© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/03 24. Januar 2003

 
DDR-Forschung vor und nach der deutschen Einheit
Hermann Weber resümiert die deutsch-deutschen Anstrengungen zur Geschichte der SED-Diktatur und beklagt die "Asymmetrie" des Aktenzugangs
Matthias Bäkermann

Am 7. Oktober 2002, einem Tag, an dem die DDR mit einem geduldigeren Staatsvolk ihr 53. Gründungsjubiläum hätte feiern können, verlieh die Philosophische Fakultät der Universität Rostock Hermann Weber die Ehrendoktorwürde. Sie würdigte damit den Mannheimer Ordinarius für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte, der sein Lebenswerk der Erforschung des kommunistischen Totalitarismus gewidmet hat. Weber nahm die Gelegenheit war, um auf der akademischen Festveranstaltung einen Rückblick auf die "Historische DDR-Forschung vor und nach der deutschen Einheit" zu geben, die jetzt im Deutschland-Archiv (Heft 6/02) veröffentlicht wurde.

Die Forschung in der DDR war seit 1949 durch zwei Faktoren nahezu unverrückbar fixiert: die autoritäre Festlegung des Geschichtsbildes durch die Partei, die jeden Pluralismus der Methoden und Deutungen von vornherein ausschloß, sowie der politische Auftrag, dem Regime die historische Legitimationsgrundlage zu liefern. Die Historiker in der DDR folgten der 1981 noch einmal von Erich Honecker bekräftigten Parole zur "Vervollkommnung des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes, vor allem zur Geschichte der DDR" beizutragen. In diesem Sinne seien die historischen Fakten bedenkenlos instrumentalisiert worden. Je nach gerade herrschendem Parteikurs wurde die Geschichte "umgeschrieben". Weber selbst konnte pars pro toto nachweisen, wie allein in einer zwischen 1961 und 1988 in fünf Auflagen veröffentlichten Broschüre die Anwesenheitsliste der KPD-Führung jedesmal verändert wurde: "Biographien von Teilnehmern 'verschwanden', und neue tauchten auf."

Daß unter solchen Kautelen, einer lückenlosen Politisierung, die "Geschichte zur rückprojizierten Gegenwart degradierte" habe, die meisten Doktordiplome, die an DDR-Zeithistoriker ausgegeben wurden, kaum das Papier wert waren, bedarf keiner Erwähnung. Weber vergißt jedoch, darauf hinzuweisen, daß ein immer noch beachtlicher Teil solcher akademischen "Kader", soweit er nach 1975 promoviert wurde, heute weiter in einflußreichen Positionen mitteldeutscher Hochschulen sitzt und "alte Seilschaften" noch funktionieren.

Ähnlich rücksichtsvoll gibt sich Weber gegenüber den westdeutschen Kollegen. Die Bonner DDR-Forschung litt bis zuletzt unter "Quellenmangel" und der geringen Attraktivität des Themas. Nach dem Mauerbau sei das Interesse zudem weiter gesunken. Gegen den etwa vom früh verstorbenen Jens Hacker formulierten Vorwurf, die DDR-Forschung im Westen habe das SED-System im Schatten der sich in den sechziger Jahren anbahnenden "Entspannung" "verharmlost oder gar geschönt", nimmt Weber seine Kollegen jedoch in Schutz: zumindest "in dieser generalisierenden Form" sei er "falsch". Trotz schmaler Quellenbasis sei es der Forschung gelungen, die Geschichte der DDR in den wesentlichen Grundlinien zu beschreiben. "Ohne Zugang zu den DDR-Archivalien sind über die DDR bis 1989 im Westen wichtige Analysen publiziert worden. Ein großer Mangel blieb freilich, daß sich zu wenige Zeithistoriker des Themas annahmen."

Dies änderte sich nach 1989 schlagartig. Seit 1990 sind nicht weniger als 1.000 Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte registriert worden. Und auch zwölf Jahre nach der Vereinigung halte das Interesse an: "Gegenwärtig dürften sich 500 Forscherinnen und Forscher mit den unterschiedlichsten Problemen der SED-Diktatur beschäftigen. Bemerkenswerterweise verteilen sich die laufenden Vorhaben zu jeweileinem Drittel auf die alten und die neuen Bundesländer sowie auf Berlin." Mittlerweile sei sogar die paradoxe Situation eingetreten, daß es mehr Projekte zur DDR-Geschichte gebe als zur Entwicklung der alten Bonner Republik.

Voraussetzung der Forschungskonjunktur war natürlich die Öffnung der Archive. Jetzt bestehe für Wissenschaftler die einmalige Chance, die erhaltene schriftliche Überlieferung des SED-Regimes vom Beginn bis zum Zusammenbruch einzusehen und dabei nicht von der 30jährigen Sperrfrist behindert zu werden. Allerdings weist Weber kritisch auf eine "Asymmetrie" des Aktenzugangs hin: die Sperrfrist gelte nämlich weiter für West-Akten. Eine zentrale Forderung der DDR-Forscher bleibe daher, der Wissenschaft die Einsicht in die archivierten Überlieferungen der alten Bundesrepublik für die Zeit bis 1989/90 zu gewähren. 


 
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