© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/03 31. Januar 2003

 
Ein Kampf ums Überleben
Naturressourcen: Der zunehmende weltweite Wassermangel kann zum Kriegsgrund des 21. Jahrhunderts werden
Michael Waldherr

Wassermangel ist zu einem der zentralen Zukunftsprobleme der Menschheit geworden", heißt es in der Abschlußerklärung des Uno-Weltgipfels über nachhaltige Entwicklung, der im August 2002 in Johannesburg stattfand. Man mag es kaum glauben, denn die Gesamtoberfläche der Erde ist zu 71 Prozent mit Wasser bedeckt. Aber 97 Prozent dieser Wassermassen bestehen aus ungenießbarem Salzwasser, von den verbleibenden drei Prozent befinden sich lediglich 0,4 Prozent in Flüssen und Seen.

Heute lebt etwa die Hälfte der Menschheit in Ländern, die Flüsse und Seen mit ihren Nachbarn teilen müssen: 214 Fluß- und Seensysteme überschreiten eine oder mehrere Landesgrenzen, von denen wiederum 155 durch zwei, 36 durch drei Länder fließen - und 23 müssen gar bis zu einem Dutzend Anrainer versorgen. Wo Wassersysteme die politischen Grenzen überschreiten, können sich politische Konflikte um die Wassernutzung in besonders hohem Maße zuspitzen.

Über die gemeinsame Nutzung von Wasser bestehen derzeit mehr als 2000 Verträge. Nach Uno-Angaben werden momentan Konflikte um das Wasser von rund 300 Flüssen verhandelt. International gültige Konventionen zur Regelung von Wasserrechten bestehen nicht. Die Weltbevölkerung wächst zur Zeit jährlich um rund 78 Millionen Menschen. Nach Schätzungen der Uno wird die Weltbevölkerung im Jahr 2050 etwa neun Milliarden Menschen betragen - sie hätte sich damit in einem Zeitraum von 150 Jahren beinahe versechsfacht. 98 Prozent dieser Menschen wachsen in den Entwicklungsländern auf. Unter Wasserknappheit leiden heute schon über 40 Prozent der Weltbevölkerung. Rund zwei Milliarden Menschen - das sind 30 Prozent der Weltbevölkerung - haben gar keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Das hochgesteckte Ziel der Uno auf dem Weltgipfel in Johannesburg, jedem Menschen bis zum Jahre 2025 Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, erscheint angesichts des zu erwartenden Bevölkerungswachstums und der Tatsache, daß lediglich ein halbes Prozent des Wassers auf der Erde als Trinkwasser verwertbar ist, als idealistisch - um nicht zu sagen illusorisch.

Ein Beispiel: Im Nahen Osten nimmt neben dem Nil- und dem Euphrat-Tigris-Becken vor allem das Jordan-Becken als möglicher Konfliktherd eine besonders brisante Rolle ein. Verschiedene Studien prognostizieren in dieser Region eine Wasserverknappung. Folge: Die Auseinandersetzungen um Öl werden zusätzlich verschärft durch eine sich zuspitzende Wasserkrise, die zahlreiche kriegerische Konflikte nach sich zieht.

Die Lage im Nahen Osten ist explosiv: Die Gründe liegen nicht nur im Kampf zwischen jüdischen Israelis und überwiegend muslimischen Palästinensern und Arabern, sondern auch in ungelösten Wasser-Konflikten, die bereits zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt haben. Die Sorge um den gesicherten Zugang zu Wasser zieht sich wie ein roter Faden durch die krisenreiche Geschichte des Staates Israel und seiner Nachbarn. Streitigkeiten um die Kontrolle des immer wichtiger werdenden Rohstoffs haben einen dauerhaften Frieden in der Region fast unmöglich gemacht.

Die Zahlen sprechen für sich: Die israelische Bevölkerung verbraucht heute pro Kopf rund 250 Liter Wasser täglich. Jährlich sind das etwa zwei Milliarden Kubikmeter. Große Mengen davon stammen aus dem Gaza-Streifen und der Westbank. Der Wasserverbrauch zwischen Israel, Jordanien und dem Westjordanland steht in einem Verhältnis von 5:3:1. Von den rund 650 Millionen Kubikmetern erneuerbaren Grundwassers der Westbank, die jährlich genutzt werden, verbraucht Israel 80 Prozent und verkauft es zum Teil wieder an die Palästinenser - zu Preisen, die weit über dem liegen, was jüdische Siedler zahlen müssen. Darüber hinaus verbrauchen die jüdischen Siedler pro Tag und Kopf durchschnittlich 350 Liter Wasser, während den Palästinensern in manchen Orten nur ein Zehntel davon bleibt.

Die Palästinenser sprechen nicht nur von "Wucher", wenn sie ihr "eigenes" Wasser zu überhöhten Preisen von den israelischen "Besatzern" abkaufen müssen, sondern voller Zorn auch davon, daß man ihnen im wahrsten Sinne des Wortes "das Wasser abgräbt" und sie auf diese Weise ihrer Lebensgrundlage beraubt. Doch solche Stimmen finden im Westen kaum Gehör.

Besonders schwierig ist die Situation im Gaza-Streifen, in dem heute knapp 900.000 Palästinenser auf engstem Raum ein kümmerliches Dasein fristen. Weitere 1,2 Millionen leben im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Jede weitere jüdische Siedlung auf der Westbank würde das Wasserproblem noch verschärfen. Einzige ergiebige Wasserquelle ist ein Grundwasserreservoir, das aus Regenwasser und Zuflüssen aus der Negev-Wüste und dem östlichen Israel gespeist wird. Aber durch übermäßige Nutzung entgegen dem Gebot der Nachhaltigkeit ist der Grundwasserspiegel gesunken und das Wasser versalzt.

Der Jarmuk, ein Nebenfluß des Jordans, fließt ungefähr 40 Kilometer zwischen Jordanien und Syrien, bevor er zehn Kilometer unterhalb des Sees Tiberias in den Jordan mündet. Er stellt zugleich die natürliche Grenze zwischen den beiden arabischen Staaten dar. Syrien und Jordanien sind die Hauptwasserabnehmer des Jarmuk. Das Königreich Jordanien zweigt viel Wasser über seinen nach König Abdullah benannten Hauptbewässerungskanal ab. Die starke Wasserentnahme durch Israel und Jordanien übersteigt in absehbarer Zeit die erneuerbaren Wasserreserven. Betroffen sind die regionalen Grundwasservorkommen, die in erheblichem Ausmaß von Israel, Palästina und Jordanien abgeschöpft werden und heute bereits zwei Drittel des bereit gestellten Wassers ausmachen.

Seit längerer Zeit bereits denken Israel und Jordanien an den Bau eines Kanals zwischen dem Roten und dem Toten Meer. Dem zwei Millionen Jahre alten Toten Meer, Lebensraum und natürliche Grenze zwischen Jordanien und Israel, droht bis zum Jahr 2050 eine "hausgemachte" Austrocknung. Das Wasser des Jordan-Stroms, der im Norden ins Tote Meer fließt, wird vornehmlich von Israel abgepumpt. Um einer weiteren Wasserspiegelabsenkung des Toten Meeres entgegenzuwirken, beschlossen Israel und Jordanien auf dem Uno-Gipfel in Johannesburg den Bau eines 800 Millionen Dollar teuren und rund 320 Kilometer langen Kanals, der rund 1,8 Milliarden Kubikmeter Wasser vom Roten Meer ins Tote Meer befördern soll. Der Strom, der durch den Höhenunterschied der beiden Meere von 400 Metern erzeugt werden könnte, soll nach Schätzungen ausreichen, um jährlich bis zu 800 Millionen Kubikmeter Meerwasser zu entsalzen und damit die Arava-Senke in eine fruchtbare Oase zu verwandeln.

Wasser ist gerade im trocken- heißen Nahen Osten eben nicht nur lebenswichtig, sondern auch besonders knapp. Als der Libanon bekanntgab, er wolle dem Fluß Wazzani dringend benötigtes Wasser entnehmen, drohte Israel prompt und überdeutlich: "Das bedeutet Krieg!" So eine Antwort treibt dürstenden Arabern das Wasser in die Augen. Und ganz nebenbei gehen den USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus die Feinde nicht aus.


 
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