© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/03 10. Januar 2003


Die Geburt eines Imperiums
Mit einem Krieg gegen den Irak markieren die USA ihr Weltmachtstreben
Günter Zehm

Soviel politische Einigkeit wie jetzt bei den Stellungnahmen gegen den von den USA geplanten Krieg gegen den Irak hat es noch nie gegeben. Niemand außerhalb Amerikas und Englands will diesen Krieg, weder der Papst noch irgendein evangelischer Bischof oder orthodoxer Metropolit, weder die christliche noch die muslimische noch die buddhistische Welt, weder die EU noch die UN noch Rußland oder China oder Iran. Keine einzige internationale Organisation macht sich für diesen Krieg stark.

In Deutschland geht die Ablehnungsfront quer durch alle Parteien und Gruppierungen, eint Radikale und Gemäßigte, Pazifisten und Bellizisten. Sie reicht von Franz Schönhuber bis Heribert Prantl, von Horst Mahler bis Jürgen Trittin, von Kardinal Lehmann bis General Schönbohm. Und das, was man offiziell zu hören bekommt, ist nur ein schwaches Echo dessen, was überall im Lande "in der Sauna", "unter vier Augen" wirklich gesprochen wird. Die Kriegsvorbereitungen der USA und die Kriegsrhetorik der Regierung Bush lösen Empörung, ja Abscheu und Verachtung aus, darüber darf man sich keine Illusionen mehr machen.

Die frisch gewählte deutsche Bundesregierung, die Anfang Februar routinemäßig den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernimmt, steht dort am Rubikon. Das von Kanzler Schröder in der Schlußphase des Wahlkampfes mit großer Emphase abgegebene Versprechen, sich aus dem Krieg herauszuhalten, muß ohne Wenn und Aber eingelöst werden, das erwarten nicht nur sämtliche Wähler und Nichtwähler, das gebietet auch die Verfassung. Kein Verfahrenstrick, kein verbales Herumgeeiere kann darüber hinwegtäuschen, daß Deutschland von Verfassung wegen daran gehindert ist, einen Angriffskrieg zu führen oder sich an einem solchen zu beteiligen. Seine Bündnisverpflichtungen werden durch dieses Verfassungsgebot eindeutig begrenzt.

Daß der Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak ein Angriffskrieg sein wird, auch darüber besteht nicht der geringste Zweifel. Er ist, genau betrachtet, nicht einmal ein Präventivschlag, denn der Irak bedroht die potentiellen Invasoren, Amerika und England, nicht. Und wenn er ein Präventivschlag wäre, so bliebe immer noch zu fragen, was denn der Unterschied zwischen einer "einfachen Aggression" und einem Präventivschlag ist und ob es da überhaupt einen Unterschied gibt. Eines liegt bereits jetzt offen zutage: Die Art und Weise, wie die Regierung Bush neuerdings Präventivschläge definiert, ist selber eine Aggression. Das diesbezügliche Strategiepapier des Pentagon, das mittlerweile an die Öffentlichkeit gelangt ist, setzt das Völkerrecht schlichtweg außer Kraft und deformiert zudem die internationalen Umgangsformen und diplomatischen Sitten in bisher kaum für möglich gehaltener Weise.

Die Diskussion hat sich denn auch teilweise schon losgelöst von ihrem unmittelbaren Gegenstand, dem Feldzug gegen den Irak, dreht sich bevorzugt um die Art und Weise, wie Amerika generell mit dem Rest der Welt verfährt, um die "Allüren" des Pentagon und der Bush-Regierung, ihre Wurstigkeit beim Umgang mit Tatsachen und "Beweisen". Allgemein wird diese amerikanische Diplomatie im Vorfeld des von ihr angestrebten Krieges als grob und geradezu dummdreist empfunden. Das Befremden wächst.

"Ich fühle mich an alte sowjetische Zeiten erinnert", sagte ein hochangesehener Ex-Präsident eines ostmitteleuropäischen Landes. "Das kürzliche Strategie-Papier des Pentagon, wonach die USA das Recht für sich reklamieren, präventive Kriege gegen andere Staaten zu führen, um entweder Terrorzentralen auszuschalten oder das Aufkommen konkurrenzfähiger Machtpotentiale wo auch immer in der Welt schon im Keim zu ersticken, setzt das Völkerrecht vollständig außer Kraft. Es ist eine neue Breschnew-Doktrin."

Der Vergleich mit der Breschnew-Doktrin ist nicht übertrieben, sondern untertrieben. Das damalige Breschnew-Papier befleißigte sich bei aller Aggressivität doch einer defensiven Rhetorik. Lediglich "Bruderländer" sollten von der Sowjetunion mit Krieg überzogen werden dürfen, wenn dort der "Sozialismus" in Gefahr geriet. Das Pentagon-Papier dehnt dagegen den "Bruderstatus" auf die ganze Welt aus.

Jeder Staat, der nicht die Demokratie, so wie Washington sie versteht, praktiziert, wird zum potentiellen Invasionsobjekt. Und zu dieser Art von Demokratie gehört dann auch, daß der jeweilige Staat kein Machtpotential aufbaut, das in den Augen Washingtons "gefährlich" werden, also die US-Dominanz irgendwann einmal in Frage stellen könnte. Gröber und provozierender ist noch keine global-imperialistische Doktrin formuliert worden.

Der bevorstehende Irak-Krieg wird so zur Probe aufs Exempel. Es geht nicht nur um die Erlangung der Kontrolle über die nahöstlichen und mittelasiatischen Ölfelder, es geht nicht nur um die politisch-wirtschaftliche Neuordnung der arabisch-muslimischen Welt im Sinne der USA und des westlichen Finanzkapitals, es geht auch und in erster Linie um eine Machtdemonstration für die Augen aller, um das erstmalige Vorzeigen globaler Folterinstrumente. "Seht her", so soll gezeigt werden, "so wird es in Zukunft jedem Land ergehen, das sich im Sinne der Pentagon-Doktrin verdächtig macht."

Das Unternehmen ist freilich voller Risiken und letzten Endes zum Scheitern verurteilt. Der internationale Terrorismus wird dadurch nicht eingedämmt, sondern nach Meinung aller seriösen Beobachter erst richtig angefacht. Die Welt wird unsicherer, und sie wird es sich selbstverständlich auf Dauer nicht gefallen lassen, unter die Kuratel eines einzigen Staates, einer einzigen Nation gestellt zu werden. Das Zeitalter des Imperialismus (1789 bis 1989) ist vorbei, daran können auch die Allmachtsträume der Pentagon-Strategen nichts ändern.

Früher als von vielen erwartet kommt für Europa die Stunde der Wahrheit. Entweder es wird zum Wurmfortsatz der USA, der die Scherben der jeweiligen Kriege zusammenkehren muß ("we bomb, you clean up"), oder es findet zu eigener Identität, Einigkeit und Entschlossenheit. Ein Drittes ist nicht mehr möglich.

Alle Theorien über eine angebliche "Einheit des Westens", die unbedingt gewahrt werden müsse, auch um den Preis der eigenen, für immer festgeschriebenen Inferiorität und Wasserträgerei, sind inzwischen widerlegt. Es kann keine sich auf alle Gebiete des Lebens erstreckende Einheit des Westens geben, weil es keinen Westen gibt. Was es gibt, sind zwei miteinander verwandte, aber dennoch nach Interessen und Traditionen unterschiedene Kulturkreise, die USA auf der einen Seite und Europa auf der anderen. Zwischen ihnen geht es nicht um Phrasen, sondern um Interessenausgleich.


 
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