© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/03 07. Februar 2003

 
Auf Kosten der Beitragszahler
Gesundheitspolitik: Alle Sozialhilfeempfänger sollen zur Entlastung der Kommunen gesetzlich krankenversichert werden
Jens Jessen

Deutschland ist zu einem Land verkommen, in dem der Bund zu Lasten der Länder und die Länder zu Lasten der Kommunen Aufgaben abgeben und damit auch die Kostenübernahme für diese Aufgaben auf die nächste Ebene verschieben. Der hohe Abschluß im öffentlichen Dienst ist dafür das jüngste Beispiel. Der Bund, bei dem lediglich rund sieben Prozent der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, wird mit 211 Millionen Euro belastet. Dem stehen jedoch Mehreinnahmen aus der zusätzlichen Einkommenssteuer, die sich aus den erhöhten Löhnen und Gehältern ergibt, von 308 Millionen Euro gegenüber.

Bundesfinanzminister Hans Eichel ist der Gewinner der Lohn- und Gehaltserhöhungen. Die Länder, die etwa 25 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben, müssen mit einem Defizitsaldo von 467 Millionen Euro fertig werden. Die Kommunen, die zwei Drittel aller im öffentlichen Dienst Beschäftigten bezahlen müssen, werden mit einem Nettoverlust von 1,8 Milliarden Euro erleiden. Das ist das Ergebnis, über das der Verhandlungsführer, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), sehr zufrieden sein kann.

Die Kommunen schlagen jetzt wie Ertrinkende um sich. Weniger Einnahmen stehen höhere Ausgaben gegenüber. Sie wollen deshalb eines ihrer vielen Probleme auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus der Welt schaffen. Es geht um die Sozialhilfeempfänger, die nie oder nicht lange genug in einer GKV waren, damit sie auch als Sozialhilfeempfänger in einer dieser Krankenkassen bleiben können. Die Kommunen haben in diesem Fall als Träger der Sozialhilfe für deren medizinische Versorgung aufzukommen. Bei der betroffenen Personengruppe geht es um zirka 20 Prozent der Sozialhilfeempfänger in Deutschland.

Die rund 540.000 Personen, deren medizinische Versorgung nach Prüfung durch die örtlichen Ämter vom Steuerzahler finanziert wird, bilden nach Aussage des Deutschen Städtetages ein unerträgliches Problem. Die Kommunen sind 2001 mit 1,2 Milliarden Euro belastet worden. Die Ärzte können die Diagnose und Therapie dieser Personengruppe wie bei Privatpatienten abrechnen, da die Begrenzung durch Budgets, durch die sich die Behandlung von Kassenpatienten auszeichnet, bei diesen Sozialhilfeempfängern nicht gilt.

Die Hamburger Sozialbehörde will das Problem durch die Bildung einer eigenen Krankenkasse für Sozialhilfeempfänger beseitigen. Diese Meldung der Welt vom 29. Januar führte zu einem Aufschrei der rot-grünen Koalitionäre in Berlin, die flugs alle Sozialhilfeempfänger in die Gesetzliche Krankenversicherung schleusen wollen, unter Hinweis auf den Koalitionsvertrag von SPD und Grünen, in dem es unter anderem heißt: "Wir stellen sicher, daß die Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung für alle Sozialhilfebezieher verbindlich gilt."

Im Juni 2002 hat die Arbeitsgemeinschaft der GKV-Spitzenverbände darauf hingewiesen, daß die Krankenversicherungen Jahr für Jahr als Steinbruch für die Entlastung anderer Sozialversicherungsbereiche verwandt werden. Das sinkende Rentenniveau führt zu geringeren Zuschüssen des Staates für die Rentenversicherung, gleichzeitig aber auch zu geringeren Beitragszahlungen an die Kassen. Die Abgabenbefreiung für die "Riester-Rente" beim Weihnachtsgeld vermindert die Kasseneinnahmen. Die Neuordnung im Rehabilitationsrecht entlastet die Rehabilitationsträger und belastet die Kassen.

Sozialhilfe führt zur Pleite der Kommunen

Zu Mehrausgaben bei der GKV führt das Krankengeld in der Invalidenrente. Die in der Rentenreform neu geregelten Bestimmungen zur Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente haben erhebliche Einnahmeausfälle in den Krankenkassen zur Folge gehabt. Die in den letzten Jahren praktizierte "Schwächung" der Finanzen der GKV zur Entlastung anderer Sozialversicherungszweige bzw. öffentlicher Haushalte hat dazu geführt, daß den Krankenkassen allein in den Jahren 2002 und 2003 bereits 4,5 Milliarden Euro entgangen sind. Zusätzliche Belastungen für das Jahr 2003 mit einem Finanzvolumen von weit über einer Milliarde Euro erhöhen den Druck auf die Beitragssätze nochmals deutlich und unterlaufen zudem das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel der Beitragssatzstabilität.

Die Erhöhung der Umsatzsteuer für Zahnersatz auf 16 Prozent betrifft dabei nicht nur die Solidargemeinschaft der sozialen gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch die Patientinnen und Patienten im Rahmen ihrer Eigenbeteiligung, die durchschnittlich nahezu die Hälfte der Kosten eines Zahnersatzes ausmacht. Wenn jetzt auch noch die Kosten für die medizinische Versorgung der 540.000 Sozialhilfeempfänger den gesetzlichen Krankenkassen zugeordnet würden, kommen auf sie weitere Kosten zu, die nicht in ausreichendem Umfang durch Einnahmen gedeckt sind. Die Sozialämter der Kommunen zahlten für diese Sozialhilfeempfänger die niedrigeren Pflichtbeiträge an die Krankenkassen, denen weitaus höhere Leistungsausgaben gegenüberstünden. Ein zusätzliches Finanzierungsloch der GKV wäre unausweichlich.

Bevor es zu einer Gesundheitsreform in der Mitte des Jahres kommt, hätten Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und ihre willigen Helfer in Kommissionen und Gesundheitsministerium den Krankenversicherten zu sagen, ob die versicherungsfremden Leistungen endlich aus der Krankenversicherung entfernt werden und von der Renten- und Arbeitslosenversicherung bzw. deren "Garant", dem Bund, übernommen werden. Dann hätten wir Beitragssätze in den Krankenkassen, die statt 14,5 Prozent noch 13,7 Prozent betrügen. Wenn die vernünftige Maßnahme, auf Arzneimittel keine Mehrwertsteuer in Höhe von 16 Prozent zu erheben, sondern einen verringerten Satz in Höhe von sieben Prozent, wäre das eine Entlastung der Kassen um weitere 1,1 Milliarden Euro. In der EU gibt es nur in Dänemark den vollen Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel.

Die Bereicherung des Staates an den Beiträgen der Versicherten ist kein gutes Argument, über zu hohe Kosten im Gesundheitswesen zu lamentieren. Erst wenn die Staats-Pharisäer das geändert haben, wird es möglich sein festzustellen, ob Beitragssatzsenkungen durch Leistungskürzungen machbar sind. Haltet den Dieb zu schreien und sich die Taschen mit den Beiträgen der Versicherten voll zu stopfen, ist Betrug.


 
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