© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/03 03. Januar 2003

 
Einfallstor bleibt erstmal zu
Zuwanderung: Rot-Grün startet mit einer Niederlage in Karlsruhe in das neue Jahr
Paul Rosen

Auf dem Weg in eine andere Republik hat Rot-Grün eine empfindliche Schlappe erlitten. Das Zuwanderungsgesetz, besonders nach Vorstellung der Grünen ein "Jahrhundertprojekt", ist von den Karlsruher Bundesverfassungsrichtern verworfen worden (siehe nebenstehenden Kasten). Auch wenn das Urteil nur aus rein formalen Gründen erging, wirft die Angelegenheit ein Schlaglicht auf die Einstellung großer Teile von SPD und Grünen zum Grundgesetz: Wenn es um die eigenen, natürlich hehren Ziele geht, wird die Verfassung auch mal gebogen und strapaziert.

Der Vorgang, um den es in der Gerichtsverhandlung ging, war einmalig, und er ist auch in nächster Zeit nicht wiederholbar. Am 22. März 2002 stand das Zuwanderungsgesetz im Bundesrat zur Abstimmung an, nachdem die rot-grüne Mehrheit das Gesetz zuvor im Bundestag durchgewunken hatte. Um auch die Mehrheit in der Länderkammer zu erhalten, war die Koalition auf die Stimmen des von einer Großen Koalition regierten Landes Brandenburg angewiesen. Während der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) ja sagte, sprach sich sein Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) gegen das Gesetz aus. Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) nahm - möglicherweise auf vorherigen Druck der SPD-Zentrale - nur Stolpes Votum zur Kenntnis. Dabei hatten die Bundesrats-Juristen Wowereit vor der Abstimimung geraten, die Stimmen des Landes Brandenburg im Falle unterschiedlicher Äußerungen als ungültig zu bewerten. Daß diese Auffassung richtig war, bestätigten die Karlsruher Richter. Der Fall kann sich nicht nur allein wegen des Urteils nicht wiederholen. Im April übernahm die CDU in Sachsen-Anhalt die Regierung, die Unionsmehrheit in der Länderkammer ist seitdem stabil. Das brandenburgische Stimmverhalten ist nicht mehr ausschlaggebend.

Somit hat die Koalition ein Problem, auch wenn Innenminister Otto Schily tapfer ankündigte, den Gesetzentwurf im Januar unverzüglich und unverändert erneut in den Bundestag einzubringen. Dort wird das Gesetz wieder eine Mehrheit finden, aber spätestens in der Länderkammer dürfte Rot-Grün auflaufen, wenn sich Schily nicht zu Kompromissen mit den Unionsländern bereit findet. Damit könnte er eine Koalitionskrise heraufbeschwören. Denn die Grünen halten an dem vom Verfassungsgericht verworfenen Regelwerk fest.

Die Absicht ist völlig klar: Für die Grünen ist das Gesetz, obwohl es formal von Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung spricht, das Einfallstor zur anderen, nämlich der multikulturellen Republik. Nach Ansicht der meisten Fachleute wäre es bei einem Inkrafttreten tatsächlich leichter geworden, in die Bundesrepublik einzureisen und sich hier dauerhaft niederzulassen. Diese Vermutung stützt sich auf zahlreiche Detailregelungen: So ist in dem rot-grünen Gesetz die Aufhebung des Anwerbestopps für Ausländer vorgesehen. Das würde zu einem verstärkten Einwanderungsdruck führen. Auch die neuen Ausnahmebestimmungen beim Nachzug von Farnilienangehörigen von Ausländern hätten zu einer höheren Zuwanderung geführt. Außerdem mißfielen der Union die Erweiterung der Rechte von Flüchtlingen (so sollten Flüchtlinge aus humanitären Gründen oder aufgrund von geschlechtsspezifischer Verfolgung aufgenommen werden können) und die vorgesehenen großzügigeren Aufenthaltsgenehmigungen.

Auch die Maßnahmen, die den Arbeitsmarkt betreffen, werden von Regierung und Union unterschiedlich beurteilt. Schily hatte vorgesehen, daß die Arbeitsämter der Anwerbung von Ausländern zustimmen dürfen, wenn sich keine "nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben". Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland vertritt die Union dagegen die Auffassung, daß deutschen Arbeitslosen eher ein weiterer Weg zur Arbeitsstelle zumutbar ist, ehe man Ausländer ins Land holt.

Ob der Erfolg der Union in Karlsruhe wirklich ein "wichtiger Tag für die Bewahrung der Identität Deutschlands" ist, wie Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber euphorisch meinte, bleibt abzuwarten. Es darf nicht vergessen werden, daß Teile der CDU den rot-grünen Vorstellungen näher sind als es die klare bayerische Haltung vermuten läßt. So hätte der Chef der Zuwanderungskommission der CDU, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, gerne zu einem frühen Zeitpunkt einen Kompromiß mit Rot-Grün geschlossen. Die Debatte beginnt jetzt von neuem. Nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Opposition.


 
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