© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/03 21. Februar 2003


"Wir sind befremdet"
Gideon Rose, ehemaliger US-Regierungsberater und Verlagsdirektor von "Foreign Affairs", über das atlantische Zerwürfnis
Moritz Schwarz

Herr Rose, die USA wollen ein amerikanisches Imperium errichten. Das ist der Grund, warum sie den Irak als ersten Schritt auf diesem Weg angreifen wollen!

Rose: Nein, das stimmt nicht. Der Grund für den Aufmarsch am Golf besteht aus drei Elementen: Erstens ist der Persische Golf wegen seiner Ölvorkommen eine der strategisch wichtigsten Regionen der Welt.

Sie geben zu, daß es ums Öl geht?

Rose: Ironischerweise sind die Ölvorkommen am Golf für die Europäer wichtiger als für die Amerikaner.

Kein Grund, es sich trotzdem unter den Nagel reißen zu wollen.

Rose: Sie haben mich nicht ausreden lassen. Element Nummer zwei ist die Person Saddam Husseins, einer der schlimmsten Diktatoren in diesem Teil der Welt.

Den die USA jahrelang unterstützt haben.

Rose: Ja, ebenso wie Stalin gegen Hitler. Es ist eine traurige Grundregel der Weltpolitik, daß manche Krisen drängender als andere sind - die Iran-Krise war damals sehr drängend. Das führt uns zu Element Nummer drei: Andere Politikansätze als der der Kriegsdrohung haben in dieser Region und bei diesem Mann bisher nicht gefruchtet.

Am vergangenen Wochenende haben Millionen von Europäern quer durch den ganzen Kontinent ihre Ablehnung gegenüber der US-Kriegspolitik am Persischen Golf demonstriert. Zwar unterstützt zum Beispiel Großbritannien die USA, doch tatsächlich sind laut Umfragen achtzig Prozent der Briten gegen einen neuen Irak-Krieg. Und im dieser Tage viel gescholtenen Deutschland repräsentiert der Kanzler-Kurs tatsächlich Volkes Stimme. Gibt das den Amerikanern nicht zu denken?

Rose: Schröder genießt nur in puncto Irak-Konflikt die breite Zustimmung der Deutschen, ganz im Gegensatz zur sonstigen Regierungspolitik. Das legt die Vermutung nahe, daß er dieses Thema nur benutzt, um seine Regierung zu retten. Natürlich fühlen wir uns in Gegnerschaft zur Mehrheit der europäischen Öffentlichkeit nicht wohl. In den USA gibt es drei Positionen zu Europa: Die der Kriegsbefürworter, die den demonstrierenden Europäern entweder Rivalität oder Antiamerikanismus unterstellen. Die der Kriegsgegner, die glücklich darüber sind - schon im eigenen Land die Minderheit -, wenigstens weltweit in der Mehrheit zu sein. Und die derjenigen, die zwar grundsätzlich mit der Außenpolitik der Regierung einverstanden sind, die sich aber für den mangelnden Stil und das mangelnde außenpolitische Taktgefühl von George Bush schämen. Für diese Leute, die davon träumen, Amerika könnte eine bewunderte und geliebte Führungsmacht sein, sind diese Demonstrationen in der Tat ein großes Problem.

Das heißt, diese Demonstration der Europäer erzielt tatsächlich Wirkung in den USA?

Rose: Nun, tatsächlich ist das hier weniger ein Thema, als es das wohl sein sollte. Unsere Regierung ist nun einmal davon überzeugt, recht zu haben und hört schon den Kritikern im eigenen Land kaum zu - warum also sollte sie gegenüber Kritikern aus dem Ausland hellhörig sein? Außerdem müssen Sie einräumen, daß die Europäer schon des öfteren Strategien der USA abgelehnt haben, die sich später doch als richtig erwiesen. Und so stellt sich die Situation für die Vereinigten Staaten folgendermaßen dar: Schlagen uns denn die Europäer eine ernstzunehmende Alternative vor? Wenn sie das nicht tun, dann können sie auch nicht erwarten, mit ihrer Kritik ernstgenommen zu werden.

Sind die Amerikaner vom Widerstand der Europäer überrascht?

Rose: Ich denke, die Amerikaner haben sich den Widerstand in Europa ähnlich wie während der Nachrüstung vorgestellt, daß er sich derartig auswächst, damit hat man wohl nicht gerechnet. Wir nahmen an, Bundeskanzler Schröder würde nach der gewonnenen Bundestagswahl in ein ruhigeres Fahrwasser einschwenken.

Wird sich die Regierung Bush später an Schröder politisch rächen?

Rose: Nein, die USA mischen sich nicht in die inneren Angelegenheiten verbündeter Demokratien ein, auch wenn sie eine Abwahl Schröders innerlich wohl begrüßen würden.

Die Opposition in Deutschland führt immer wieder ins Feld, der Kurs der Regierung Schröder sei ein Akt der Undankbarkeit gegenüber den USA, die Westdeutschland im Kalten Krieg vor dem Kommunismus beschützt hätten.

Rose: Eher als die Deutschen, gelten derzeit die Franzosen als undankbar, denn zweimal haben sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts militärisch auf die USA verlassen. Aber in Zeiten der Krise werden solche Stereotypen immer besonders fleißig bemüht, daraus läßt sich jedoch nicht schließen, daß eine grundsätzliche, langanhaltende Verstimmung zwischen den Völkern entsteht. Die Wahrheit ist, daß die meisten Amerikaner sich herzlich wenig mit Europa beschäftigen und nach dieser Krise der alten Welt gar nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit schenken werden, um nachtragend zu sein.

Europa liegt derzeit unter dem Trommelfeuer der US-Medien. Auch seriöse Zeitungen schießen dabei mit. Das Boulevardblatt "New York Post" entsandte sogar seinen Kolumnisten Steve Dunleavy nach Frankreich, um einen Propagandaartikel zu fabrizieren, als bedürften solche Machwerke gründlicher Recherche.

Rose: Ach, die New York Post liebt solche Dinge, neulich hatte sie die Köpfe der Vertreter Deutschlands und Frankreichs im UN-Sicherheitsrat durch die Köpfe von Wieseln ersetzt und "Achse der Wiesel" getitelt. Die Post ist ebenso peinlich, wie solche Zeitungen auch bei Ihnen in Europa sind. Ich glaube nicht, daß diese oberflächliche Stimmungsmache die tiefen, grundlegenden Übereinstimmungen der Gesellschaften Europas und der USA wirklich auseinanderdividieren können.

Die Europäer haben allerdings einen Vorbehalt gegen das unverblümt interessengeleitete Auftreten der Amerikaner - das gebietet schon ihr eigenes Interesse.

Rose: Die Europäer sprechen den Amerikanern stets ab, daß sie aus anderen Gründen als aus niedrigen ökonomischen handeln.

Die Amerikaner fühlen sich verletzt?

Rose: Nun, was uns wirklich befremdet, ist nicht Undank für unsere Hilfe in der Vergangenheit, sondern daß man uns nicht zugute hält, Dinge auch aus ehrlicher Überzeugung zu tun. Auch in der Vergangenheit haben wir schließlich einige Kriege tatsächlich für die Freiheit geführt und in den eroberten Ländern, zum Beispiel Deutschland, demokratische Verhältnisse statt eines ausbeuterischen Besatzungsregimes installiert. Aus der Sicht der Amerikaner haben Kriege wie der Zweite Weltkrieg durchaus zu vorzeigbaren Ergebnissen geführt, deshalb verstehen viele Amerikaner die europäische Position "Krieg könne keine Probleme lösen" nicht. Es ist ausgerechnet die Geschichte der Europäer, die diesen Skeptizismus offensichtlich widerlegt. Das führt nun auf seiten der Amerikaner zu der Annahme, daß die Europäer selbst nur versuchen, mit ihrer Argumentation eigene Interessen zu verbergen.

Ein echtes Mißverständnis.

Rose: Die Welt der Europäer ist geprägt von Demokratisierung, Pazifizierung und innerstaatlicher Integration, eben vom großen Projekt der Europäischen Einigung. Das aber hat die Europäer dazu gebracht zu vergessen, wie man sich im Rest der Welt verhalten muß, wo ganz andere Gesetzte herrschen. Den Amerikanern ist klar, daß die Europäer deshalb auch keinen ausgeprägten Sinn dafür haben, für die Ordnung der Dinge außerhalb ihrer Sphäre Verantwortung zu übernehmen. Europa ist eine regionale, die USA eine globale Macht. Die Vereinigte Staaten interessieren sich aus ihrem Naturell heraus vor allem dafür, eine machtpolitische oder militärische Entscheidung herbeizuführen - den Krieg zu gewinnen -, die Europäer vor allem dafür, durch Wiederaufbau und Integration den Frieden zu gewinnen.

Für viele Menschen, vor allem in der Dritten Welt, sind die USA mitnichten die Verteidiger der Demokratie. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy etwa beschrieb das Wirken der USA im Interview mit dieser Zeitung als verhängnisvoll und George Bush als ein Monster.

Rose: Nun, Frau Roy scheint mir wesentlich stärker von ihrem Antiamerikanismus geleitet zu sein, als von einer rationalen Politikvorstellung. Aber natürlich liegt der Fehler auch im außenpolitischen Auftreten der Bush-Regierung.

Wie bewerten Sie die jüngst entstandene Euro-Achse Paris-Berlin-Moskau? Fürchten die USA die Rückkehr des "alten Europa"?

Rose: Ich betrachte diese Achse als ein Unglück für das Projekt einer europäischen Einigung, wie sie die EU verkörpert, aber die USA fürchten diese Achse ganz bestimmt nicht. Das Problem Europas ist, daß es zwar einen großen Traum für sich selbst träumt, aber nicht gewillt ist, auch für andere zu träumen. Ganz anders die USA: Die Antwort der Amerikaner auf den 11. September ist, den amerikanischen Traum nun auch für den Mittleren Osten zu träumen, weil sie die Ursachen für den Fundamentalismus in der inneren Struktur der Staaten dort sehen. Die USA sind zu großen Träumen fähig.

Doch eine Art Imperialismus?

Rose: Wenn Sie damit die Ausbeutung fremder Länder meinen, irren Sie sich, wenn sie darunter aber den Versuch verstehen, die Handlungen anderer Staaten unter Kontrolle zu bringen, dann mögen Sie recht haben.

 

Gideon Rose ist seit Dezember 2000 Verlagsdirektor von Foreign Affairs, der wichtigsten US-Fachzeitschrift für außenpolitische Fragen. Zuvor war er Außen- und Sicherheitspolitischer Berater der Regierung Clinton. Geboren wurde er 1963 in New York.

 

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