit Verfechtern der These der Geschichtlichkeit der Wahrheit zeigt, daß jemand, der selbst kein Erkenntnisurteil vollziehen will, vergeblich auf die "Wahrheit" draußen in der Geschichte und Gesellschaft horcht. Versagt er sich der Erkenntnis und vernimmt - wie unsere heutigen Wahrheitsrelativisten - "Wahrheit aus der Geschichte", schließt dies die Behauptung ein, daß jede historischen Epoche ihre eigene Wahrheit hat. Weil sich aber das, was immer geurteilt wird, nur aus der Wahrheit bewährt, können alle heutigen Urteile über Erkenntnisse anderer Geschichtszeiten mit anderer Wahrheit nur vom Horizont der derzeitigen Wahrheit ausgefüllt werden und können die andere als solche gar nicht treffen. Wir können zwar über andere geschichtliche Standpunkte urteilen, aber nur nach der Wahrheit unseres Standpunktes, die für jene gerade nicht gilt".

Die Geschichtlichkeit der Wahrheit widerlegt der Autor mit zwingenden Überlegungen aus eben dieser These. Aber er sucht Vertreter von Gegenargumenten auch in ihren Schlupfwinkeln auf, die diese sich wohlweislich für den Fall bereitgehalten haben, "daß der aufgedeckte Widerspruch in seinem Ansatz ihn zum Rückzug zwingt". Am Beispiel "katholischer" Reformpriester in Münster, die die trinitarische Schlußformel der Kirchengebete dahingehend umänderten, daß sie an die Stelle des Heiligen Geistes "die Gemeinde" setzten, zeigt er, daß die Wahrheitsrelativisten sich und ihre Meinung in Wahrheit nicht nur neben, sondern über Gott, über die Wahrheit setzen. So erweist sich die scheinbare Toleranz, das vorgebliche "gelassene Geltenlassen" des anderen, als seine "moralische Tötung", in diesem speziellen Fall gar als die Tötung Gottes.

Lauth beschreibt diesen Zustand als "die Welt von morgen, die uns die Reformer von heute bereiten, wenn ihre Meinung von der Geschichtlichkeit der Wahrheit obsiegen sollte". Schon "der Umstand, daß man ungefestigte Meinungen bedenkenlos an die Stelle der Wahrheit und ihrer Erkenntnis setzt", könne nicht zufüllig sein. Wer die Wahrheit verneine, zerstöre damit die lebendige Beziehung zu Gott und zugleich die wahrhafte Beziehung zum Nächsten und die einzig wahrhafte Beziehung zu sich selbst. All das geschehe zudem "zu einem Zeitpunkt, wo der Mensch in fahrlässiger Weise ein hochkompliziertes, organisiertes System geschaffen hat, von dem er in seinem physischen Dasein abhängt, so daß jede moralische Schwächung zugleich eine Beschleunigung der Gefahr der physischen Zerstörung der Welt, in der wir leben, zur Folge haben muß". Jenseits eines schnoddrig-primitiven Tons, der in der Geisteswissenschaft um sich gegriffen hat, findet der Leser in dem schmalen Band eine Fülle kluger und wertvoller Gedanken.

Reinhard Lauth: Über die absolute Ungeschichtlichkeit der Wahrheit. Christian Jerrentrup Verlag, München 2002, 51 Seiten, 10 Euro


 
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