© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/02 20. Dezember 2002 / 01/03 27. Dezember 2002


Weihnachten
Prügelei um einen Parkplatz
Dieter Stein

Ist bei Ihnen Zuhause auch schon die fiebrige vorweihnachtliche Stimmung ausgebrochen? Am schwarzen Brett in der Küche hängen mehrere lange Einkaufslisten, die Kinder haben zur Sicherheit zehn Wünsche zur Auswahl notiert mit Geschenken zwischen 20 und 400 Euro, der Weihnachtsbaum fehlt noch, die Modelleisenbahn müßte vom Boden geholt werden ... Da setzt auch noch starker Schneefall ein und Sie haben vergessen, die Winterreifen an Ihrem Auto montieren zu lassen.

Es ist Freitagabend und Ihr Reifenhändler hat das Geschäft geschlossen - bis zum 27. Dezember! Sie verschieben die Einkäufe auf den Samstag und lassen sich mit geschlossenen Augen die zu erwartenden Szenen durch den Kopf gehen, wenn Sie sich morgen gegen 15.45 Uhr, kurz vor Geschäftsschluß am örtlichen Supermarkt (der einzige, Sie leben auf dem Land) um den letzten Parkplatz beinahe mit einem Mann prügeln, der sich dann als ihr Chef herausstellt. Natürlich lassen Sie ihm den Vortritt, fahren zehn Minuten hektisch mit dem Auto im Kreis herum, bekommen mit letzter Not einen Platz und stürzen mit hochrotem Gesicht in das Geschäft. Die Angestellten sind gerade dabei (zwei Minuten vor Geschäftsschluß!) den Eingang zu verrammeln, sie überwinden Sie mit letzter Kraft und stürzen an die Schlange an der Wursttheke, die sich bereits mäandernd über mehrere Meter erstreckt. Als Sie dran sind, können Sie noch zwischen Lioner und Pfeffersalami wählen. Die letzte Ente ging schon vor Stunden über den Tresen.

Ist es nicht so? Ist Weihnachten nicht ein Mahlstrom aus Kaufrausch und Hektik, Auslöser für Familientragödien und Ehekrisen? Bereits im September gibt es Schokoladen-Weihnachtsmänner, Mitte Dezember werden Dominosteine und Marzipankartoffeln an der Kasse zum Schleuderpreis verramscht, um für die Osterhasen Platz zu machen ...

Laut einer Zeitungsnachricht, die ich heute morgen las, wissen 40 Prozent der Sechs- bis Zwölfjährigen in Deutschland nicht, weshalb wir Weihnachten überhaupt feiern. Ein Meinungsforschungsinstitut mit dem klingenden Namen "Iconkids & Youth" will 700 Kinder dieser Altersgruppe danach befragt haben. Nur 61 Prozent sei noch bekannt, daß Weihnachten wegen der Geburt von Gottes Sohn gefeiert wird. Der Rest, so die Studie, glaubt, daß wir feiern, "weil Winter ist". Ein Kind habe sich das Fest so erklärt: "Da ist der Weihnachtsmann gestorben." Andere vermuteten, "weil Ferien sind und Oma kommt". Immerhin seien gut 30 Prozent genervt, "daß schon Monate vor Weihnachten alles nach Weihnachten aussieht".

Vielleicht ist Weihnachten auch manchem unbequem, weil an diesem Fest, trotz allem Lärm, der eigentliche Anlaß immer wieder unwillkürlich nach vorne drängt, wenn an den Feiertagen einmal Stille einkehrt: Wo stehen wir? Welche Bilanz ziehen wir von diesem Jahr? Unter welchem Stern verläuft mein Leben? Was kommt danach? Was bedeutet mir meine Familie? Was bedeutet mir Gott? Denken wir darüber nach.

 

Liebe Leser,

wie alle Jahre erscheint zu Weihnachten eine Doppelnummer. Sie halten deshalb die Ausgabe 52/02-1/03 in den Händen. Am 27. Dezember erscheint keine Zeitung. Die nächste JUNGE FREIHEIT ist die Ausgabe 2/03 und erscheint am 3. Januar 2003. Redaktion und Verlag wünschen allen Lesern besinnliche Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Dieter Stein


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen