© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/03 03. Januar 2003


Die bittere Zukunft
Wege aus der Krise: Deutschland steht 2003 vor großen Herausforderungen
Paul Rosen

Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Dieser Satz des großen deutschen Dichters Heinrich Heine scheint aktueller denn je zu sein. Die Bundesrepublik an der Schwelle zum Jahre 2003 heißt: Über vier Millionen Arbeitslose, eine weiter abstürzende Wirtschaft, zerrüttete Staatsfinanzen, zusammenbrechende Sozialsysteme und - was langfristig am schlimmsten ist - eine zunehmende außenpolitische Destabilisierung.

Noch nie hat Volkes Stimme kurz nach einer Wahl einer Regierung ein so vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Es war einmalig, wie die rot-grüne Koalition mit Gerhard Schröder an der Spitze dem Volk vor der Wahl Sand in die Augen streute und die wirkliche Lage verheimlichte. Die Wahrheit kam im Oktober ans Licht und beschert den Wählern Steuer- und Abgabenerhöhungen in einem ungeheuren Ausmaß.

Die außenpolitische Situation ist jedoch, auch wenn sie den Wähler nicht unmittelbar betrifft, am schwerwiegendsten. Schröder hat im Wahlkampf den schwersten Fehler überhaupt gemacht, indem er indirekt die Bindung an die USA in Frage stellte. Klugen geopolitisch denkenden Köpfen, wie zum Beispiel Fürst Bismarck einer war, wäre das in einer Welt wie der heutigen, die nur noch eine Weltmacht kennt, nicht passiert. Schröder, der den "deutschen Weg" erfand, landete in einer Sackgasse.

Die Folgen für die Bundesrepublik sind fatal. Ein gutes Verhältnis dieser Regierung zur Bush-Administration ist mit einem Kanzler Schröder auf Jahre hinaus faktisch ausgeschlossen. Präsident George W. Bush verachtet Schröder. Die USA, die Westdeutschland über Jahrzehnte beschützten und 1990 den Widerstand Frankreichs und Großbritanniens gegen die Einheit wegräumten, fühlen sich bitter enttäuscht. Deutschland wird für das Verhalten seines Kanzlers einen hohen Preis bezahlen müssen. Bereits jetzt verstrickt sich Schröder, der jede Kriegsbeteiligung ablehnte, immer stärker in den sich ankündigenden Irak-Krieg: Die Spürpanzer in Kuwait und die Beteiligung an Awacs-Flügen sind erste Anzeichen. Am Schluß könnte eine deutsche Beteiligung an einer friedenssichernden Maßnahme im Irak nach Ende des Krieges stehen, nach Kabul stünden deutsche Truppen dann am Euphrat - eine aberwitzige Vorstellung.

Diese Erkenntnis wird sich im SPD-Vorstand noch durchsetzen. Schröder hat eine Schonfrist bis zum 2. Februar. Wenn die Sozialdemokraten die an diesem Tag stattfindenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen verlieren sollten, dürfte nicht nur aus den außenpolitischen Gründen der Kanzler ausgewechselt werden. In Berlin wird eine Theorie verbreitet, daß der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement eigens zu dem Zweck, Schröders Nachfolger zu werden, von Düsseldorf an die Spree beordert worden sei.

Dabei dürfte die rot-grüne Koalition zunächst - auch nach einem Wechsel des Kanzlers - stabil bleiben. Zu eindeutig sind die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, und zu groß ist das Interesse der Abgeordneten, ihr Mandat und ihre Ruhegehaltsansprüche nicht durch eine Neuwahl vorzeitig aufs Spiel zu setzen. Die Gerüchte über eine Große Koalition haben zur Zeit wenig Substanz. Das dafür vorgebrachte Argument einer Dominanz der Union im Bundesrat läßt sich entkräften: Auch Helmut Kohl hat jahrelang gegen eine Mehrheit in der Länderkammer komfortabel regiert.

Die SPD dürfte nach verlorenen Landtagswahlen (daß die Wahl in Bayern im Herbst 2003 von der SPD haushoch verloren wird, ist schon einkalkuliert) alle Verantwortung auf den dann zurücktretenden Schröder schieben, um sich damit reinzuwaschen. Dieses Verhalten, den Chef und damit die Lasten und Fehler der Vergangenheit in die Wüste zu schicken, hat gerade in sozialistischen Parteien Tradition. Zugute kommt der SPD die Stabilität des Koalitionspartners. An den seit 1998 mitregierenden Grünen scheint die deutsche Krise spurlos vorbeizugehen. Damit sind die Grünen als Ein-Generationen-Partei der 68er ohne nennenswerten Nachwuchs aber nicht endgültig stabilisiert.

Der eigentliche Schwur für das rot-grüne Projekt kommt noch: Mit Ansätzen zur Systemveränderung wie Angriffe auf die Familie, eine egalisierende Bildungspolitik, Zerstörung der Eigenheimkultur, Abschaffung der Wehrpflicht und dem Versuch, aus Deutschland eine multikulturelle GeseIlschaft zu schaffen, läßt sich zwar viel Unheil anrichten, aber nicht die Wirtschaft in Schwung bringen. Die Lage der Sozialsysteme bleibt hochgradig instabil. Die bisherigen Reformversuche von Rot-Grün reichen nicht aus. Und kein Politiker, auch kein bürgerlicher, traut sich, den Wählern die Wahrheit zu sagen, daß die heute eingezahlten Rentenbeiträge keine nennenswerten Rentenansprüche mehr begründen werden. Die demographische Entwicklung wurde ignoriert, umkehren läßt sie sich nicht mehr.

Von ausländischen Investoren wird Deutschland weitgehend gemieden. Technisch ist die deutsche Wirtschaft nur noch im Auto- und Schwermaschinenbau führend. Ein Land, dessen Ingenieure die Produkte ihres Schaffens wie den Transrapid nur noch in China, aber nicht in der Heimat fahren sehen, verspielt seine Zukunftschancen. Allenthalben schwindet der Leistungswillen, Selbstverwirklichung steht im Vordergrund. Bringt Rot-Grün nicht doch noch die Wirtschaft in Schwung, dürfte die sich anbahnende Kanzlerschaft Clement bei der nächsten Bundestagswahl auch wieder beendet sein.

Was der Regierung hilft, ist die Lage der Opposition. Die FDP ist in einem beklagenswerten Zustand, nicht allein wegen der Möllemann-Affäre, sondern auch wegen der mit dem Vorsitzenden Guido Westerwelle eingezogenen Orientierungslosigkeit. Niederlagen bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar dürften die Liberalen noch weiter lähmen.

Die Union ist auch nicht viel besser dran. Das derzeitige Hoch bei den Umfragen läßt sich vielleicht in einen Wahlsieg in Niedersachsen ummünzen. Das dürfte der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Angela Merkel aber nicht viel helfen. Schon sinnt der von ihr gestürzte Fraktionschef Friedrich Merz öffentlich auf Rache. Sollte in Hessen Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Wahl gewinnen, steht für Frau Merkel zudem ein bundespolitisch ernstzunehmender Rivale bereit. Die Folge dürfte ein lange währender und lähmender Machtkampf sein. Die Union erscheint völlig konturenlos. Der Patient Deutschland schleppt sich dahin. Und ein Arzt ist nicht in Sicht.

Bild: Caspar David Friedrich, "Der Wanderer über dem Nebelmeer"


 
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