© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Neue Technologien: Künstliches Leben
Wind, Wellen und die schöpferische Pause
Angelika Willig

Noch immer beruht der Ruhm von Craig Venter zum Teil auf einem Mißverständnis. Der Molekularbiologe und Geschäftsmann hat den genetischen Code des Menschen vollständig durchbuchstabiert, aber nicht gelesen und verstanden, und sein Unternehmen Celera Genomics hat nicht als einziges diese Mammutaufgabe geleistet, aber schneller und weitaus billiger als die Kollegen von der Universität. Kaum war der "Knaller" von den drei Milliarden Basenpaaren ein bißchen verraucht, und es zeichnete sich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte eine zähe Fleißarbeit ab, deren Früchte nur häppchenweise fallen würden, da seilte sich Venter zum Atlantik ab und durchkreuzte gedankenschwer mit seiner Jacht das stürmische Meer, bis ihm die Idee kam, wie man die Welt aufs Neue und bereits mittelfristig in Erstaunen versetzen könnte. Sollten die anderen sich ruhig mühen und Krankheiten wie Mukoviszidose oder Chorea Huntington im Genom orten. Selbst mit dem Nachweis, daß Eigenschaften wie Trägheit oder Musikalität ihren Ursprung in einer bestimmten Zusammenstellung von Basensequenzen haben, wäre keine Revolution ausgelöst. Die Wechselwirkung solcher charakterbildenden Gene wird sich als ungeheuer kompliziert erweisen, wir werden immer bessere Computer brauchen, doch die Tatsache, daß der Mensch eine bloße Rechenaufgabe ist, steht ja heute bereits fest. Jedenfalls für Leute wie Venter.

Er hat sich jetzt mit bisher bloß zehn Mitarbeitern in Rockville nahe Washington niedergelassen. 30 Millionen Dollar sind vorerst für das neue Projekt vorgesehen - größtenteils aus seinem eigenen Vermögen. Was will Venter diesmal? Bakterien entwickeln, sagt er, die CO2 aus der Atmosphäre filtern und binden - das Wundermittel gegen die Klimakatastrophe. Oder ein Bakterium, das Wasserstoff herstellt und dadurch zum sauberen billigen Energielieferanten wird. Dazu nimmt er das höchst einfach gebaute Bakterium Mycoplasma genitalium (da es im Genitalbereich vorkommt) mit nur einem Chromosom und 517 Genen. Dieser Einzeller wird seines Kerninhalts beraubt und mit neuer DNA gefüllt. Aber ganz im Unterschied zum Klonen stammt die eingefüllte DNA nicht von einem anderen Lebewesen, sondern ist vom Wissenschaftler erfunden - es gibt diese Sequenz in der Natur nirgendwo, sie ist nach bestimmten Anforderungen am Computer entworfen und synthetisch hergestellt, wie schon viele chemische Substanzen. Der dramatische Unterschied jedoch: hier handelt es sich um Leben. Beim probaten Mittel zur Energiegewinnung wird es dem Laien nicht weiter auffallen, daß es sich nicht mehr um eine Chemikalie handelt, sondern um ein primitives Tier. Wenn es aber möglich wird, "DNA zu schreiben", verschwindet der Unterschied zwischen Natur und Technik. Hier ist die Vokabel vom "Gott spielen" angebracht. Großartig, nur vorm Verlieren sollten wir uns hüten.


 
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