© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/03 31. Januar 2003

 
Innere Widersprüche des Weltkapitals
Der Philosoph Robert Kurz sieht im "Weltordnungskrieg" einen Feldzug des globalen Kapitalismus unter Ägide der US-Amerikaner
Werner Olles

Es gab eine Zeit, in der sich Linke durch den analytischen Anspruch auf Präzision auszeichneten. Das ist lange vorbei, die postmoderne Linke redet heute die traurige Realität schön, anstatt sie mit scharfem Blick wahrzunehmen. Wer sich derart in seine eigene Wahrnehmungsresistenz verstrickt hat und zur Selbsttäuschung neigt wie unsere rot-grüne Regierungslinke, der ist von einer präzisen Krisendiagnose inzwischen meilenweit entfernt. Dabei ist das Hauptproblem dieser Linken nicht ihr progressiver Realitätsverlust, sondern vor allem die Lust an der kapitalistischen Zerstörung traditioneller Strukturen in den Bereichen des Staates, der Kultur, der Ökonomie und der Gesellschaft.

Zum Glück gibt es jedoch noch ein paar wenige Restbestände einer Linken, die sich mit der Modernisierungs- und Krisentheorie, der kritischen Analyse des kapitalistischen Weltsystems, der Kritik der Aufklärung und dem Verhältnis von Kultur und Ökonomie beschäftigt. Einer dieser Solitäre ist der Nürnberger Philosoph und Historiker Robert Kurz, der mit seinen Büchern "Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie", "Die Schmerzgrenze der Marktwirtschaft", "Schwarzbuch Kapitalismus" und "Feierabend - zwölf Attacken gegen die Arbeit" große Kontroversen auslöste. Kurz, Mitbegründer der marxistischen Theoriezeitschrift Krisis - Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, definiert seine Position gleichermaßen jenseits des traditionellen Arbeiterbeweguns-Marxismus und der "herrschenden krisenkapitalistischen Wirklichkeit". Das erscheint auf den ersten Blick irgendwie merkwürdig anachronistisch, steht jedoch in krassem Gegensatz zur pragmatischen Ideologie jener grün-sozialdemokratischen Funktionselite, die den "ganz und gar nicht modischen Standpunkt radikaler Distanz und Kritik" längst zugunsten der korrumpierten Teilhabe an der politischen und ökonomischen Macht aufgegeben hat.

Angesichts dieser neuen Begriffslosigkeit verzichtet der Autor auf sentimentale Formeln wie "Wiedergewinnung des Politischen", wenn er die dem Kapitalverhältnis immanenten Widersprüche von Staat und Markt bzw. von Politik und Ökonomie sowohl auf der Ebene der Nationalstaaten als auch auf der Ebene des Weltsystems auf den Punkt bringt. Weil die Vermittlung des Widerspruchs auf beiden Ebenen ins Schwimmen geraten ist, wachsen die transnationalen Kapitale und ihre Märkte zwar über das bisherige nationale und internationale Bezugssystem hinaus, zerstören aber gerade dadurch zunehmend ihre eigenen Rahmenbedingungen. So entstehen unkontrollierte und unkontrollierbare Verlaufsformen, in denen die unheilbaren Selbstwidersprüche des Weltkapitals kulminieren. Kurz dechiffriert diesen unter dem Rubrum der Globalisierung verkauften "weltumspannenden positiven und zukunftsmächtigen Wandel" als "Zersetzungsprozeß der herrschenden Produktions- und Lebensweise, die in einen schrumpfenden globalen Minderheitskapitalismus einerseits und in dessen Barbarisierungsprodukte andererseits zerfällt".

In den modernen "Weltordnungskriegen" auf dem Balkan, in Afghanistan und im Nahen Osten wird indes der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft entschieden. Dabei bildet die Nato als "supranationale Verlängerung des ideellen Gesamtkapitalisten den politisch-militärischen Rahmen der Pax Americana und der in dieser Epoche beginnenden krisenhaften Globalisierung des Kapitals". Krisenpotentante wie Slobodan Milosevic und Saddam Hussein oder neuerdings die "fast schon mythische Figur eines Osama bin Laden" lassen erkennen, "daß die Begriffslosigkeit der sterbenden bürgerlichen Politik nach Bildern und Imaginationen sucht, um dem für sie Unbennnbaren eine Art Gesicht zu geben, in das man schlagen kann". Zwischen dieser zerbrechenden Welt der "fruchtlosen Weltordnungskriege" mit ihren Räuberbanden, Gotteskriegern und verborgenen Fürsten des Terrors, mit ihren Macheten-Massakern, Massenvergewaltigungen und riesigen Flüchtlingsströmen einerseits und den "marktwirtschaftlichen Strukturreformen", wie sie von den Beratern der Weltbank und den Schattenregierungen des IWF durchgesetzt werden andererseits, besteht, so Kurz, "ein ursächlicher Zusammenhang". In diesem Sinne unterscheiden sich die "sauberen" Flächenbombardements der US-Luftwaffe zur Durchsetzung der Neuen Weltordnung von den Untaten der pseudoreligiösen Taliban-Mafia, den barbarischen Selbstmordattentaten palästinensischer Freischärler und den polit-kriminellen Praktiken islamischer Terror-Netzwerke nur insoweit, als letztere die "selbstgezüchteten Dämonen" der letzten imperialen Großmacht darstellen.

Diesen Argumenten kann man sich zweifellos auch als kritischer Konservativer nicht verschließen. Unerfindlich bleibt jedoch, wieso Kurz die ins Auge springenden Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Warengesellschaft und massenhafter Einwanderung nicht in diesen Rahmen einordnen will. Hier erinnert seine Argumentation streckenweise genau an die larmoyanten Klischees und Propagandaformeln der professionellen Einwanderungslobby. Sein Vergleich der Berliner Mauer mit den halbherzigen Bemühungen der EU-Länder ein paar brüchige Dämme gegen diese Flut aufzubauen, ist dabei von jener gehässigen Art, die viele Linke immer noch gegenüber existentiellen und elemantaren nationalstaatlichen Fragen einnehmen.

Ein wenig verschwommen bleiben auch die Alternativen, die der Autor vorschlägt. Ob die israelischen Kibbuzim als "sozialökonomisches Paradigma" tatsächlich eine "neue Gesellschaftsform jenseits der warenproduzierenden Moderne" darstellen, ist in einer Welt der offenen Gesellschaften und zunehmenden Mobilität von Menschen und Ressourcen wohl eher fraglich. Sieht man jedoch von solchen Unzulänglichkeiten ab, stellt das Buch für alle an der Problematik der Neuen Weltordnung und der Globalisierung interessierten Leser eine wahre Fundgrube dar.

Robert Kurz: Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Horlemann Verlag, Bad Honnef 2003, 447 Seiten, gebunden, 19,30 Euro

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