© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/03 03. Januar 2003

 
Kolumne
Geschwätz
Hans-Helmuth Knütter

Deutschland steht vor der Revolution! Nein, wirklich? Jedenfalls weckt das Feuilleton großer Tageszeitungen diesen Eindruck. Ist es eine revolutionäre Stimmung oder nur Revolutionsgeschwätz? Nicht nur Barrikaden-Baring erntet für seinen Ruf "Bürger auf die Barrikaden !" Hohn und Spott. Auch andere haben deutschen Revolutionsschwätzern wenig zugetraut. Lenin höhnte, die Deutschen würden vor der Erstürmung eines Bahnhofes zunächst Bahnsteigkarten kaufen.

Der Anarchist Erich Mühsam verspottete die Sozialdemokraten als Pseudorevolutionäre: "War einmal ein Revoluzzer / im Zivilstand Lampenputzer,/ ging im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit." Als die Revolutionäre dann zum Zweck des Barrikadenbaues die Laternenpfähle ausrissen und den Lampenputzer arbeitslos machten, "schlich / er beiseit und weinte bitterlich. / Dann ist er zu Haus geblieben / und hat dort ein Buch geschrieben/, nämlich wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt."

Aber hat es nicht nach 1968 eine linke Kulturrevolution auch in Deutschland gegeben? Haben damals nicht Politiker, die heute gerne einen staatstragenden Eindruck machen möchten, Gewalttaten begangen? Gewiß. Damals gab es Aufrufe zur sozialistischen Revolution. Heraus kam ein krimineller Terrorismus. In der Bevölkerung aber gab es keine revolutionäre Stimmung. Das ist heute anders. Oder doch nicht? Handelt es sich nur um Geschwätz? Denn es gibt keine revolutionäre Tatbereitschaft. Sogar die Terroristen sind zu Kleinkriminellen geschrumpft und von einem Umsturz weltenweit entfernt. Jetzt wird auch klar, warum Putzgruppen- Joschka Fischer beim Halbbildungs-Bürgertum so beliebt ist. Er hat getan, wovon die Halbbildungs-Bürger nur träumen: Polizisten verprügelt, die Sau rausgelassen. Aber ein Hintertürchen zur bürgerlichen Welt blieb offen. Heute paradiert er in Frack und Claque. War ja alles nicht so ernst gemeint. Ein Revolutionär mit Pensionsberechtigung, Dienstwagen und hohem Gehalt. Schon Kurt Tucholsky kannte diesen Typ: "Uns imponieren mächtig die enormen / Zigarren, Autos und die Umgangsformen. / Man ist ja schließlich doch kein Bolschewist..."

Revolutionsgerede hierzulande - das ist Stuhlgang der Seele. Aller Ärger, aller Frust werden abreagiert - mit starken Worten. Denen da oben hat man's mal ordentlich gegeben. Subjektiv fühlt man sich erleichtert, objektiv ändert sich gar nichts. Nein, diese Feuilleton-Revolutionäre muß Rot-Grün nicht fürchten, jedenfalls noch nicht.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrte Politikwissenschaften an der Universität Bonn.


 
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