© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
Zukunftsvorsorge in eigener Sache
Buchhalter rot-grüner Tagträume: Wilhelm Heitmeyer fordert eine "Demokratisierungsdebatte"
Doris Neujahr

Die Fragen, die Professor Wilhelm Heitmeyer, Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, aufwirft, sind vom Ansatz her interessant und wichtig. Eines seiner neueren Bücher heißt: "Bedrohte Stadtgesellschaft - Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konflikte". In der Presse, vor allem von der Zeit, werden seine Überlegungen mit viel Aufmerksamkeit und Sympathie bedacht. Auch für Politiker ist er ein beliebter Stichwortgeber.

Anfang November stellte Heitmeyer eine von dem Autokonzern VW finanzierte Studie "Deutsche Zustände" vor, für die er rund 2.700 Bürger befragt hatte. Von diesen meinten 55 Prozent, es gäbe zuviele Ausländer in Deutschland. Vor allem unter gebildeten Leuten machte er eine "Islamphobie" aus. Für Heitmeyer manifestiert sich darin ein "Syndrom feindseliger Mentalitäten". Sogar von "Menschenfeindlichkeit" war die Rede. Den wissenschaftlichen Beweis dafür bleibt er schuldig.

Der 57jährige Heitmeyer verfügt über genügend politischen Rückhalt und - seinen journalistischen Freunden sei Dank - öffentliche Definitionsmacht, um solche unbewiesenen, gleichwohl schwerwiegenden Thesen in den Raum stellen zu können, ohne irgendeinen Regreß befürchten zu müssen. Bei der Vorstellung der Studie saß Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) neben ihm. Thierse nannte sie "aufschreckend" und ein "Dokument der Selbstaufklärung der deutschen Gesellschaft". Kurz darauf meldete Heitmeyer sich erneut zu Wort mit der Forderung, eine zentrale "Beobachtungsstelle für rechtsextreme Gewalttaten" zu installieren, weil die Politik die Wahrheit über deren Verbreitung "mit allen Tricks" unterdrücke. Zwar räumte er ein, daß die "rechtsextreme Bewegung zur Zeit schlapp ist", das aber liege nur daran, daß sie in "Wellenbewegungen" auftrete.

Heitmeyers Thesen und Appelle sind im Ergebnis wirr, doch wenigstens haben sie Methode. Sie sind ein theoretisches Komprimat rot-grüner Gesellschaftspolitik. In Deutschland sieht er zur Zeit eine "Ideologie der Ungleichwertigkeit" am Werke, durch die "die eigene Gruppe, die deutsche Nation, mit rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Argumenten höher bewertet" werde als andere. Erforderlich sei eine "Demokratisierungsdebatte", die das Prinzip der "Gleichwertigkeit und Unversehrtheit" wieder durchsetzen solle.

Die Bedeutung des Begriffs "Gleichwertigkeit" erschließt sich aus Heitmeyers Ablehnung des "Toleranz"-Begriffs. Toleranz sei "kein essentieller Bestandteil von Demokratie", sondern "perfide", weil sie das Übergewicht einer Mehrheit über die Minderheit(en) impliziere. Nötig sei eine "Anerkennung", die auf "Wechselseitigkeit" basiere und "rechtliche Gleichheit und moralische Gleichwertigkeit" voraussetze.

Das bedeutet im Klartext, daß die Deutschen in Deutschland nicht mehr Recht besitzen sollen, über die kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen des eigenen Landes zu befinden, als beliebige Neuankömmlinge, ob sie sich nun gebeten oder ungebeten Zutritt verschaffen. Denn Heitmeyer lehnt auch das Prinzip der Green Card ab, weil diese sich nur an Einwanderer wende, die die deutsche Gesellschaft für sich als "nützlich" definiere, während sie die möglicherweise weniger nützlichen außen vor lasse. Das aber ist - logisch - eine Verletzung der "Gleichwertigkeit". Den Begriff "Zuwanderungskommission" möchte er entsprechend durch "Integrationskommission" ersetzt wissen, weil "Zuwanderung" im Ermessen der Ankunftsgesellschaft liegt - also "Ungleichwertigkeit" bedeute, während sich in der "Integration" Mehrheit und Minderheiten auf gleicher Ebene begegnen.

Auch Heitmeyer stellt sich die Frage, "was heute noch eine Gesellschaft zusammenhält. Früher war das tatsächlich die Wertehegemonität oder die Nation. Diese oft zwanghafte Wertehegemonität existiert Gott sei Dank nicht mehr ..." Eingesessene Bürger, die sich in ihrer Wohngegend nicht mehr zu Hause fühlen, weil Zugewanderte aus anderen Kulturkreisen sich abschotten oder sie mit ihren Gebräuchen penetrieren, die über "Desintegration" klagen, haben den Heitmeyerschen Integrationsbegriff also völlig falsch verstanden und sitzen einer rassistischen Höherwertigkeitsideologie auf. Denn die Sitten und Gebräuche der Zugewanderten sind den ihren "gleichwertig". Ihr eigenes Recht besteht lediglich darin, die neuentstandene Situation "anzuerkennen" und in ihr sich "gleichwertig" zu integrieren. Andernfalls machen sie sich "feindseliger Mentalitäten" schuldig. Doch für diese Fälle soll es ja bald eine "Erfassungsstelle" geben. Ist das nun weniger zwanghaft?

Einen flotten Titel dafür hat Heitmeyer jedenfalls schon gefunden: "Politik der Anerkennung". Er ist eben nicht nur ein unbelehrbarer 68er-Ideologe, der sich Abschaffungsphantasien über das eigene Land hingibt, sondern auch ein zeitgeistbewußter Spaßvogel, von denen es in den Gesellschaftswissenschaften nur so wimmelt.

Ein paar Beispiele: Islamische Fundamentalisten und eine jünger- und george-selige "Neue Rechte" sind im Anmarsch? Flugs wird Stefan George als Haupt des "Ästhetischen Fundamen-talismus" identifiziert (Stefan Breuer). 1989 fiel die Mauer? Schon steht Claus Leggewie mit der "Generation 89" auf der Matte. Der Regierungsumzug an die Spree ist beschlossene Sache? Heinz Bude ist mit der "Generation Berlin" längst schon vor Ort. Ein Jahr danach ist zwar alles schon wieder vergessen, aber man hat mal darüber geredet. Heitmeyer, der unfreiwillige Buchhalter des Bankrotts rot-grüner Tagträume, ist ohne Zweifel der lustigste von allen, ein echter Pop- und Borderline-Denker.

Fragt sich nur, ob die Zeiten nicht zu ernst dafür sind. Völlig sicher scheint auch Heitmeyer sich nicht mehr zu sein, ob es mit seiner Zunft endlos weitergeht. Angesichts von Bildungskrise, Haushaltsnotstand und um sich greifender Wut könnten Ideologen wie er bald als überflüssig ausgemustert werden. Vielleicht dämmert in den Ministerien ja schon die Ahnung, daß Forschungen dieser Art keine Probleme lösen, sondern nur Verwirrung schaffen.

Natürlich ist es politische Chuzpe, wenn Heitmeyer verlangt, der von ihm vertretenen Denkrichtung noch eine zusätzliche staatliche Behörde zu gönnen. Doch ein anderes, verborgenes Motiv scheint im Vordergrund zu stehen: Er betreibt Zukunftsvorsorge in eigener Sache. Seine Pension ist ihm zwar längst sicher, doch ihm schwant, daß seine wissenschaftliche Reputation bald vor aller Öffentlichkeit in sich zusammenfällt. Das möchte er mit staatlicher Macht verhindern.

Das sind Methoden aus der DDR, und sie nähren die Vermutung, daß nicht die Verweigerer der "Anerkennung" die "Demokratisierungsdebatte" in diesem Land blockieren wollen, sondern Betonköpfe wie Wilhelm Heitmeyer.


 
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