© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002

 
Kolumne
Feigheit
Klaus Motschmann

Anlaß für die folgenden Gedanken sind Probleme, die kürzlich bei der Herausgabe eines Sammelbandes konservativer Autoren aufgetreten sind.

Drei der ursprünglich etwa 20 Autoren zogen ihre bereits bearbeiteten Beiträge kurz vor der Fertigstellung - drucktechnisch: während des sogenannten Umbruchs - urplötzlich zurück und brachten damit Herausgeber, Verleger und Vertrieb in erhebliche Schwierigkeiten. Rechtlich zwingende Gründe für diese Entscheidung der drei Autoren lagen nicht vor oder wurden jedenfalls nicht genannt; vielmehr dies: daß sie es sich wegen ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Position nicht mehr leisten könnten, in diesem politisch-geistigen Umfeld zu erscheinen. Eine überzeugendere Bestätigung für die einschlägigen Beiträge dieses Sammelbandes läßt sich kaum denken.

Daß es sich bei dieser Art von "Umbruch" - oder genauer: Umfall - nicht um eine Einzelfall handelt, bestätigen ungezählte entsprechende Begebenheiten aus dem Alltag konservativer Geister.

Da wird ein bekannter Konservativer von seinem Duzfreund anläßlich einer zufälligen Begegnung bei einer Veranstaltung gebeten, sich gegenseitig mit "Sie" anzureden, um keinen Hinweis auf die enge persönliche Verbundenheit zu geben.

Da bittet ein Kollege auf der gemeinsamen Autofahrt ausdrücklich und mit einer ähnlichen Begründung einige hundert Meter vor der Tagungsstätte aussteigen zu dürfen, mit der pfiffig gemeinten Bemerkung: "Sie wissen doch: Getrennt marschieren, vereint schlagen."

Wie entlarvend, daß sich ausgerechnet oftmals hinter solch markigen Sprüchen eine namenlose Zivilfeigeheit offenbart. Und auch so mancher bürgerliche Verbal-Revoluzzer erweist sich schneller als man denkt als bürgerlicher Weichspüler ohne Rückgrat. Nun wird niemand bestreiten wollen, daß es tatsächlich Situationen gibt, in denen eine Beachtung der strengen Quarantäneregeln im Umgang mit den Konservativen aus persönlichen oder taktischen Gründen nicht nur erlaubt, sondern dringend geboten ist.

Allerdings sollte die vielzitierte bürgerliche Mitte zur Vermeidung naheliegender Mißverständnisse allmählich deutlicher "Gesicht" zeigen und die allenthalben geforderte "Toleranz und Zivilcourage" erkennen lassen - nicht wegen vermeintlich wehleidiger Konservativer, sondern im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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