© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/02 13. Dezember 2002

 
"Trauriges Zeichen unserer Unabhängigkeit"
Osttimor: Die Hintergründe der aktuellen Gewalteskalation in der jungen Republik sind noch unklar
Beatrix Madl

Erst ein halbes Jahr nach seiner Unabhängigkeit ist der südwestpazifi-sche Staat Ost-Timor in der letzten Woche in der Hauptstadt Dili von gewaltsamen Unruhen erschüttert worden. Bei Protesten wurden mehrere Demonstranten erschossen. "Die heutigen Ereignisse setzen ein trauriges Zeichen während der ersten Tage unserer Unabhängigkeit", sagte Ministerpräsident Mari Alkatiri vergangenen Mittwoch. Zunächst hatten rund 500 Menschen, überwiegend Studenten, gewaltlos gegen die Verhaftung eines Kommilitonen wegen Mordverdachts demonstriert.

Die Situation eskalierte dann aber ausgerechnet vor dem Polizeihauptquartier: Aus den Reihen der Polizei fielen Schüsse, von denen ein Protestierender tödlich getroffen wurde. Nach Angaben von Augenzeugen sollen diejenigen, die geschossen haben, nicht uniformiert gewesen sein. Zudem sei es unmittelbar darauf zu einer Auseinandersetzung zwischen den Demonstranten und Sicherheitskräften um die Herausgabe der Leiche gekommen. Die wütende Menge zog weiter zum Parlament, wo der Präsident der jungen Republik, Xanana Gusmão, höchstpersönlich versuchte, schlichtend einzuwirken. Die Studenten warfen aber mit Steinen und die Polizei antwortete mit Schüssen.

Haus von Premier Alkatiri in Brand gesteckt

Der Präsident brachte sich noch in Sicherheit, aber ein Politiker geriet zwischen die Fronten und wurde dabei von beiden Seiten gefährlich verletzt. Inzwischen bekam die Polizei noch Verstärkung von 30 Sicherheitskräften der Uno-Mission Unmiset, die bis Ende Juni 2004 im Land vertreten ist. Die aufgebrachte Menge brach schließlich zu einem Zerstörungs- und Plünderungszug durch die Stadt auf. Die Protestler demolierten zunächst den Lebensmittelladen eines australischen Importwarenhändlers, dann weitere Geschäfte, Banken und Hotels. Sie fackelten Autos ab und drangen in Büros ein, wo sie Mobiliar und Computeranlagen plünderten. Schließlich wurde auch eine Moschee der islamischen Minderheit beschädigt und das Haus von Premier Alkatiri in Brand gesteckt. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand in dem Land mit etwa 800.000 Einwohnern.

Die Angaben von Behörden und von Augenzeugen über die genaue Anzahl der Toten variiert zwischen einem und fünf Opfern. Präsident und Premier sprechen von zwei Toten. Zudem gab es rund zwei Dutzend Verletzte, darunter zwei Polizisten. Derzeit sitzen 13 Demonstranten in U-Haft. Zwei Kommissionen werden jetzt die einzelnen Gewaltfälle und deren Hintergründe untersuchen, schließlich fielen auch Schüsse von Nichtuniformierten. Der Schußwaffengebrauch der Polizei soll zudem auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Nach 24 Jahren indonesischer Besatzung votierte die ehemalige portugiesische Kolonie Ost-Timor in einem Referendum im Jahr 1999 für die Unabhängigkeit. Das Land mit der Fläche von Thüringen wurde daraufhin von indonesischem Militär und proindonesischen Milizen zu 75 Prozent zerstört. Schätzungsweise tausend Menschen wurden ermordet, während 240.000 Osttimoresen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die Uno kam auf die Insel und installierte im Ostteil eine Übergangsregierung für drei Jahre. Am 20. Mai 2002 entließ die Uno Timor Loro Sae, wie es in der Landessprache heißt, endgültig in die Unabhängigkeit.

Bereits Ende November kam es zu gewaltsamen Protesten, wobei ein Demonstrant erschossen wurde. Mit Macheten bewaffnet griff die Menge eine Polizeistation in Baucau, der drittgrößten Stadt des Landes, an. Die Protestler, hauptsächlich arbeitslose, ehemalige Freiheitskämpfer, waren über Personalentscheidungen der Polizei aufgebracht. Viele hatten sich erfolglos bei den Sicherheitskräften beworben und werfen der Behörde nun vor, einstige Exilanten ehemaligen Freiheitskämpfern bei der Einstellung vorzuziehen. Der osttimoresische Innenminister Rogério Lobato hatte eine umgekehrte Forderung gestellt, woraufhin jedoch Gusmão dessen Rücktritt verlangte.

Zunächst hohe, später enttäuschte Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes mögen Gründe für die jüngsten Ausschreitungen sein. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, daß vor allem die Büros von Hilfsorganisationen geplündert wurden, deren Arbeit nicht die erwünschte Wirkung zeigte. Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Timorsee werden den Osttimoresen zwar künftig Deviseneinnahmen bringen. Noch konnte dieser Rohstoffreichtum aber nicht versilbert werden.

24 Jahre unter Herrschaft der Indonesier

Die plötzliche Eskalation könnte auch auf ein Gewalttrauma zurückzuführen sein, das Sérgio de Mello, Uno-Hochkommissar für Menschenrechte und Ex-Chef der Uno-Mission Untaet in Ost-Timor, jetzt als Ursache ausmachte. Die UN-Friedenstruppen waren ins Land gekommen, als die 24 Jahre lange Herrschaft der Indonesier sich auf dem Höhepunkt ihrer Gewaltsamkeit befand. Innenminister Rogério Lobato nannte die neuesten blutigen Unruhen "ein orchestriertes Manöver". Gusmão sprach von "bestimmten Interessengruppen", die die Gewalt ausgenutzt hätten.

Der Außenminister Ost-Timors, José Ramos-Horta, vermutet Provokateure unter den Demonstranten, die die anfangs friedlichen Proteste gezielt in Gewalt umschlagen ließen. Der Friedensnobelpreisträger von 1996 machte proindonesische Milizionäre dafür verantwortlich. "Es war kein Unfall, daß der Wohnsitz des Ministerpräsidenten attackiert wurde", sagte Ramos-Horta. Er war gerade von einer Europareise zurückgekehrt, die ihn auch nach Berlin führte. Er fürchtet nach den Gewaltausbrüchen um die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes. Das Bild von einem instabilen Ost-Timor könnte ausländische Investoren abschrecken, auf die der junge Staat angewiesen ist. Er warb dafür, die Wirtschaft Ost-Timors jetzt gerade durch Investitionen zu stärken.

Aktuelle und weiterführende Informationen zum Thema Ost-Timor gibt es im Internet unter: www.deutsch-osttimoresische-gesellschaft.de sowie auf Englisch bei "Radio Australia": http://abc.net.au/asiaspacific/specials/etimor 


 
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