© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/03 28. Februar 2003

 
BLICK NACH OSTEN
Polen zwischen Seine, Spree und Moskva
Carl Gustaf Ströhm

Unter jenen ost- und mitteleuropäischen Staaten, die sich in der Irak-Krise vorbehaltlos auf die Seite der USA und ihres Präsidenten stellten, sticht Polen durch seine Größe und spezifisches Gewicht hervor. Mit etwa 35 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 312 Quadratkilometern ist der polnische Staat im europäischen Rahmen eine mittlere Macht. Jahrhundertelang eingezwängt zwischen Deutschen und Russen, hat Polen stets in fließenden, oft umstrittenen Grenzen gelebt. Unter Boleslaw Chrobry stieß Polen bereits im 11. Jahrhundert bis zur Oder im Westen und bis nach Kiew im Osten vor. Dann zerfiel die polnische Macht. Im 14. Jahrhundert herrschte die Dynastie der Jagiellonen über einen ausgedehnten polnischen Staat, zu demSchlesien, Westpreußen, Ostpreußen und das damalige Litauen gehörten. Die Schwächung der polnischen Zentralgewalt führte zu den Teilungen des Landes zwischen Rußland, Preußen und Österreich. Erst am Ende des Ersten Weltkrieges erstand Polen als unabhängiger Staat wieder. Zwanzig Jahre später wurde es von den Deutschen erobert und zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion aufgeteilt. Die Befreiung durch die Rote Armee 1944/1945 brachte keine Freiheit, sondern ein halbes Jahrhundert kommunistischer Unterdrückung.

Läßt man nur diese wenigen Schicksalsdaten polnischer Geschichte an sich vorüberziehen, dann besteht kein Zweifel, daß die Polen eine tragische Nation sind: zu stark, um sich einfach unterjochen zu lassen - aber zu schwach, um sich gegen übermächtige Gegner durchzusetzen.

Ob der Entschluß, sich im Konflikt zwischen Amerika und den beiden stärksten europäischen Mächten - Frankreich und Deutschland - auf die Seite der Amerikaner zu stellen, weise war, bleibt abzuwarten. Polen hat mit diesem Schritt auch Frankreich, mit dem es durch Jahrhunderte in Sympathie (und Rivalität zu Deutschland) verbunden war, gegen sich aufgebracht. Der Kommentar Chiracs, der von "kindischem" und "verantwortungslosen" Benehmen sprach und der die Pro-Amerikaner in Osteuropa aufforderte, lieber zu schweigen, richtete sich natürlich auch an die Adresse Warschaus.

Dort reagierte man schroff. Der ehemalige Botschafter Bartoszewski erklärte, Polen habe es nicht nötig, sich von den Westeuropäern belehren zu lassen. Polen sei schon deshalb für Amerika, weil die Amerikaner Europa von Hitler befreit hätten. Die Tragik ist nur, daß die gleichen Amerikaner es Stalin ermöglichten, neben vielen anderen Ländern auch Polen zu "befreien" - ein teurer Preis.

Manche Kreise in Polen wittern im gegenwärtigen transatlantischen Konflikt die Chance, die Deutschen auszustechen und die Rolle als europäischer "Festlandsdegen" Washingtons zu übernehmen. Auch von amerikanischer Seite wird überlegt, die US-Stützpunkte in der Bundesrepublik auszudünnen und statt dessen Militärbasen in Polen zu errichten. Das allerdings würde die geostrategischen Kräfteverhältnisse in Mitteleuropa tangieren - und zu Irritationen in Deutschland, aber auch in der Ukraine und in Rußland führen.

In der EU wird bereits vermerkt, daß Polen in den kommenden Jahren Zahlungen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro aus Brüssel erhält. Wenn Polen dieses Geld kassieren, gleichzeitig aber als amerikanisches U-Boot in der EU auftreten würde, entstünde eine ungute Situation. Fast möchte man an das tragische Schicksal Polens von Boleslaw Chrobry bis zu den Teilungen denken.


 
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