© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Kostbare Düfte
Liturgie: Myrrhe und Weihrauch liefern den Schleier, in den ein Gebet gehüllt sein muß
Richard Stoltz

Myrrhe, Weihrauch und Gold bringen die heiligen drei Könige, die "Weisen aus dem Morgenland", laut Bibel dem neugeborenen Jesuskindlein dar. Nur die Sache mit dem Gold verstehen wir Heutigen noch. Aber Myrrhe und Weihrauch? Düfte, wohlriechende Öle? Wieso war so etwas gut, um dem Heiland zu huldigen? Und wieso rangieren Myrrhe und Weihrauch sogar noch vor Gold, das erst an dritter Stelle kommt?

Man kann sich eben kaum noch eine Vorstellung davon machen, in welch ungeheurem Ansehen Myrrhe und Weihrauch einstmals standen, Rinden-Extrakte aus seltenen afrikanischen bzw. südarabischen Bäumen, die extrem knapp waren und für die höchste Preise gezahlt wurden. Verräuchert man diese Extrakte oder verreibt sie auf der Haut, so riecht das zweifellos recht gut (ungefähr wie erzgebirgische Räucherkerzen), doch man begreift immer noch nicht, weshalb die Menschen so scharf darauf waren.

Gewiß, ein "balsamischer", der Gesundheit förderlicher Effekt ist dem Verräuchern von Weihrauch und Myrrhe nicht abzusprechen, auch die moderne Medizin bestätigt das. Doch die eigentliche Sensation lag in ihrem Gebrauch für den Gottesdienst. Myrrhe und Weihrauch wurden sowohl von Christen wie von Muslimen, sowohl von Buddhisten wie von japanischen Shintoisten begehrt, und selbst die heidnischen Schamanen in den Wüsten und Dschungeln am Rande der Zivilisation sehnten sich nach ihnen. Sie waren fester Bestandteil der Liturgie in faktisch sämtlichen Religionen.

Ohne Weihrauch und Myrrhe bleibt jedes Gebet wirkungslos, das war die allgemeine Überzeugung. Weihrauch und Myrrhe lieferten gewissermaßen das Kleid, den Schleier, in den ein Gebet gehüllt sein mußte, damit es unbeschadet den Adressaten erreichen konnte. Eine ernste Sache muß auch schön sein, zumindest gut riechen. Dieser Grundsatz sollte eigentlich heute noch gelten.


 
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