© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003

 
Die Pose des einsamen Ritters
Frankreich: Mit dem Widerstand gegen die amerikanische Irak-Politik versucht sich Paris als europäische Gegenmacht zu etablieren
Charles Brant

Mit ihren kernigen Worten und ihren Gesten der Entschlossenheit scheinen Außenminister Dominique de Villepin und Präsident Jacques Chirac einem großen Teil der französischen Öffentlichkeit aus der Seele zu sprechen. Diese geschlossene Fassade vermag jedoch nicht über die Fragezeichen hinwegzutäuschen, die Frankreichs derzeitige diplomatische Linie aufwirft.

Für Villepin ist die Sache klar: "Frankreich wird einer zweiten Resolution gegen den Irak nicht zustimmen", wiederholte der französische Außenminister am Sonntag in einem Interview mit der BBC. Wenige Tage zuvor, am 27. Februar, hatte der französische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Jean-Marc Sablière, erklärt: "Eine Mehrheit des Sicherheitsrates ist nicht der Meinung, daß die Zeit reif für einen Krieg sei." Die französische Regierung weicht keinen Schritt von ihrer Forderung ab, den UN-Waffeninspekteuren mehr Zeit und Mittel zu geben. Sie beruft sich auf das von Deutschland, Frankreich und Rußland gemeinsam abgefaßte Memorandum, auf die Erklärungen der arabischen Liga und des französisch-afrikanischen Gipfels.

Als Gegenmacht zur USA zu gelten, schmeichelt Chirac

Die türkische Weigerung, amerikanische Truppen zu stationieren, gab Frankreich ebenso Rückenwind wie die Demonstrationen in verschiedenen europäischen und arabischen Hauptstädten. Die Nominierung des Präsidenten für den Friedensnobelpreis ließ zusätzliche Euphorie aufkommen, zu der die Aussöhnung mit Algerien ein weiteres beitrug. Dem Nationalstolz schmeichelt es, wenn Frankreich seine Stimme erhebt und George W. Bush eine Absage erteilt. Dem guten Gewissen nicht minder.

"Frankreich hat sich auf die Seite des Völkerrechts gestellt. (...) Unser Kampf ist der Kampf für das Recht." Jean-Pierre Raffarins Beitrag zur Debatte in der Nationalversammlung am 25. Februar wurde mehrmals von lautem Applaus unterbrochen - besonders dann, wenn er von der "Weisheit Frankreichs" und seiner "universellen Botschaft" sprach. Nachdem er die französische Position weitschweifig umrissen hatte, legte der Premierminister seinen Kurs fest: "die Ablehnung des Unilateralismus" und "die Entscheidung für Legitimität und für kollektive Verantwortung". Seine Politik ziele darauf ab, "den Irak auf friedlichem Weg zu entwaffnen" und "eine Welt mit mehr Sicherheit, mehr Gleichheit und mehr Wohlstand" zu schaffen. Um diese Ziele zu verwirklichen, sei keine zweite Resolution des UN-Sicherheitsrates notwendig, sondern die Einhaltung der Resolution 1441.

Im Namen der "Präsidentenpartei" UMP, die de Villepins "beispielhafte und wirkungsvolle" Diplomatie selbstverständlich begrüßt, beglückwünscht Alain Juppé Frankreich dazu, seine gaullistische Tradition wiederentdeckt zu haben. Juppé gibt sich erstaunlich zuversichtlich, was die Zukunft der französisch-amerikanischen und innereuropäischen Beziehungen angeht, und äußerst sich skeptisch gegenüber amerikanischen Projekten, die auf dem Gedanken einer "demokratischen Ansteckung" beruhen und im Nahen Osten die Formen und den Geist einer Demokratie westlicher Prägung verbreiten wollen. François Holland hat der Regierung für ihre Politik den Beifall der Sozialistischen Partei ausgesprochen und ihr gleichzeitig ans Herz gelegt, von ihrem Vetorecht vor dem UN-Sicherheitsrat Gebrauch zu machen. Dieser Haltung schloß sich Lionel Jospin an. In seiner ersten offiziellen Einmischung seit seiner Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Frühling verkündete der ehemalige Premierminister in Le Figaro feierlich, daß "Frankreich nicht von seinem Entschluß abweichen" dürfe, sondern "bis zum letzten gehen" müsse. Auf der Rechten sprach der Souveränist Philippe de Villiers, Vorsitzender des Mouvement pour la France, dieselbe Forderung aus. Die Presse lobt einstimmig die Gesinnung und Inbrunst der französischen Außenpolitik.

Wichtige Stimmen warnen vor einem Veto in der Uno

Bei aller Begeisterung muß ein tückischer Zweifel an den weitsichtigsten Beobachtern nagen: Wie kommt man aus dem Engpaß heraus, in den sich Frankreich immer weiter verrennt? Das Völkerrecht zu verteidigen und sich gegen den Präventivkrieg des amerikanischen Präsidenten auszusprechen, ist eine Sache. Eingestehen zu müssen, daß der Krieg unabwendbar scheint, weil die USA fest entschlossen sind, Waffengewalt gegen Saddam Hussein anzuwenden, ist die andere Sache. Die Äußerungen der Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie illustrieren diese Verlegenheit. Ihr zufolge ist noch "jede Entscheidung offen" und eine Intervention französischer Truppen jederzeit möglich. Dennoch schwört sie: "Es wird zu keiner Beteiligung an einem militärischen Einsatz kommen, der nicht die Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft hat."

Ähnliches Unbehagen kommt in der Diskussion um das von der Linken geforderte Veto zum Ausdruck. Nicht wenige sind wie Admiral Jacques Lanxade, ehemaliger Stabschef des Präsidenten, der Meinung, daß es ein Fehler wäre, von dem Vetorecht Gebrauch zu machen. Lanxade betont, Frankreich habe sich mit dieser Linie auf Nato- und europäischer Ebene erheblich geschadet, ja sich "ins Abseits" stellen lassen.

Ähnlich analysiert Pierre Hassner, emeritierter Forschungsdirektor am Internationalen Studien- und Forschungszentrum (CERI), die französiche Politik. In einem am 25. Februar in Le Monde veröffentlichten Meinungsbeitrag schrieb Hassner, die französische "Kinnhaken-Diplomatie" spiele der amerikanischen Europapolitik in die Hände. Dabei beruft er sich vor allem auf die arroganten Äußerungen Chiracs und Alliot-Maries gegenüber Polen, Rumänien und Bulgarien und den bemerkenswert tolpatschigen Erpressungsversuch, der in der Andeutung gipfelte, Frankreich hätte große Schwierigkeiten bei der Ratifizierung ihres EU-Beitritts machen können. Mit grimmigem Humor merkt Hassner an, die Lektionen im Multilateralismus, die Frankreich den USA zu erteilen suche, wären um einiges überzeugender, wenn Frankreich in der Lage wäre, sie selber auf der Ebene der Europäischen Union anzuwenden.

Die Pose des "einsamen Ritters", die Frankreich sich zu eigen gemacht hat, mag manche verführen. Andere vermag sie nur zu beunruhigen. Einigen Beobachtern ist aufgefallen, daß sich die Kritik an Polen und den anderen ehemaligen Ostblockstaaten nahtlos an die scharfen Worte anfügt, die Präsident Chirac unlängst bezüglich der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik an die Europäische Kommission richtete. Will Frankreich den Prozeß der EU-Erweiterung ein für allemal zum Scheitern verurteilen? Gleichzeitig häufen sich die Beschwörungen des Nord-Süd-Konflikts und die Vorstöße, die Frankreich in diese Richtung unternimmt. Der jüngste französisch-afrikanische Gipfel sowie Präsident Chiracs Staatsbesuch in Algerien deuten auf eine langfristige Distanzierung von Europa hin. Die ewige Wiederkehr der französischen Aufmüpfigkeit?

Paris setzt zukünftig auf die arabisch-muslimische Welt

Jedenfalls setzt Paris in seiner Zukunftsplanung auf die arabisch-muslimische Welt. Der Neogaullist Edouard Balladur, ehemaliger Premierminister und amtierender Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses in der Nationalversammlung, hat dies eindeutig zu verstehen gegeben: Frankreich müsse sich ab darauf vorbereiten, nach dem Krieg gegen den Irak eine Vermittlerrolle in einer Region zu spielen, mit deren Realitäten es weit besser vertraut sei als die USA. Dabei, so Balladur, könne es sich auf "das Wohlwollen der arabisch-muslimischen Welt verlassen".

Diese Sichtweise, die quer durch die politischen Lager weitgehend geteilt wird, schreibt gewisse liebgewonnene Axiome fort und veranschaulicht nebenbei die französische Vorliebe für "Sonderwege". Dennoch erweckt sie den Unwillen jüngerer UMP-Abgeordneter, die grummeln, die französische Außenpolitik dürfe nicht zur "Geisel der Vorstadtsiedlungen" werden, in denen größtenteils maghrebinische Einwanderer wohnen. Immer unüberhörbarer drängt sich die Frage auf, ob die derzeitige Linie nicht hauptsächlich demographischen Notwendigkeiten geschuldet sei.

Foto: Pariser Anti-Kriegs-Proteste am 15. Februar: Es zeigt sich die französische Vorliebe für Sonderwege


 
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