© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/03 07. März 2003


Reden wir Klartext!
Die Debatte um Anti-Amerikanismus ist ein Ablenkungsmanöver
Alexander Griesbach

In den USA wird bereits intensiv über das Besatzungsregime nach einem erfolgreichen Krieg gegen den Irak diskutiert. Bis zu 200.000 US-Soldaten sollen nach einem Regierungswechsel im Irak stationiert werden, um dessen Demokratisierung durchzusetzen. Experten zufolge müssen zwischen 20.000 und 90.000 Soldaten noch Jahre nach Kriegsende im Land bleiben, um die politische Stabilität zu garantieren. Der Wiederaufbau des Iraks, so orakelt das US-Magazin Time, könnte damit ähnlich teuer werden, wie der Deutschlands nach 1945. Hauptaufgabe des US-Militärs dürfte die humanitäre Versorgung der 25 Millionen Iraker und die Verhinderung von Kämpfen zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten werden. Doch damit nicht genug. Auch die irakische Bürokratie müßte umfassend reformiert werden. Experten halten zudem Kriegsverbrecherprozesse und Umerziehungsmaßnahmen wie nach dem Zweiten Weltkrieg für nötig, um die irakische Gesellschaft "reif für die Demokratie" zu machen.

Derartige Szenarien müßten insbesondere aus deutscher Sicht Unbehagen wecken. Diese zeigen an, daß es keineswegs nur um die Überwindung des Regimes von Saddam Hussein geht, sondern um die "Verwestlichung" des Iraks und der kulturellen Identität der Iraker insgesamt.

Unbehagen löst auch die Tatsache aus, daß die Rede von der "Demokratisierung", mit der die USA ihre Kriege zu legitimieren pflegen, auch diesmal über die wahren Interessen hinwegtäuschen soll. Diese Interessen zielen eindeutig auf die Ölvorräte des Iraks, auch wenn dies immer wieder in Abrede gestellt wird. Die Abhängigkeit der US-Wirtschaft von Öleinfuhren werde zunehmen, berichtete vor gut zwei Jahren die National Energy Policy Development, der US-Vizepräsident Dick Cheney vorsteht, da die heimische Ölproduktion in den nächsten beiden Jahrzehnten um zwölf Prozent abnehmen werde. Bei einem gleichzeitig zu erwarteten Anstieg des Ölverbrauchs um ein Drittel wird die Abhängigkeit der USA von importiertem Öl, das von 1985 nur ein Drittel und heute bereits 50 Prozent des Verbrauchs ausmacht, auf über 65 Prozent zu. Der Bericht von Cheney besagt weiter, daß die Produzenten am Persischen Golf im Jahre 2020 bis zu zwei Drittel der weltweiten Ölexporte bestreiten werden. Die Kontrolle über die Region wird also in Zukunft noch wichtiger sein als in der Vergangenheit.

Deswegen wollen die USA die irakischen Ölfelder der Verfügbarkeit durch Saddam entreißen. Sie sind der Meinung, dieser würde "erpresserische Methoden" anwenden. Diese Sorge wird durch den amerikanischen Wissenschaftler Michael T. Klare artikuliert: Wer immer die Ölproduktion am Persischen Golf kontrolliere, könne laut Klare nicht nur die Wirtschaft der USA, sondern auch die der meisten Staaten der Welt in den Würgegriff nehmen. Klare weist weiter darauf hin, daß das Ziel, das Öl am Persischen Golf zu kontrollieren, "in Übereinstimmung mit dem erklärten Ziel der Regierung" stehe, "auf immer allen anderen Nationen militärisch überlegen zu sein".

Diese Motive für einen Krieg gegen den Irak sind wenig medienkompatibel. Das Weiße Haus versteht es aber glänzend, diese Motive "humanistisch aufzulösen". Man sollte nicht vergessen, so der US-Publizist John MacArthur, "daß die größte aller PR-Agenturen das Weiße Haus ist. Verglichen mit deren PR-Maschinerie stehen doch alle anderen Agenturen wie Zwerge da". Gegen die Propaganda im Namen der Menschlichkeit, wie sie das Weiße Haus zu entfalten in der Lage ist, sind die Europäer mehr oder weniger wehrlos. Wer sich einmal auf die Logik dieser Propaganda einläßt, muß sich unweigerlich auch auf die Sicht der US-Medienstrategen einlassen. Die Macht dieser moralischen Drohkulisse kennt tatsächlich nur die Alternative: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."

Dieser Hintergrund gibt der innenpolitischen Debatte in Deutschland ihre Brisanz, soll doch auch Berlin, geht es nach dem Willen der Regierung Bush, seinen Beitrag dazu leisten, die weltweite Vorherrschaft der USA weiter zu zementieren. Das Gespenstische an der Debatte ist die Tatsache, daß die zentralen Punkte der US-Interessenpolitik von deutschen Politikern nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen werden. Es darf aus Gründen der politischen Korrektheit nicht das beim Namen genannt werden, was offensichtlich ist. Würden diese Zusammenhänge ihrer Bedeutung gemäß thematisiert, müßte es zu einer grundlegenden Neujustierung im Verhältnis zu den USA kommen. Die Regierung Schröder versucht in dieser Frage einen Mittelweg zu gehen. Die offene Konfrontation mit den USA wird vermieden. Gleichzeitig wird dieser von deutscher Seite deutlich gemacht, daß sich die Lage gegenüber 1991 deutlich geändert hat. Mit einiger Sicherheit ist dieser Weg auch der Überlegung geschuldet, daß sich Deutschland außerstande sieht, den Amerikanern noch einmal einen Golfkrieg mitzufinanzieren, wie dies 1991 der Fall war. Damals überwies Deutschland den USA circa 17 Milliarden Mark. Daß auch diesmal, im Falle einer Beteiligung Deutschlands an einem Krieg gegen dem Irak, Milliardenlasten auf Deutschland abgewälzt werden könnten, ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher.

Die Nostalgiker der deutsch-amerikanischen Freundschaft, insbesondere in den Reihen der Union, überspielen diesen Aspekt, so wie sie es 1991 zur Zeit der Regierung Kohl getan haben. Hier mag auch die ernsthafte Überzeugung eine Rolle spielen, daß die deutsch-amerikanische Freundschaft als Konstante der deutschen Außenpolitik unter allen Umständen bewahrt werden muß. Dieses Beharren auf die über Jahrzehnte gewachsenen Bindungen hat allerdings seine Grenze dort, wo es um die Tolerierung oder aktive Beförderung der Durchsetzung von nackten imperialen Interessen geht.

Eine tabulose Diskussion über die deutsch-amerikanischen Beziehungen wird zu dem Ergebnis kommen, daß die Zweckgemeinschaft, die Deutschland und die USA jahrzehntelang verbunden hat, der Vergangenheit angehört. Die beiderseitigen Interessenlagen haben sich fundamental verändert. Heute muß es aus deutscher Sicht darum gehen, dem globalen Anspruch der Weltmacht USA Widerstand entgegenzusetzen. Dies gilt um so mehr, wenn sich dieser Anspruch über zentrale Normen, die das Zusammenleben der Völker regeln, hinwegzusetzen trachtet.

Auf den allzu simplen Gegensatz Pro- oder Anti-Amerikanismus läßt sich die Komplexität, die mit der Irak-Krise verbunden ist, deshalb nicht herunterbrechen. Und weil das so ist, geht der Riß durch alle "gesellschaftlich relevanten Gruppen" in Deutschland. Deshalb sind die seltsamsten Koalitionen durch alle politischen Lager hindurch zu beobachten. Wenn dieser Riß dazu führt, daß Deutschland in Zukunft in der internationalen Völkergemeinschaft wieder mehr Eigensinn zeigt, dann hat diese Diskussion zu den richtigen Konsequenzen geführt.


 
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